Ein Trauma zu Händen den Medicus
Nach zwölf langen Jahren hat Regisseur Philipp Stölzl seinen Erfolgsfilm „Der Medicus“ fortgesetzt. Teil zwei der Mittelalter-Saga möchte ein Spiegel unserer Gegenwart sein. Und versprüht einen Hauch Monty Python.
Wenn man Nina Warken, der für Gesundheit zuständigen Bundesministerin, zwischen den Jahren einen Rat geben dürfte, wäre es ein Besuch im wahrscheinlich einträglichsten deutschen Jahresendfilm: „Der Medicus 2“, heißt er.
Da sieht man unter anderem, wie Hämorrhoiden behandelt werden. Mit Feuer und Flamme und mit viel Geschrei. Gerade männlichen Wesen tut danach einiges weh. Wir sind im Mittelalter, und das war medizinisch doch um einiges finsterer, als es die Gegenwart des notorisch unterfinanzierten deutschen Gesundheitswesen je sein wird.
Wir sind im – Menschen, die Mitte der Achtziger Bücher kauften, und Mitte der 2010er-Jahre ins Kino gingen, erinnern sich noch – im England des 11. Jahrhunderts. Der Waisenjunge Rob Cole, das erzählten Noah Gordons Historienschinken von 1986 und Philipp Stölzls Verfilmung gleichen Namens von 2013, lernt bei einem fahrenden britischen Bader und geht zum Studium in den Orient. Nach Isfahan zum allwissenden Heiler Ibn Sina, also dahin, wo die Sonne der modernen Medizin aufging. Eine Geschichte vom Erwachsenwerden war das, eines Menschen und der Heilkunst.
Sechs Millionen Bücher wurden vom Dickleiber allein in Deutschland verkauft. Fast vier Millionen Zuschauer verzeichneten die Kinokassen. Das musste natürlich auch filmisch fortgesetzt werden – „Medicus“-Bücher von Noah Gordon gibt es schließlich genug. Und das letzte Kapitel des ersten Romans hatte Stölzl 2013 wohlweislich ausgelassen. In dem kehrt Rob Cole heim in dem für alle Nachgeborenen offensichtlichen Irrglauben, die britische Quacksalberei würde sich wie Bolle freuen, wenn das Licht der Erkenntnis ausgerechnet aus dem Osten über sie kommt.
Dann allerdings ging für das Filmprojekt ein Dutzend Jahre lang viel schief. Plotlinien verliefen im Sande. Tom Payne, der Young-Rob war, hatte – unter anderem, weil sein Karriereweg dank des „Medicus“ steil nach oben ging – keine Zeit, und Philipp Stölzl eigentlich keine Lust auf Fortsetzung. Und dann brach ein ums andere Mal die Finanzierung zusammen.
Mit viel Mühe und diversen Winkelzügen stand irgendwann wenigstens die. Zwanzig Millionen Euro (sechs weniger als für den ersten Teil) standen zur Verfügung, was für einen opulenten, starbesetzten Zweieinhalbstünder eigentlich ein Witz ist (eine „Game of Thrones“-Folge der letzten Staffel kommt auf 15 Millionen). Stölzl und sein Team verwarfen also die Idee, „Der Schamane“ zu verfilmen, Gordons „Medicus“-Nachfolgeband, der im Amerika des 19. Jahrhundert spielt. Und entschieden sich, aus dem Geist des liegengebliebenen letzten „Medicus“-Kapitels ein eigenes Epos zu entwickeln.
Untergang vor England
Rob Cole, so geht es los, segelt mit seinen Weisen aus dem Morgenland gen England. Da ist mal wieder das Wetter derart schlecht, dass Robs Hakims (so heißen die Heiler im Orient), eine multireligiöse Truppe, schon überlegen, ob es nicht besser gewesen wäre, in Syrakus zu bleiben. Sturm zieht auf, Robs Sohn erblickt unter Blitz und Donnergrollen das Licht einer finsteren Welt.
Robs beinahe ausschließlich männlichen Mediziner ziehen übers Land auf London zu, was zumindest farblich so aussieht, als wäre „Der Medicus 2“ ein apokrypher Weihnachtsmehrteiler aus den Siebzigern. Am Stadttor können die Wächter, ausgestattet mit geringem geografischen Vorstellungsvermögen, mit Isfahan nicht anfangen, weshalb man sich darauf einigt, dass die Fremden wohl aus Ipswich kommen. Manchmal weht auch ein Hauch von Monty Python durch diesen Film.
Die Heiler dürfen zwar durchs Tor, die Juden und Moslems unter ihnen aber müssen vor Sonnenuntergang wieder raus aus der Stadt. Manchmal, das zieht sich als roter Faden durch den Film, ist das Britannien des Nigel Farage nur einen Wimpernschlag von jenem entfernt, in dem die garstige Königin Mercia (Emily Cox, die in „Last Kingdom“ schon mal im England des 9. Jahrhunderts war) und ihr voldemordesker Leibarzt Hunne (Aidan Gillen, der in „King Arthur“ schon mal im England des 5. Jahrhunderts war) regieren. Den König Carnute (Liam Cunningham, der sich dank „Game of Thrones“ mit Hofintrigen auskennt) haben sie regierungsunfähig gemacht.
Und dann kommt eigentlich alles, wie man es sich – wenn man in den vergangenen zwölf Jahren nicht alle Mittelalter- und Fantasy-Sagas verpennt hat – aus dem Fundus der Geschichten und Figuren leicht selbst zusammenschrauben könnte. Robs Retter, die Ibn Sinas Katalog des medizinischen Wissens dabeihaben, geraten mit der geldgierigen Besitzstandswahrungsgilde aneinander. Sie eröffnen ein Ärztehaus vor der Stadt, was wahnsinnig erfolgreich ist und die britischen Quasimediziner irre und noch intriganter macht. Fake News werden gestreut, die Hakims verfolgt, Wissenschaft kollidiert mit Glauben, was einem durchaus bekannt vorkommt.
Schließlich bricht am Königshof die Hölle los, als Rob erst den König heilt und sich dann anschickt, dessen Tochter Ilene oben in Schottland von ihrem vermeintlichen Irrsinn zu befreien. Rob wäre dazu natürlich in der Lage, hat er sich doch bei einer keltischen Magierin, die beinahe als Hexe verbrannt worden wäre, zum ganzheitlichen Heiler ausbilden lassen. Er sieht jetzt nicht mehr nur durch Handauflegen, was durch den Körper eines Menschen tobt, er kann ihn durch eine Art rituelle Chiropraktik auch ins Zentrum seines Traumas versetzen. Rob, der Sauerbruch des Mittelalters, wird zum Sigmund Freud des 11. Jahrhunderts. Immerhin: Die Bilder dieses Films sind deutlich größer als seine Geschichte, und die digitalen Kulissen haben einen gewissen Retrocharme.
In die Zeit zwischen den Jahren passt der zweite „Medicus“ dennoch beinahe ideal. Für ein potenziell hochdramatisches Epos ist er nämlich – wenn man ein paar Mal zur Seite schaut, wo es zum Beispiel zu einer Lungenpunktion kommt – unheimlich entspannend. Das Erzähltempo gleicht dem eines Ochsenkarrens, Sex findet kaum statt, Gemetzel insgesamt ungefähr so viel wie in fünf Minuten „Vikings“, und wie es weitergeht, weiß man auch meist, bevor es auf die nächste Weggabelung zugeht: Man ahnt das Ende schnell – und kriegt es auch verlässlich. So könnte es weitergehen mit dem Medicus. Aber bitte lieber nicht.
„Der Medicus 2“ ist ab dem 25. Dezember im Kino zu sehen.
Source: welt.de