Die Tops und Flops dieser Emmy-Nominierungen

Wie alles in letzter Zeit, ob Politik oder Kultur, bot auch die jüngste Bekanntgabe der Emmy-Nominierungen Anlass für Klagen in zwei einander entgegengesetzte Richtungen. Einerseits gab es ein großes Abwinken angesichts der vielen Nominierungen für Serien, über die gefühlt niemand je gesprochen hat. Die blasse 60er-Jahre-Eine-Frau-will-nach-oben-Satire Palm Royale unter den besten Comedy-Serien? Der Downton-Abbey-Abklatsch The Gilded Age nominiert als beste Drama-Serie? Neun Nominierungen für Schauspieler*innen in Haupt-, Neben- und Gastrollen in der dritten Staffel der wenig populären The Morning Show? Für die Kulturpessimisten ist das Wasser auf die Mühlen ihrer Lieblingsklage: Es zerfällt alles in Nischen, es gibt keine Monokultur mehr! Jeder schaut ständig gerade was anderes!

Andererseits lässt sich genau das Gegenteil diagnostizieren: Rechnet man die „technischen“ Disziplinen wie Make-up, Kostüme oder Klangdesign dazu, bildet die Tabelle mit Shōgun (insgesamt 25 Nominierungen) und The Bear (23) ganz oben dann doch genau das ab, worauf sich „alle“ irgendwie einigen können.

Man kann das Hin und Her zwischen Top und Flop fortsetzen: Auf der einen Seite gibt es zu viel „Content“ in allen Sparten, wobei man sich des Eindrucks erdrückender Mediokrität kaum erwehren kann. Auf der anderen lässt sich eine Hitliste aller Kategorien zusammenstellen, auf der neben Shōgun und The Bear Titel wie Ripley, Baby Reindeer, Reservation Dogs und Slow Horses stehen, die nur einen Schluss zulässt: Was für ein toller Jahrgang das mal wieder war, geprägt von echter Vielfalt und künstlerischem Wagemut!

Ein japanisches Kostüm-Drama, in dem kaum Englisch gesprochen wird wie Shōgun, eine Miniserie über doppelt traumatisierende Missbrauchserfahrungen wie Baby Reindeer, eine in strengem Schwarzweiß gehaltene Literaturadaption, die sich Zeit lässt und die unbedingte Aufmerksamkeit des Zuschauers fordert wie Ripley. Und The Bear, von dessen aktuell veröffentlichter dritter Staffel viele enttäuscht sind, das aber in seiner hochgelobten zweiten Staffel auf eine Weise von Familien und Kochen, von Stress und von Erleuchtungen erzählte, die über Gesellschaftsschichten und Ländergrenzen hinweg Menschen erreichte.

Als quasi-sportlicher Wettbewerb der Sender und Streamingportale geht von den Emmys für den Betrachter aus Europa nur begrenzt Spannung aus. Dass der Bezahlsender FX als Produzent der zwei großen Hits des Jahres, Shōgun und The Bear, Rekorde gebrochen hat, besitzt wenig Aussagekraft, wenn man die Serien hierzulande mit Disney+ assoziiert. Die Tatsache, dass Netflix in der Gesamtwertung aller Nominierungen die Nase vorn hat, gefolgt von besagtem FX, und dass sich HBO nun auf dem dritten Platz wiederfindet (was zuletzt 1991 der Fall war), macht dagegen auch den Serienfan hierzulande betroffen.

Über lange Jahre hatte HBO die Emmys dominiert mit seinen Qualitätsserien, als deren Erfinder der Kabelsender in mancher Hinsicht sogar galt. Das Zurückfallen hinter Netflix und FX lässt sich dabei nicht allein durch Streik-Folgen wegerklären. Auch wenn ohne den monatelangen Produktionsstillstand im vergangenen Jahr HBO mit der dritten Staffel von The White Lotus und der zweiten von The Last of Us wohl ein paar Nominierungen mehr bekommen hätte.

Wer sich tiefer hineinbegibt in die Emmy-Analyse, findet überall Krisenzeichen: Netflix mag in der Gesamtzahl vorn liegen, aber mit der letzten Staffel von The Crown verlässt einer der zuverlässigsten Preis-Magneten das Portal. Ein Problem, das auch FX, wo sich die Reservation Dogs verabschieden, und HBO mit der finalen Staffel von Curb your Enthusiasm kennen. Aber um ein letztes Mal umzuschalten von der Düsternis des „Nichts ist mehr so, wie es mal war“ auf ein helleres „Das gab’s noch nie“: Was Frauen- und Minderheitenrepräsentation anbelangt, erzielten die Nominierungen dieser 76. Prime Time Emmy Awards neue Rekorde, darunter besonders für Native Americans.

Besonders erfreulich dabei, dass dafür nicht nur eine einzige Serie wie Reservation Dogs verantwortlich ist, sondern mehrere Titel. So sind Kali Reis (für True Detective: Night Country) und Lily Gladstone (für Under the Bridge) tatsächlich die ersten indigenen Schauspielerinnen überhaupt, die je für einen Emmy nominiert wurden. 2024!