Ecuador | Femizide in Ecuador: „Banden markieren mit toten Frauen Territorien“

Ecuador galt lange als eines der friedlichsten Länder Südamerikas. Inzwischen ist es wegen der massiven Ausweitung der Drogenkriminalität eines mit der höchsten Mordrate und somit eines der gefährlichsten. Das gilt insbesondere für Frauen. Knapp hinter Kolumbien liegt der Andenstaat auf Rang zwei der Femizide in der Region, Tendenz steigend.

Fast jeden Tag fällt in Ecuador eine Frau einem Femizid zum Opfer. Das entspricht in absoluten Zahlen denen von Deutschland, angesichts der weit geringeren Bevölkerung reden wir von einer mehr als viermal so hohen Anzahl pro Einwohnerin. Zudem dürfte die Registrierung von Femiziden in dem Andenstaat noch schlechter sein als bei uns. Sie basiert weitestgehend auf dem Engagement einer vielfältigen Frauenbewegung.

„Seit 2017 registrieren wir einen starken Anstieg von Femiziden“, sagt Geraldina Guerra. Sie sitzt im Vorstand des Verbandes der Frauenhäuser in Ecuador und ist Direktorin der Stiftung ALDEA, die hauptsächlich alternative Entwicklungswege fördert. Gemeinsam mit unterschiedlichen Organisationen setzt Guerra die Idee einer Femizid-Landkarte um, „eine soziale Kartografie, um die Dimension der Femizide in Ecuador sichtbar zu machen“. Pro Quartal wird mit geringen Mitteln eine solche Karte veröffentlicht.

Dies half nicht nur, um einen klareren Überblick zu den Zahlen der Opfer zu gewinnen, sondern auch die Öffentlichkeit zu sensibilisieren sowie in einen ernsthaften Dialog mit Regierungsstellen zu treten. In den Jahren 2018 bis 2020 sind die Organisatorinnen der Femizid-Karte mit den zuständigen Behörden alle Fälle von Morden an Frauen einzeln durchgegangen. „Durch unsere Arbeit haben sie mehr Fälle als Femizide anerkannt.“

Trotzdem bleiben unterschiedliche Wahrnehmungen zwischen Behörden und Frauenbewegung. Das gilt ganz besonders für Femizide im Rahmen von Bandenkriegen. Ecuador ist in den letzten Jahren zu einem zentralen Umschlagplatz von Kokain aus Kolumbien und Bolivien aufgestiegen. Die Handelsrouten sichern Gangs junger Männer aus den Armenvierteln, die angesichts des kontinuierlichen Rückzugs des Staates ein großes Rekrutierungspotenzial haben und untereinander um territoriale Kontrolle kämpfen.

Entschädigung für Familien

„Eine junge Frau wird vergewaltigt, mit 15 Schüssen ermordet, schließlich verbrannt und ihr Körper auf die Straße geworfen“, schildert Geraldina Guerra ein Beispiel. „Die Banden markieren mit den toten Frauen Territorien. Das ist natürlich in erster Linie ein Femizid, denn der Körper des weiblichen Opfers wurde bewusst massakriert.“ Doch der Staat klassifiziert solche Fälle meist als Auftragsmord oder Bandenkriminalität. Weil er so Geld für die gesetzlich geregelte Entschädigung der Kinder und Familien der Opfer von Femiziden – ein Erfolg der Frauenbewegung der letzten Jahre – einspart.

In Guayaquil, einer der Städte mit der höchsten Kriminalitätsrate Ecuadors, arbeitet Nadya Donoso im feministischen Zentrum CEPAM. Dessen Mitarbeiterinnen beraten seit mehr als 40 Jahren insbesondere von Gewalt bedrohte oder betroffene Frauen. Sie bieten zudem Rechtsberatung sowie Sexualerziehung an – und das nicht nur in ihrem Büro, sondern auch in den marginalisierten Randbezirken der Hafenstadt.

„Männer wollen das traditionelle Familienmodell. Meist gefällt es ihnen nicht, wenn Frauen mehr Rechte anstreben“, sagt Donoso. „Insofern sind Femizide auch eine Botschaft des Patriachats.“ CEPAM organisiert mit anderen Organisationen auch öffentlichen Protest zu konkreten Fällen sexueller Gewalt. Nadya Donoso hat einen Leitfaden zu sexueller Gewalt für die Berichterstattung von Journalisten entwickelt, mit denen sie Workshops durchführt.

„Was wir machen können, ist wenig“, sagt sie mit Blick auf den Widerspruch der breiten Palette von Aktivitäten CEPAMs und der immensen Herausforderungen. Die Prävention, insbesondere die Förderung von sozialer weiblicher Sicherheit, ist aus Donosos Sicht eine Aufgabe des Staates. „Wenn die Familien wegen der sozialen Krise zerbrechen, erhöht sich das Risiko von Gewalt gegen Frauen. Doch was macht die Regierung? Sie reduziert die entsprechenden Ausgaben.“

Das Budget des Frauenministeriums sank von 17,2 Millionen US-Dollar im Jahr 2023 um 23 Prozent auf 13,2 Millionen im Jahr 2024. Und nach seiner Wiederwahl im Mai schaffte Präsident Daniel Noboa, der aus der reichsten Familie des Landes stammt und aus seiner Bewunderung für Donald Trump keinen Hehl macht, das Frauenministerium ganz ab und reduzierte es zu einer Abteilung im Präsidialbüro. „Das ist keine einfache administrative Entscheidung: Es ist ein demokratischer Rückschritt und wischt Jahrzehnte feministischer Kämpfe hinweg“, kritisierte CEPAM.

Hohe Zahl an Kinderschwangerschaften in Ecuador

Sexuelle Gewalt ist in allen Sphären der ecuadorianischen Gesellschaft Alltag und wird häufig kaum als solche wahrgenommen, auch von Frauen nicht. „Ich habe in den letzten Wochen mit vielen Müttern meiner Schülerinnen gesprochen“, berichtet eine junge Lehrerin kopfschüttelnd von ihrer neuen Schule in einer abgelegenen Region. „Und war entsetzt, dass mehrere stolz berichteten, dass ihre Tochter bald 13 würde und ein älterer Nachbar bereits ein Auge auf sie geworfen hätte.“ Eine Esserin weniger im Haus. Ecuador weist eine enorm hohe Zahl an Kinderschwangerschaften (offiziell knapp 5.000 Mädchen unter 15 zwischen 2019 – 2023) und sexuellen Übergriffen im Schulbereich auf.

„Der Kampf gegen die Straflosigkeit in Fällen von Femiziden ist ganz wichtig. Sonst meint die nächste Generation, das wäre richtig so.“ Aus dem Mund einer Rechtsanwältin wie Andrea Quijije aus dem Küstenstädtchen Bahia de Caráquez kann dieser Satz kaum überraschen. Doch sie vertritt jenseits dieser Argumentation eine andere Gewichtung in ihrer feministischen Analyse. „Wir müssen über die Rolle, die Wünsche der Frau im Bett diskutieren. Denn die Männer wollen alles kontrollieren, auch die Gefühle, auch den Sex.“

Das ist in der konservativen Gesellschaft Ecuadors kein gängiges Narrativ. Andrea Quijije hat in logischer Konsequenz in ihrem Buch Die Rebellion der untreuen Frau auch das „Recht auf Orgasmus der Frauen“ gefordert. Da wären viele ihrer feministischen Kolleginnen zusammengezuckt, erinnert sie sich mit einem Schmunzeln im Gesicht. „Sie wollen immer nur über Abtreibungen und Femizide sprechen. Natürlich ist das wichtig, aber die körperliche Gleichberechtigung ist eine Voraussetzung für gesunde Beziehungen zwischen den Geschlechtern.“

Andrea Quijije ist eine sehr volksnahe Aktivistin mit einer langen Erfahrung in sozialen Kämpfen. In Bahia in der ländlichen Provinz Manabí wird sie von vielen Leuten gegrüßt, an jeder zweiten Ecke muss sie zum Plausch anhalten, stets mit einem Lächeln auf den Lippen. Offenbar ist eine Debatte um neue Horizonte von Paarbeziehungen kein Widerspruch zur Verankerung in der traditionellen Gesellschaft.

„Über eine gleichberechtigte Sexualität müsste man schon in den Schulen sprechen“, sagt sie. „Das wäre eine Grundvoraussetzung für eine Änderung unserer machistischen Kultur.“ Aber da ist nicht zuletzt die stockkonservative katholische Kirche dagegen, die in Ecuador einen starken Einfluss auf die Gesellschaft hat. Die Kirche taumelt derzeit indes selbst von einem Skandal über sexuelle Gewalt durch Priester und gar Bischöfe zum nächsten. Erst im Januar hat die UN-Kinderrechtskommission eine Wahrheitskommission zu sexueller Gewalt in der ecuadorianischen Kirche vorgeschlagen – bis heute ohne Resonanz.