Ein Sieg für jedes den Zweifel: Dorothee Elmiger gewinnt den Deutschen Buchpreis

Dorothee Elmigers „Die Holländerinnen“ ist der Roman des Jahres. Die Autorin schreibt mit ihm gegen die Gewissheiten unserer Zeit an – und feiert den Zweifel als literarische Form


Der Deutsche Buchpreis geht in diesem Jahr an die Schweizer Schriftstellerin Dorothee Elmiger

Foto: Thomas Lohnes/Getty Images


Dass es kein Leben im Konjunktiv gebe, mag eine Binse sein, wenngleich eine schmerzliche, ruft sie uns die Unwiederbringlichkeit falscher Entscheidungen und die eigene Vergänglichkeit ins Bewusstsein. Für die Literatur gilt das nicht. Der Konjunktiv in der Fiktion lässt uns jederzeit in andere Leben eintauchen, man hat die freie Wahl.

Und wenn dann ein Roman formal den Konjunktiv feiert, weil er fast ausschließlich in der indirekten Rede verfasst ist, dann ist das mehr als bemerkenswert – oder eben ein „Ereignis“, wie die Jury des Deutschen Buchpreises es am Montag nannte. Denn sie befand, dass Dorothee Elmigers Roman Die Holländerinnen, erschienen bei Hanser, der beste des Jahres sei. Was man natürlich im Konjunktiv wiederum anzweifeln könnte. Doch es ist – ganz im Indikativ gesprochen – eine großartige Entscheidung.

Dass die Schweizer Autorin die wichtigste Auszeichnung für deutsche Gegenwartsliteratur gewinnt, mit 25.000 Euro dotiert, das ist, als bekäme der konjunktivistische Zweifel selbst einen Preis. Die Holländerinnen ist ein Roman, der sich weigert, irgendetwas sicher zu wissen. Eine Autorin erzählt in einer Poetikvorlesung, was sie gehört haben will, was jemand gesagt haben könnte.

„Die Holländerinnen“ ist voller Referenzen

Der Hintergrund dieser fiktionalen Geschichte ist jedoch ein ganz realer. Zwei Backpackerinnen verschwanden 2014 im Dschungel von Panama. Man fand später Leichenteile und eine Kamera mit mysteriösen Aufnahmen. Die Indirekte-Rede-Erzählerin war Teil einer bunt zusammengewürfelten Theatergruppe, die sich in den Tropen auf Spurensuche machte, angeführt von einem „Theatermacher“, der ganz unverfroren an Werner Herzog, vielleicht auch an Milo Rau erinnert.

Ja, der schmale, gerade mal 160 Seiten umfassende Roman ist vollgestopft mit Anspielungen und Referenzen: an Thomas Bernhard, Theodor W. Adorno, Klaus Kinski, Joseph Conrads Herz der Finsternis, W. G. Sebald, Ingeborg Bachmann, Francis Ford Coppola, Walter Benjamin oder Hannah Arendt. Das macht das Buch aber nicht zu einem sperrigen Highbrow-Lektüreerlebnis, dafür ist es in weiten Teilen sehr komisch – trotz der vielen verstörenden Schicksalsgeschichten, die in der Schweiz oder New York spielen, wo sich Dorothee Elmiger zumeist aufhält, und für die es keine Auflösung gibt.

Dorothee Elmiger weiß um das Unbegreifliche

Womit wir wieder beim Konjunktiv wären, vielmehr sind: Elmiger weiß, dass man das Unbegreifliche nicht im Indikativ sagen kann. Wer behauptet, zu wissen, was geschehen ist, macht sich etwas vor. Der Text ist eine Absage an den Beweiszwang der Gegenwart: Jede These will belegt, jedes Verschwinden erklärt, jedes Trauma verwertet werden. Das macht ihn hochpolitisch, ohne sich an aktuellen, teils undurchschaubaren Zusammenhängen abzuarbeiten. Das mag man Zeitungskommentaren überlassen. Elmiger lässt das Rätselhafte lieber stehen. Ihr Roman ist ein Dschungel aus Stimmen, Theorien, Zitaten, Erinnerungen. Ein Sieg des Uneindeutigen über das Lineare.

Und ein Sieg der Geduld – Elmiger hat eine langjährige Schreibblockade überwunden, die in dieses fiebrige Schreiben mündete, wie sie einmal sagte. Bei der angenehm unaufgeregten Preisverleihung zitierte sie einen Song von Tocotronic: „Das Unglück muss überall zurückgeschlagen werden.“ Es ist ein Satz, der naturgemäß zu ihrem Buch passt – nicht weil er Hoffnung verspricht, sondern weil er das Denken mobilisiert. Die 40-Jährige hätte auch sich selbst zitieren können: „aber der Horror, der Horror liege naturgemäß außerhalb der Sprache, ja, er sei, wenn man so wolle, ihr Gegenteil, ihr Ende.“