„Die Zivilgesellschaft kann in Dresden beim Plakatieren helfen“
Mit dem brutalen Angriff auf den SPD-Europakandidaten Matthias Ecke in Dresden am vergangenen Freitag rückt die Bedrohungslage von politischen Akteuren der demokratischen Parteien wieder in den Vordergrund. Die ehemalige Bautzener Stadträtin der Grünen, Annalena Schmidt, bloggte über rechtsextreme Strukturen vor Ort. Nach etlichen Einschüchterungsversuchen und sogar Morddrohungen verließ sie die Stadt nach einem Jahr im Amt. Heute wohnt sie in Dresden und engagiert sich in der Bildungsarbeit. Mit dem Freitag sprach sie über die neue, alte Bedrohungslage sowie die Suche nach dem richtigen politischen Protest.
Der Freitag: Frau Schmidt, der SPD-Europakandidat Matthias Ecke wurde in der vergangenen Woche von vier jungen Erwachsenen beim Plakatieren brutal überfallen. Ein mutmaßlich rechtes Motiv sei nach Behördenangaben nicht auszuschließen. Überrascht Sie dieser Gewaltausbruch?
Mich überrascht es leider nicht, dass es zu diesem Gewaltausbruch gekommen ist. Seit Jahren werden Menschen angefeindet, die sich für ein demokratisches Miteinander einsetzen, sie erleben digitale Gewalt oder auch Angriffe bei Veranstaltungen oder auf der Straße. Ich bin eher überrascht, dass Menschen und Medien nun teilweise davor warnen, dass etwas ins „Kippen“ kommt. Nach meiner Wahrnehmung ist die Lage längst gekippt. Wir müssen jetzt als demokratische Gesellschaft schauen, diejenigen, die jetzt aktiv sind, Wahlkampf machen, und für Mandate antreten, unterstützt werden, damit nicht auch noch die Mehrheit in den Parlamenten „kippt“. Denn dann ist nicht nur das gesellschaftliche Miteinander, sondern auch unsere Demokratie in echter Gefahr!
Nach den Angriffen auf den Politiker organisierten Bündnisse Demonstrationen in Berlin und Dresden, über 100 Politiker*innen und Bundestagsabgeordnete unterschrieben die Striesener Erklärung für einen respektvollen und gewaltfreien Umgang im politischen Handeln. Sind das die richtigen Maßnahmen?
Ja und nein. Es ist wichtig und schön zu sehen, wie groß die Welle der Solidarität für angegriffene Politiker*innen und Wahlhelfer*innen parteiübergreifend ist. Demonstrationen und Erklärungen sind wichtige Maßnahmen. Diese wirken aber vor allem kurzfristig. Wir benötigen dringend eine solide finanzierte Landschaft der politischen Bildungsarbeit in Deutschland und eine verlässliche Finanzierung für Beratungsstellen und zivilgesellschaftliche Akteure. Derzeit läuft in diesem Bereich sehr viel in Projekten und die Menschen wissen jetzt nicht, ob die Arbeit im nächsten Jahr überhaupt noch fortgesetzt werden kann. Nur durch eine langfristig angelegte Arbeit in diesem Bereich können nachhaltige Strukturen geschaffen werden.
Wie ist die Stimmung gerade in Dresden, was nehmen Sie wahr?
Ich habe in den letzten Tagen mit vielen Menschen in Dresden gesprochen, die gerade einfach nur noch Angst haben. Angst davor, Plakate aufzuhängen, Infostände aufzustellen oder Demos anzumelden. Angst, die Menschen in den ländlichen Regionen schon lange kennen. Dieser Schutz ist zum einen Aufgabe der Polizei. Wir sollten aber auch nicht außer Acht lassen, dass auch die Zivilgesellschaft aktiv werden kann: etwa indem man beim Plakatieren hilft. So bitter es ist: Wenn man zu zweit unterwegs ist, kann man gut Plakate aufhängen. Wenn man zu viert unterwegs ist, können zwei Menschen dann zudem schauen, was im Umfeld passiert.
2019, als sie Stadtrat-Mitglied der Grünen wurden, gab es viele Medienberichte über Sie. Zeitweise schien es so, als würden alle rechten Kräfte vor Ort ausschließlich gegen Sie und Ihre Arbeit mobilisieren. Dem Stadtrat und Bautzen haben Sie mittlerweile den Rücken gekehrt. Gab es Vorwürfe deswegen? Haben Sie die Verantwortung abgegeben?
Zu den Medienberichten: Diese Aufmerksamkeit hatte ich mir nicht ausgesucht. Das kam dadurch zustande, dass eine Diskussionsveranstaltung stattfand, bei der ich mir schon nicht ausgesucht hatte, teilzunehmen: Der damalige Oberbürgermeister Alexander Ahrens (SPD) hatte die Veranstaltung schon medial angekündigt, bevor er uns gefragt hatte. Robert Habeck (Grüne) hatte sich angekündigt, aus Solidarität mit mir, was dann noch mehr Aufmerksamkeit erhielt. Auch dass Rechte eine Demo gegen mich angemeldet haben, habe ich mir nicht ausgesucht. Diese starke mediale Aufmerksamkeit war nicht angenehm. Man hat als „junge Kommunalpolitikerin“ auch niemanden, der einen berät, wie man die Situation damals vielleicht hätte verändern können. Ich hatte den Eindruck, wenn ich jetzt einer Journalistin ein Interview gebe, warum lehne ich das andere ab? Das könnte vielleicht arrogant wirken. Also habe ich die nächste Mittagspause wieder mit einem Journalisten verbracht. Ich hatte vorher schon oft den Gedanken fortzuziehen, hatte aber vorher immer wieder das Gefühl „Nee, ich kann jetzt nicht einfach so wegziehen“. Ich hatte den Eindruck, dass ich wirksamer sein kann, wenn es mir gut geht, wenn ich mich voll und ganz auf die politische Bildungsarbeit konzentrieren kann, um andere zu bestärken, auch aktiv zu werden. Man kann, wenn man sich auf den Job und auch ein bisschen Freizeit konzentrieren kann, selber mehr leisten, als am Ende ausgebrannt zu sein.
Was führte Sie ursprünglich in die Stadt Bautzen?
Ich bin als Wissenschaftlerin nach Bautzen gezogen, für drei Jahre nahm ich eine befristete Stelle als Historikerin an. Mit einem neuen Projekt wurden aus den drei Jahren fünf Jahre. In der Zwischenzeit habe ich angefangen, in Bautzen politisch aktiv zu sein und teilweise freiberuflich politische Bildungsarbeit zu machen. In dieser Zeit kam die Überlegung, das zu meinem Hauptberuf zu machen. Anfang 2020 habe ich die Stelle gefunden, die ich jetzt habe, wo ich hauptberuflich in der politischen Bildungsarbeit tätig sein kann. Der berufliche Wechsel war mitentscheidend dafür, nach Dresden zu ziehen, um einfach dichter an meinem Arbeitsort zu wohnen.
Sie sind bei Gießen in Hessen aufgewachsen. War der Umzug nach Bautzen ein Kulturschock, bei dem Sie die Ost- und Westunterschiede deutlich gespürt haben?
Es war eher ein Prozess, deshalb würde ich es nicht als Kulturschock bezeichnen. Ich bin 1986 geboren und dadurch, dass ich in Hessen aufgewachsen bin, habe ich eben keine Erinnerung an die Wiedervereinigung. Leute, die 1986 „im Osten“ – ich mag den Begriff nicht so – geboren sind, haben dadurch, dass sie dann irgendwann doch den Transformationsprozess, die Brüche, eventuell in den Biografien von Eltern, Verwandten und Freunden mitbekommen haben, natürlich eine andere Prägung. Aber ich bin nie auf den Gedanken gekommen, dass ich mit meinem Umzug nach Sachsen aus dem Westen in den Osten gezogen bin. Ich brauchte einen Job und wollte etwas zu Minderheiten machen. Und da kommen zwei Regionen in Deutschland in Frage: Schleswig-Holstein und Sachsen/Brandenburg. Weil das die Regionen sind, wo Minderheiten Siedlungsgebiete haben und entsprechende Forschungseinrichtungen sind. In Bautzen war eine Stelle ausgeschrieben, in Schleswig-Holstein nicht.
Und wie war Ihre Ankunft in Bautzen?
Sechs Wochen, nachdem ich nach Bautzen gezogen bin, brannte der Husarenhof – ein Gebäude, das als Unterkunft für geflüchtete Menschen vorgesehen war. Ich ging morgens in den Supermarkt und auf allen Zeitungen war auf dem Titelblatt dieses abgebrannte Gebäude. In Gießen wäre ich morgens ins Büro gekommen und da hätten alle darüber diskutiert, wie schlimm das ist. In Bautzen hat man nicht darüber gesprochen. Ein Blogger, der damals noch aktiv war, hat es als „ohrenbetäubendes Schweigen“ bezeichnet. In Hessen war es oft so, dass der Protest gegen rechte Demonstrationen von ganz vielen Menschen getragen wurde, von der Kirche und den Gewerkschaften. Manchmal ist der Oberbürgermeister oder die Oberbürgermeisterin an der Spitze mitgelaufen. In Bautzen war das nicht der Fall. Ich will aber auch gar nicht für DEN Osten und DEN Westen sprechen, deshalb rede ich von den konkreten Bundesländern und Städten.
Annalena Schmidt
… 1986 in Hessen geboren, studierte unter anderem Geschichts- und Kulturwissenschaften in Gießen und promovierte 2016 in der Geschichtswissenschaft thematisch zum Nationalsozialismus. 2015 zog sie nach Sachsen. Dort begann sie, sich für Geflüchtete und ihre Rechte einzusetzen und sich gegen Rechtsextremismus zu engagieren. Im Jahr 2018 wurde sie von der Bundesregierung als „Botschafterin für Demokratie und Toleranz“ ausgezeichnet. Von 2019 bis 2020 war sie parteilose Stadträtin für Bündnis 90/Die Grünen in Bautzen. Heute lebt sie in Dresden und arbeitet in der politischen Bildungsarbeit.
War Ihre Familie oder Ihre Freunde besorgt, weil Sie sich so lautstark in Bautzen einsetzten?
Teilweise gab es Einwände von meinem Vater, aber nicht so sehr. Er hat sich eher Sorgen um meine Sicherheit gemacht.
Wie war es denn mit den anderen Frauen im Stadtrat?
Unter den Stadträtinnen war es ein sehr gutes Zusammenarbeiten über Fraktionsgrenzen hinweg.
Und wie haben sich Frauen in Bautzen außerhalb des Stadtrates Ihnen gegenüber verhalten?
Ich erinnere mich an eine Sache, die sehr schön war. Das war nach dieser öffentlichen Diskussionsveranstaltung, wo ich unter anderem auch massiv von einer Frau angegriffen wurde. Sie warf mir vor, dass ich schuld bin, dass Bautzen in der Welt so schlecht da steht, dass der Ruf der Stadt so schlecht ist. Sie hat mir am Ende an den Kopf geknallt: „Hauen Sie ab, verschwinden Sie!“ Und da kam in der nächsten Woche eine Mitarbeiterin des Landratsamtes zu mir und hat gesagt, dass sie es ganz stark findet, was ich mache, und hat mir ein Blümchen geschenkt. Es waren tatsächlich eher Frauen, die auf mich zugekommen sind und etwas Positives gesagt haben.
Inwiefern spielte bei den Anfeindungen Ihre westdeutsche Herkunft eine Rolle?
Es hat natürlich immer eine Rolle gespielt, dass ich aus DEM Westen komme. Das hat in vielen Kreisen eine Rolle gespielt, selbst bei den Leuten, die sich um geflüchtete Menschen gekümmert haben.
Haben Sie in Bautzen zum ersten Mal festgestellt, dass Sie Westdeutsche sind?
Ja. Vorher besaß ich die Identität, dass ich an der Aldi-Grenze aufgewachsen bin. In meinem Heimatdorf gab es kein Aldi, aber in dem nördlich gelegenen Dorf war Aldi-Nord und in dem südlich gelegenen Dorf war Aldi-Süd. Außerdem hatte ich immer eher eine europäische Identität, die schon mal gebrochen wurde bei einem längeren Forschungsaufenthalt in Israel. Wo mir gesagt wurde: „Du kannst dich nicht rausreden, dass du eine europäische Identität hast, du bist Deutsche.“ Ich habe mich nicht als Westdeutsche identifiziert, als ich von Hessen nach Sachsen gezogen bin. Es war dann am Anfang eine ausschließliche Fremdzuschreibung, dass ich die Westdeutsche bin.
Sie wurden in Bautzen zur Westdeutschen gemacht?
Ja. Ich habe angefangen, mich mit der Gruppe „Dritte Generation Ost“ auseinanderzusetzen, um zu erfahren, wie Gleichaltrige, die die Wiedervereinigung nicht unbedingt selbst erinnern, aber eben in einer Transformationsgesellschaft aufgewachsen sind, ticken. Das hatte ich in Hessen nicht. Ich hatte einen Vater, der immer auf den Solidaritätszuschlag geschimpft hat. Das hatte aber keine Auswirkungen auf mein Leben. Eine Person, die vielleicht 1986 in Sachsen geboren ist und deren Vater aufgrund der Wiedervereinigung Brüche in seiner Berufsbiografie hatte, hat das ganz anders erlebt. Dadurch, dass ich jetzt seit vielen Jahren in Sachsen lebe, habe ich viel mehr Verständnis für Menschen entwickelt, die in dieser Transformationsphase gelebt haben. Weil sie unter Umständen auch mit Westdeutschen schlechte Erfahrungen gesammelt haben. Wenn beispielsweise der Betrieb von einer Person aus Hessen abgewickelt wurde und sie dadurch Nachteile erlitten. Und die es nach wie vor als ungerecht empfinden, dass Löhne und Renten in Ost und West unterschiedlich sind. Ich habe dennoch nach wie vor keine Identität als Westdeutsche entwickelt. Ich empfinde das weiterhin als eine Fremdzuschreibung.
Welche Identität haben Sie denn entwickelt?
Vielleicht ist meine hessische Identität stärker geworden, seitdem ich in Sachsen lebe. Was aber auch eher damit zusammenhängt, dass ich unglaublich gerne esse und bestimmte Dinge nicht bekomme. Wenn ich rund um Ostern keine Kräuter für meine grüne Soße bekomme, die ich klassischerweise an Gründonnerstag esse, wenn ich Lust auf Apfelwein habe und den sächsischen Apfelwein nicht mag, weil er mir zu süß ist mit meiner hessischen Zunge (schmunzelt). Dann fällt mir das auf. Immerhin kann man hier Harzer Käse kaufen und sich damit Handkäs mit Musik machen. Funktioniert.
Vermissen Sie Bautzen?
Ja und nein. Natürlich vermisse ich einige Menschen. Ich lebe jetzt in Dresden, was durchaus gut pendelbar ist, um auch mal mit Menschen einfach in die Kneipe zu gehen oder aber jetzt die vielfältigen Proteste für Demokratie zu besuchen. Allerdings vermisse ich nicht die Anfeindungen und die schwierige Situation, als eher progressive Person in der Kommunalpolitik tätig zu sein, wo die Mehrheit doch eher rechtspopulistisch-verschwörungsideologisch unterwegs ist.
In Medienberichten über Ihre Zeit in Bautzen schienen immer wieder männliche Akteure als Antagonisten aufzutreten. Darunter waren der Bauunternehmer Jörg Drews oder Jörg Urban, Vorsitzender der AfD Sachsen. Marco Wruck, Republikaner und ehemaliger NPD-Kreischef, meldete sogar eine Demonstration mit dem Titel „Annalena im Stadtrat verhindern“ an. Glauben Sie, dass diese Feindseligkeit gegen Sie gerichtet war, weil Sie eine Frau sind?
Ich denke, dass es natürlich eine Rolle gespielt hat, dass ich eine Frau bin, die nicht in ihr Klischee-Frauenbild passt. In rechten Parteien haben wir es auch immer mit Antifeminismus zu tun. Ich weiß nicht, ob die genannten Männer es in der Form gemacht hätten, wenn ich ein Mann gewesen wäre. Ich denke aber schon, dass in der rechten Szene, aber auch in Teilen bei konservativen Politikern, immer noch ein Idealbild der Frau vorherrscht, möglichst viel Nachwuchs zu bringen und am Herd zu stehen. Da passt es natürlich nicht in das Bild dieser Männer, dass ich eine berufstätige Frau bin, die ihren Lebensmittelpunkt nicht mit Kind am Herd sieht, sondern aktiv mitmischt.
Ist es vielleicht auch eine bestimmte Form der Männlichkeit?
Es gibt Probleme in bestimmten politischen Gruppen mit einer toxischen Männlichkeit. Das ist dann zum Beispiel eine AfD, die unter anderem klar einen antifeministischen Kurs fährt. Wenn eine solche Partei in einer bestimmten Region hohe Zustimmungswerte erhält, ist natürlich die Anzahl derer, die die toxische Männlichkeit verkörpern, womöglich in den Regionen ebenfalls höher. Wenn wir dann in Bautzen 33 Prozent haben, die die AfD wählen, liegt es ja nahe, dass dort mehr toxische Männlichkeit zu finden ist als in Münster, wo die AfD bei der letzten Bundestagswahl unter 5 Prozent bekommen hat. Natürlich ist es in der Politik ein generelles Phänomen in den meisten Parteien, dass Männer überrepräsentiert sind. Dass auch in vielen weiteren Teilen abseits der Politik Führungskräfte meist Männer sind. Deshalb weiß ich nicht, ob es überhaupt bewusst war, dass so viele Männerstimmen, die Sie zitiert haben, Männer sind, die gegen eine Frau sind, sondern kann natürlich auch daran liegen, dass Jörg Urban, dass Jörg Drews, dass Alexander Ahrens einfach nur genannt wurden, weil sie als Mann in der Schlüsselposition sind und Bautzen eben keine Oberbürgermeisterin hat.
Die Bezeichnungen für Sie waren nicht nur „Linke“ oder „Anti-Demokratin“, sondern auch „Antifa-Schlampe“. Was empfanden Sie bei einer solch sexualisierten Sprache der Gewalt?
Es kamen viele Nachrichten, die meisten habe ich einfach nur gelöscht. Auch Vergewaltigungswünsche, die ich per E-Mail bekam. Wenn man sich für geflüchtete Menschen einsetzt, bekommt man auch E-Mails, wo einem – vermutlich – Männer wünschen, dass man von geflüchteten Menschen vergewaltigt wird. Ich habe das damals versucht und probiere auch heute noch, dies nicht nah an mich rankommen zu lassen. Weil ich mich damit nicht näher und täglich auseinandersetzen möchte. Es kommt jetzt noch manchmal, gerade auf X/Twitter, vor, dass mich solche Nachrichten erreichen, aber da bin ich einfach zum Selbstschutz ganz, ganz strikt, das einfach zu löschen und zu blocken.
Zeigen Sie solche Drohungen an?
Nicht immer. Anzeigen bedeutet auch immer, dass ich mich damit auseinandersetzen muss. Man muss dann gegebenenfalls eben nochmal Aussagen machen, meist vor männlichen Polizisten. Man muss sich Gedanken machen, dass man damit auch unter Umständen seine Privatadresse preisgibt. Und es nimmt Zeit in Anspruch, ganz unabhängig davon, wenn eine sensible weibliche Polizistin die Anzeige aufnimmt. Und leider sind auch einige Dinge von der Meinungsfreiheit gedeckt. Ich finde Meinungsfreiheit sehr wichtig. Wenn jemand der Meinung ist, dass ich vergewaltigt werden soll, dann ist das eben seine Meinung.
Sie erhielten auch sogenannte Dick-Pics, wie Sie twitterten.
Ich zeige Dinge an, die mich sehr bewegen. Das waren konkrete Drohungen, dass man mich vergiften wolle, die ich telefonisch erhielt oder Nachrichten, dass man plane, mir Säure ins Gesicht zu schütten. Oder auch „Dick Pics“, wenn diese nicht nur als einzelnes Bild gesendet werden, sondern massiv und dazu noch Nachrichten geschrieben werden, die weit unter der Gürtellinie sind.
Sie sagten dem Spiegel einmal über Bautzen: „Natürlich gibt es hier rechtsextreme Strukturen, Verschwörungstheoretiker und Rechtspopulisten, aber nicht in weitaus größerem Maß als in anderen Städten dieser Art und Größe.“ Würden Sie dieser Aussage heute noch zustimmen?
(Überlegt kurz) Ja. Je mehr ich auch durch meine politische Bildungsarbeit mitbekomme, gerade seit den Corona-Protesten und seitdem die Freien Sachsen so stark sind, habe ich doch mehr Einblicke, wie es in anderen Städten aussieht. Es sind sehr ähnlich gelagerte Dinge in anderen Städten.
Und wie schätzen Sie das im Vergleich Ost und West ein?
Bautzen steht für viele sächsische Städte. Wenn ich es aber mit einer hessischen Mittelstadt vergleiche, funktionieren die Dinge anders. Auch in Hessen gibt es beispielsweise in ländlichen Regionen wie dem Vogelsbergkreis auch hart rechte, rechtspopulistische, verschwörungsideologische Strukturen. Das geht in Hessen bis in die Polizei. Das haben wir auch in anderen Bundesländern. Aber wie reagiert die Mehrheit der Zivilgesellschaft darauf? In Teilen Hessens hat man, wie gesagt, eine viel aktivere Zivilgesellschaft als hier.
Sie sind 2020 nach Dresden gezogen. War es eine bewusste Entscheidung, in Sachsen zu bleiben?
Ich habe mich bewusst entschieden, in Sachsen zu bleiben und in Sachsen in die politische Bildungsarbeit zu gehen. Es gibt sehr viele Tage, an denen ich hadere. Wenn ich zum Beispiel die unsäglichen Äußerungen unseres Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) höre, dass er den Krieg Russlands gegen die Ukraine „einfrieren“ möchte … (atmet tief ein). Dann fällt es mir manchmal echt schwer. Ich wüsste aber im Moment auch nicht, wo ich sonst hinziehen soll. Ich lebe jetzt halt hier.
Wie fühlten Sie sich nach dem Umzug?
Es war sehr angenehm, nach dem Umzug einfach im Homeoffice zu arbeiten, sich Katzen zuzulegen (lacht) und in Ruhe den Job zu machen. Die Zeit in Bautzen war anstrengend, was mir jetzt aber auch die Motivation gegeben hat, wieder selbst politisch aktiv zu werden. Weil man natürlich zwischendurch reflektieren muss. War die Art, wie ich in Bautzen agiert habe, zielführend? Oder ist es besser, anders zu agieren, die Leute zu bestärken, aktiv zu werden? Sind niedrigschwellige Formate besser als Hau-Ruck-Aktionen, die vielleicht abschrecken?
Zu welchem Schluss kommen Sie?
Ich glaube schon, dass es zielführend war, rechte Strukturen klar als rechte Strukturen zu benennen. Man sollte aufrütteln. Ausgeblieben ist aber, dass mehr Menschen mitgemacht und gezeigt haben, dass die Mehrheit demokratisch unterwegs ist. Und dadurch, dass keine Mehrheit aufgestanden ist, blieb der Eindruck, da gibt es nur Verschwörungsideolog*innen und Rechte.
Was kann man ändern?
Manche Formate sind niedrigschwellig, wenn etwa Demo-Musik gespielt wird, die Teile der Bevölkerung abschreckt, weil die Musik sich gegen die Polizei richtet. Man sollte überlegen, welche Aktionsformate viele Menschen ansprechen. Ich habe dafür viel Kritik von sehr linker Seite bekommen. Ein Vorwurf war: „Kerzen abstellen ist kein Protest.“ Es hat aber Menschen aktiviert. Das ist das, wonach ich gerade suche. Eben das Aktivieren, das Empowern, das Bestärken, selbst aktiv zu werden.
Wenn Sie jetzt nach Hessen zurückziehen würden, hätten Sie die Sorge, dass sie anderen das Feld überlassen würden?
Nein. Eine Person verändert nicht die Welt.