Die Weihnachtsbotschaft: Im Dunkeln sehen lernen

Kaum ist die Pariser Kathedrale Notre-Dame nach dem verheerenden Brand vom Sommer 2019 mit Glanz und Gloria wiedereröffnet, gibt es Streit. Die Geister scheiden sich an sechs modernen Glasfenstern, die im südlichen Seitenschiff des mittelalterlichen Gotteshauses einige der „historischen“, aus dem 19. Jahrhundert stammenden Fenster ersetzen sollen. Tatsächlich bieten die Entwürfe von der bonbonbunten Farbgebung bis zu der comichaften Figürlichkeit allen Grund zu Empörung.
Doch kann man dem Disput über das Für und Wider auch eine konstruktive Perspektive ablauschen: Die Künstlerin Claire Tabouret hat sich immerhin der Aufgabe gestellt, einen der schwierigsten Stoffe des christlichen Glaubensbekenntnisses Form und Farbe zu geben: der Herabkunft des Heiligen Geistes auf die kleine Schar der Anhänger Jesu, kurz gesagt Pfingsten.
Moritz Götze hatte es da einfacher, und nicht nur er. In der Liebfrauenkirche im belgischen Mechelen ist seit Ende November ein Flügelaltar aus der Werkstatt des in Mitteldeutschland verwurzelten Künstlers zu sehen. Als dialogisch-modernes Gegenstück zu Rembrandt van Rijns „Wunderbarem Fischfang“ schöpft das Kunstwerk aus der bildmächtigen Fülle des biblischen Erzählens von Vergeblichkeit und Vertrauen.
In warmem, rubinrotem Licht
Andächtige Stille auch um Neo Rauchs Fensterminiaturen in einer Kapelle des Naumburger Doms. Sie tauchen die Erinnerung an die Werke der Barmherzigkeit der Heiligen Elisabeth, der Patronin Thüringens, in warmes, rubinrotes Licht. Der für den Chor mit den Stifterfiguren erneuerte Flügelaltar von Michael Triegel musste hingegen im Streit über den Status des Doms als UNESCO-Weltkulturerbe weichen. Mittlerweile steht der Altar, Ironie der Geschichte, im Vatikan.
Indes sind es nicht allein bildende Künstler, die die Spuren, die der christliche Glaube im Fühlen, Sehen und Denken Europas hinterlassen hat, nach ihrer Bedeutung für die Gegenwart befragen. Ungemein lebendig geht es in der zeitgenössischen Musikszene zu. Das Œuvre des estnischen Komponisten Arvo Pärt, dessen Chorwerke weltweit zu den meistaufgeführten zählen, lebt aus der Sehnsucht nach Erfüllung und tieferem Sinn. Ohne die Glaubens- und Gebetstradition des westlichen wie des östlichen Christentums wäre sein Klangkosmos um vieles ärmer.
Von innen her immer leerer
Die unglaubliche Botschaft von der Selbstmitteilung Gottes mag einen Menschen, wenn überhaupt, am ehesten im Schauen und im Hören berühren. Das spricht aber nicht gegen die vielen Manifestationen von Kirche als einer über Jahrhunderte gewachsenen Sozialgestalt des Glaubens. Im Gegenteil. Sinn braucht Form. Aber im kombinierten Modus von politischer Hypermoral, regressiver Stuhlkreiswohligkeit und als „Synodalität“ camouflierten Statuskämpfen ist nichts zu gewinnen. Die Leere, die viele Kirchenräume ausstrahlen, ist immer öfter ein Sinnbild einer Organisation, die auch von innen her immer leerer wird.
Doch könnte darin auch eine Chance liegen. Dann nämlich, wenn die Kirchen aufhörten, in der Klage über ein vermeintlich unabweisbares Schicksal namens Säkularisierung weiterhin ihr eigenes Grab zu schaufeln. Das selbstverliebte Lamento angeblicher religiöser Virtuosen ist buchstäblich abstoßend – zumal es manches übertönt, was sich an Neuem Gehör verschaffen will und sich deshalb außerhalb der Kirchen Bahn bricht.
Über dem Starren auf Statistiken, Bilanzen und Immobilienkennziffern droht auch der Blick darauf verloren zu gehen, was den Mehrwert gerade von Kirchenräumen ausmachen kann. Gerade weil sie so leer sind, können sie doch vielem und vielen einen Ort geben, woran es draußen immer mehr mangelt. Nicht nur in heißen Sommern könnten sie „cool places“ sein, sondern im übertragenen Sinn auch Orte der Abkühlung in einer Gesellschaft, in der Aggressivität und Gruppenegoismen immer unvermittelter aufeinanderprallen. Und in Zeiten zunehmender soziale Kälte Zonen der Wärme.
Schutzraum Kirche
Und wenn die Reizüberflutung der Weihnachtszeit wieder einmal jedes Maß sprengt, dann kann die Kirche einen Schutzraum all jenen bieten, denen der Sinn nicht nach „O Du Fröhliche“ ist. Sie kann dazu bringen, auf die Stille zu hören, im Dunkeln sehen zu lernen, sie kann in der Musik das Unsagbare erklingen lassen und die Geschichte Gottes mit den Menschen in Bildwelten immer wieder neu erstrahlen lassen – und sei es im Anblick eines wehrlosen Kindes, in dem Gott Mensch werden wollte.
Auch wenn diese Botschaft nichts von all dem Bösen verhindert, was Menschen noch heute Menschen antun, so muss sie immer wieder neu erzählt, gemalt und gesungen werden. Ohne sie gäbe es auf dieser Welt noch viel mehr Elend als ohnehin.
Source: faz.net