Diese US-Wahl wird woanders kategorisch, nicht im Fernsehstudio
Der Schlagabtausch Harris/Trump hat also stattgefunden. Die Auswirkungen sind wohl nicht so dramatisch wie die bei Joe Bidens Debattenfiasko im Juni. Es hat in Philadelphia niemand den Karren an die Wand gefahren. Was auffiel: Donald Trump hat sich provozieren lassen von Kamala Harris‘ Sticheleien, auch wenn er im Wesentlichen so war, wie ihn die eigenen Leute lieben.
Trump kam mehrmals zurück auf sein Lieblingsthema, die Millionen „Illegalen“, die „aus Gefängnissen und Irrenanstalten der ganzen Welt“ in die USA kämen. Und er bekräftigte, als Staatschef würde er den Krieg in der Ukraine zu Ende bringen – unter Harris riskiere man einen Dritten Weltkrieg. Sie sei die schlechteste Vizepräsidentin der US-Geschichte, sei Marxistin und habe die Nation zerstört mit ihrer Politik. Auch dadurch befänden sich die USA im Niedergang.
Harris will Trump nicht als große Gefahr hochstilisieren
Harris‘ Fans dürften sich gefreut haben, dass es ihr gelang, Trump zu provozieren, etwa mit ihrer Behauptung, dessen Anhänger würden seine Wahlmeetings gelangweilt verlassen. Trump wirkte manchmal aufgebracht, und Harris lächelte ungläubig bei seinen Eskapaden, mit denen er Absurdes kundtat, etwa durch die Behauptung, illegale Migranten würden in einer Stadt im Staat Ohio Haustiere stehlen und essen. Letzteres macht seit mehreren Tagen die Runde in den rechten Medien.
Kamala Harris versprach einen „neuen Weg in die Zukunft“. Auch wolle sie die Menschen zusammenbringen und habe einen Wirtschaftsplan; Details blieb sie schuldig. Außenpolitisch machte Harris auf Stärke und wiederholte, dass sie dafür sorgen werde, dass Amerika „die stärksten und tödlichsten Streitkräfte“ habe. Auch zum Gaza-Krieg Bekanntes: Israel habe das Recht, sich zu verteidigen, doch zu viele unschuldige Palästinenser seien umgekommen. Auch das hörte man schon beim Wahlkonvent in Chicago.
Die Wahlkampfteams beider Seiten sind davon überzeugt, ihre Favoriten beziehungsweise ihr Favorit hätten in Philadelphia triumphiert. Die Fronten bleiben verhärtet in den USA, und Wahlentscheidendes findet woanders statt, manches vielleicht erst nach der Wahl. Es sind noch acht Wochen bis zum 5. November.
Joe Biden hat 2020 gegen Trump gewonnen, um die „Seele der Nation“ zu retten, wie er seinerzeit beteuerte. Er war kein Wunschkandidat, doch er gab Menschen eine Chance, gegen Trump zu stimmen. Harris und Vizekandidat Tim Walz wollen Trump nicht als große Gefahr hochstilisieren. Sie sprechen von Hoffnung, Zuversicht und Freude, machen sich lustig über Trump. Das kann funktionieren, muss aber nicht. Die USA durchleben keine „normalen Zustände“. Der bürgerliche Staat hat es in den dreieinhalb Jahren nach dem Ansturm auf das Kapitol und sonstigen Aktionen, Trumps Wahlniederlage „rückgängig“ zu machen, nicht vermocht, den mutmaßlichen Haupttäter zur Rechenschaft zu ziehen. Darin zeigen sich Defizite eines Systems, das die Zuschreibung „demokratisch“ nur bedingt verdient.
Ein Richter in Manhattan hat die für den 18. September vorgesehene Bekanntgabe des Strafmaßes für Trumps mutmaßliche Schweigegeld-Zahlungen an eine frühere Porno-Darstellerin auf einen Zeitpunkt nach der Abstimmung verschoben. Trump war in dieser Sache bereits im Mai schuldig gesprochen worden. Auch andere Prozesse kommen nicht voran.
Trump will Wahlbetrüger hart bestrafen
Wie auch immer – der 5. November verheißt kein Ende im Ringen um die Präsidentschaft. Millionen US-Amerikaner sympathisieren mit Trumps autoritärem Habitus. Republikanische Politiker offenbaren Loyalität zu Trump und die Sehnsucht nach einer Nähe zur Macht, indem sie sich die Lügen und Behauptungen ihres Kandidaten zu eigen machen.
Donald Trump wird das Wahlergebnis nicht akzeptieren, sollte er verlieren. Auf seiner Plattform Truth Social kündigte er bereits an, nach seinem Sieg 2024 müssten Wahlbetrüger mit langen Haftstrafen rechnen, wie es sie noch nie gegeben habe. Das Team Harris hat Juristen angeheuert, um Sabotage zu kontern. So wurde mit dem Fernsehduell in Philadelphia ein Schauspiel aus dem Repertoire der US-Demokratie, mit einem Teilnehmer, der abrechnen will mit dieser Demokratie.