Diese Fußball-EM ist dieser Albtraum aller Rechten!
Mancherorts fangen Linke wieder an, ihre kollektive Depression bei der Fußball-Europameisterschaft auszupacken: All die Deutschlandfahnen, all dieser Nationalismus spiele doch nur den Rechten in die Hände! Was ist da los? Habt ihr kein Social Media, kein Tiktok, seht ihr nicht, was auf der Fanmeile passiert? Was sich in diesen Tagen auf den Bildschirmen und den Public Viewings abspielt, ist der Albtraum der Rechten: Nicht nur schafft es das neue Team des DFB, Begeisterung auszulösen – es wird auch so migrantig gefeiert wie noch nie! Die bunte deutsche Jugend ist auf den Straßen, und es macht einfach nur Spaß, dabei zu sein.
Die Fanmeile wurde von einem Konzert des großen Rappers Luciano eröffnet, Sohn eines mosambikanischen Vaters und einer deutschen Mutter, der es als Ehre sah, „in seiner Stadt für sein Land“ zu singen. Dass auf Tiktok groß gewordene Rapper wie Haaland und Ski Aggu auf der Fanmeile spielten, zeigt, dass die Organisatoren am Puls der Zeit sind. Kein Wunder, wenn hier der Weddinger Kevin-Prince Boateng als Schirmherr agiert. Es ist ein „Fest des Miteinanders, nicht Gegeneinanders“, wie es die Legende Lothar Matthäus formulierte: „Seit 2006 haben wir gezeigt, dass wir das können“. Anders als bei der von Petrodollar gekauften letzten Weltmeisterschaft in Katar ist hier Fußball wirklich Volkssport, und in den Stadtzentren des modernen Einwanderungsdeutschland gibt es fast immer eine Feier, egal, wer gerade gespielt hat.
Und dieser deutsche Fußball darf auch gefeiert werden! Das Sahnestück des Teams ist das Mittelfeld, das vielleicht beste, das Deutschland je hatte. Dieses Mittelfeld, das beim Auftakt Schottland auseinandernahm, zeigt die neue deutsche Einheit: Toni Kroos aus Greifswald in Brandenburg, der vielleicht beste Mittelfeldspieler in der Geschichte Deutschlands, einst von dem greisen Oligarchen Uli Hoeneß aus München verjagt, um dann bei Real Madrid alles zu gewinnen, was man gewinnen kann. Dazu die zwei jungen Superstars Jamal Musiala mit nigerianisch-polnisch-deutschen Wurzeln und Florian Wirtz aus dem Rheinland, die nicht nur auf dem Rasen das Publikum verzaubern, sondern auch in ihrer schüchternen Art einer süßen Bromance gerade eine schöne Story schreiben. Und natürlich İlkay Gündoğan aus Gelsenkirchen, der erste Kapitän des DFB mit türkischen Wurzeln.
Jamal Musiala (links) und Florian Wirtz
Foto: Eibner/Imago Images
Während nach der ARD-Umfrage vor der EM 17 Prozent Ewiggestriger nicht einverstanden sind, dass Gündoğan Kapitän des DFB ist, posiert der deutscheste aller Deutschen Thomas Müller mit ihm auf Instagram und gratuliert dem „El Capitano“ zu seiner Weltklasseleistung gegen Schottland.
Schwarz-Rot-Gold wird umgeschrieben
Gündoğan hatte sich kurz vor der WM 2018 zusammen mit Mesut Özil mit dem autoritären türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan ablichten lassen. Es gab einen massiven Shitstorm und auch heftigen Rassismus gegen die beiden. Özil verlor sich daraufhin im türkischen Nationalismus und verließ Deutschland. Gündoğan entschuldigte sich für diese Aktion, sich als Repräsentant des Landes mit einem Präsidenten ablichten zu lassen, der kritische deutsche Journalisten in der Türkei inhaftieren und türkische Oppositionelle in Deutschland terrorisieren lässt. Jetzt, sechs Jahre später, hält er als Kapitän der DFB-Auswahl die Ansprache an die Deutschen, dieses Turnier als eine Gelegenheit zu nutzen, die besten Seiten unserer Gesellschaft in ihrer Weltoffenheit, Vielfalt und Gastfreundlichkeit zusammen zu zelebrieren.
Als würde das alles nicht reichen, müssen die Rechten auch noch ertragen, dass die Kultfigur dieser Mannschaft auf Tiktok Antonio Rüdiger aus Berlin-Neukölln ist, ein Flüchtlingskind aus Sierra Leone, ein bekennender Moslem, der – wie Toni Kroos – beim besten Club der Welt spielt, nämlich Real Madrid. Rüdiger wurde zur absoluten Hassfigur der Rechten, weil er den gehobenen Tauhid-Zeigefinger beim Jubeln zeigte, ein religiöses Symbol von frommen Muslimen. Julian Reichelt bezeichnete ihn darauf als Islamisten, woraufhin er und der DFB Reichelt angezeigt haben. Beim letzten Fotoshooting zeigten nun auch die Spieler-Kollegen Chris Führich, Maxi Mittelstädt oder Marc-André ter Stegen den Tauhid-Finger. Das hat die Rechten so frustriert, dass es nicht mal mehr für einen Shitstorm reichte.
Schwarz-Rot-Gold wird gerade auf dem Rasen, in den Stadien und in den Fanmeilen umgeschrieben: Der DFB wird zum Schlaghammer gegen die völkische und machistische Repräsentation Deutschlands. Klar gibt es die vom Frust und Hass zerfressenen weißen Ghettos auf Sylt oder in Sachsen. Irgendwo wird auch in diesen Tagen sicher wieder „Ausländer-Raus“ gerufen, richtig laut werden sie schreien, sollte das Team scheitern. Doch außerhalb ihrer 20-Prozent-Blase ist jetzt mal unsere Party: Auf Tiktok trenden schwarze Frauen oder indische Sänger mit Deutschland-Fahnen und Jugendliche in schwarzrotgold, die mit Saxofon Haftbefehl singen.
Es ist auch ein sehr weibliches Fußballfest. Ich erinnere mich gut an den Anfang der 1990er, in denen die Stadien ein Hort toxischer Männlichkeit waren. 2024 trägt der DFB zum ersten Mal in einem Turnier im Spiel gegen Ungarn das pinke Jersey: ein Trikot als provokante modisch-ästhetische feministische Ansage, schon jetzt das meistverkaufte Auswärtstrikot in der Geschichte des DFB. Dieses Team kann es auch voller Inbrunst und authentisch tragen. Diese Jungs sind für mich das Vorzeige-Exemplar einer Männergruppe ohne toxische Männlichkeit.
Dieses Sommermärchen ist natürlich auch ein schöner therapeutischer Eskapismus, „völlig losgelöst von der Erde“, wie alle nach jedem Tor singen. Es ist vor allem aber auch die kollektive Freude an tollen Spielen und an einem stylishen bunten Deutschland, das verdammt gut Fußball spielen, gastgeben und feiern kann. Die armen Rechten, ich möchte nicht in ihrer Haut stecken, wenn Deutschland dieses Turnier gewinnt.