Die Schöne und welcher Beat: Wieso wollen so viele Models Popstar werden?
Im Punk heißt es: Jeder kann ein Musiker sein. Aber um kurz zu zeigen, dass das vielleicht doch nicht so stimmt, hören Sie einfach Kim Kardashians Single „Jam (Turn It Up)“ aus dem Jahr 2011: ein lethargischer Pop-EDM-Track, der zugleich befremdlich und überreizt wirkt.
Man kann es Kardashian nicht verübeln, sich im Pop versucht zu haben. Die Popgeschichte ist übersät mit Models, Prominenten und Boulevardfiguren, die glaubten, qua Musik noch berühmter zu werden. Oder noch schlimmer: gar dachten, musikalisches Talent zu besitzen. Für jede Karen Elson, die aus ihrer Modelkarriere eine erfolgreiche Karriere als Alt-Country-Liebling aufbauen konnte, gibt es mindestens eine Tyra Banks, die angeblich sechs Jahre lang versuchte, in der Popmusik Fuß zu fassen, und dabei nur einen einzigen Song zu Stande brachte: das klägliche „Shake Ya Body“.
Wenn Paris Hilton noch berühmter werden will
Nichtsdestotrotz ist das Narrativ des Models, das zur Sängerin wird, ein Karrieremove, der nicht totzukriegen ist. Nun erscheint das zweite Album von Paris Hilton Infinite Icon, der Nachfolger des 2006 erschienenen und viel gescholtenen Paris, das uns die mittlerweile kultige Single „Stars Are Blind“ bescherte. Auch Suki Waterhouse hat ein neues Album. Ihre Musikkarriere ist mit 500 Millionen Streams allein auf Spotify so unverschämt erfolgreich, dass ein Großteil ihrer Gen-Z-Fangemeinde wahrscheinlich nicht einmal von ihrem früheren Leben als Gesicht von Burberry weiß.
„Wenn man schon so berühmt ist, wollen viele in etwas investieren, mit dem man noch mehr Geld verdienen kann“, sagt Rich Juzwiak, ein Journalist, der schon ausführlich über Hiltons ausgedehnte geschäftliche Unternehmungen berichtet hat. „Für die meisten ist es wahrscheinlich nicht viel anders als eine Investition in Immobilien. Man bekommt ein bisschen mehr von seinem öffentlichen Ego zurück und will das eigene Portfolio diversifizieren. Viele glauben aber, dass das ein Selbstläufer ist.“
Samantha Fox ist laut Juzwiak das einzige Model, das zur Musikerin wurde und damit „eine tragfähige Popkarriere“ starten konnte. Ihr 1986 veröffentlichter Song „Touch Me (I Want Your Body)“ erreichte Platz 3 der britischen Charts. „Sie ist die eigentliche Blaupause, und ein Grund dafür ist, dass sie keinen Hehl aus ihrer Karriere als Seite-3-Model machte.“ Fox war bekannt für ihre Oberweite und Oben-Ohne-Fotos in der Boulevard-Zeitung Sun. „Sie wurde als Frau in der Öffentlichkeit sehr sexuell wahrgenommen, dieses Image hat sie musikalisch aufgegriffen, was erstaunlich gut funktioniert hat.“ Noch erfolgreicher darin war nur Grace Jones, den Sound zu finden, die zu ihrem dramatischen, sogar furchterregenden Auftreten passte. Ihre Popkarriere erstreckt sich von den späten 70er Jahren bis heute.
Die Musik auf die Geschichte der eigenen Karriere zuzuschneiden, so Juzwiak, funktioniert in der Regel besser, als sich einfach einen Top-Producer zu suchen und auf einen Chart-Erfolg zu hoffen. Als das US-amerikanische Model, Schauspielerin, Boulevardfigur, Künstlerin, Podcasterin, Designerin und Autorin Julia Fox in diesem Jahr ihre Debütsingle „Down the Drain“ veröffentlichte, fühlte es sich eher wie eine Kuriosität an. Es wirkt weniger wie ein Wunsch, etwas Außergewöhnliches zu schaffen, als viel mehr ein Versuch, Popstar zu werden. Den Songs stellte Fox bei der Boiler-Room-Show von Charli xcx in Brooklyn vor und ließ Berichten zufolge die Lautsprecher platzen. Ein Bianca-Jagger-im-Studio-54-Moment für die online-affine Zoomer-Crowd.
Top-Producer und Elefanten im MTV-Clip reichen nicht
In den meisten Fällen jedoch streben Model-Musikerinnen die Spitze der Charts an. Aber das klappt selten sonderlich gut. Vier Jahre nach ihrem Auftritt auf dem legendären Supermodels-Cover der Vogue, veröffentlichte Naomi Campbell 1994 ihr erstes – und bisher letztes – Album Baby Woman. Aber selbst angesagte Produzenten wie Gavin Friday, Tim Simenon und Youth, alias Martin Glover, sowie ein Video, in dem Campbell in Begleitung von Elefanten typisch umwerfend aussieht, reichten nicht aus, um das Album vor der kommerziellen Vergessenheit zu bewahren. Es schaffte auch nicht den Sprung in die britischen Charts.
Glover sagt, dass Erfolg nie ein Garant ist, wenn man ein Pop-Album macht. Selbst wenn man einer der berühmtesten Menschen der Welt ist: „Das ist wie ein Solo-Album von Mick Jagger, das niemand kauft.“ Bei der Arbeit mit Campbell an Baby Woman, einer Coverversion von „Sunshine on a Rainy Day“, das er 1990 mit seiner damaligen Frau Zoe geschrieben hatte, arbeitete Glover in einem Fünf-Zimmer-Studio in Brixton und beschäftigte etwa 15 Mitarbeiter. „Ich habe den Ort noch nie so aufgeregt gesehen, wie als Naomi hereinkam – der ganze Ort war unter Spannung. Jemand, der eine solche Reichweite hat, umgibt eine Art verzauberte Atmosphäre“, sagt er. Aber der Star des Tages war nicht das Supermodel: „Was Naomis Charisma und Begeisterung noch in den Schatten stellte, war ihre Mutter. Sie war fast noch schöner als Naomi und ebenso charmant. Es war ein großer Spaß.“
Eine Ausnahme in der Musikgeschichte. Das Topmodel Grace Jones machte als Musikerin Weltkarriere
Foto: George Rose/Getty Images
Nichtsdestotrotz sagt Glover, dass Campbell „im Grunde eine Melodie halten konnte – das war in den Tagen vor AutoTune“. Und ergänzt, dass es durchaus einfach war, mit ihr zu arbeiten, trotz ihres nicht immer guten Rufs. „Sie war sehr einfach zu dirigieren. Sie ist keine Céline Dion, aber das war Brigitte Bardot auch nicht“. Bardot hatte in ihrer Heimat Frankreich mit Serge Gainsbourg einige Hits. „Der Song war nicht so anspruchsvoll, dass es kompliziert geworden wäre, und sie hat ihn mit viel Gefühl gesungen. Das war schonmal großartig.“
„Man hat es oder man hat es nicht“
Evan Dando von den Lemonheads hingegen sagt: „Ich habe 20 Jahre lang gekokst und mit Models abgehangen, daher weiß ich eine Menge über das Thema“. Als langjähriger Freund von Kate Moss brachten er und der Produzent Gibby Haynes das legendäre Model dazu, auf dem 2009er Coveralbum der Lemonheads den Song „Dirty Robot“ des niederländischen Elektronikduos Arling & Cameron zu singen. „Kate ist klug, sie ist wie das Mädchen von nebenan: Sie ist schön, ja, aber ich glaube, es ist wirklich ihr Verstand, der sie dahin gebracht hat, wo sie heute ist“, sagt Dando.
Moss höre lieber Musik, als sie zu machen, so Dando, war aber dennoch an Projekten mit Bands wie Oasis, Primal Scream und Babyshambles, dem Soloprojekt ihres Ex-Freundes Pete Doherty, beteiligt. „Sie würde am liebsten ihr Bein hochstellen und dabei so tun, als wäre es eine Gitarre. Sie ist ein großer Musikfan“, sagt Dando. „Als wir in Jamaika waren, war sie die ganze Nacht wach und sang mit mir. Sie liebte es, „Sweet Jane“ von Velvet Underground immer und immer wieder zu singen oder sich neue Texte zu „My Favourite Things“ aus The Sound of Music auszudenken. Sie kann das auch visuell sehr gut umsetzen. Einmal lief ein Natalie-Imbruglia-Song. Sie ging los, kam wie sie verkleidet zurück und hatte sogar die gleiche Frisur.“
Auch Dando findet, Karen Elson aus Lancashire sei ein Paradebeispiel für ein Model, das mit ganzem Herzen Musik machen will. „Hübsche Mädchen machen gerne Fotos von ihren Füßen, was aber nicht heißt, dass sie Fotografinnen sind“, sagt er. „Und diejenigen, die kein Talent haben, hören irgendwann auf. Aber die, die wirklich Talent haben, werden bei der Musik bleiben.“
Engagement ist das, was die Spreu vom Weizen trennt, sagt Juzwiak. Er verweist auf Hiltons „Stars Are Blind“ – ein Hit, aber kein unausweichlicher Knüller, als er veröffentlicht wurde: „Der Song ist gut, aber ich glaube nicht, dass Paris Hilton der Grund ist, weshalb der Song gut ist. Sie liefert ihn und hat ihn nicht versaut. Ich hingegen könnte mir gut vorstellen, wie Gwen Stefani diesen Song singt und ihn sich zu eigen macht, denn sie hat dieses Pop-Moment, das sie so einzigartig macht.“
Natürlich gehört zum Pop-Star-Dasein weit mehr, als nur gut vor der Kamera auszusehen. „Man hat es oder man hat es nicht“, resümiert Juzwiak, „Und man findet sehr schnell heraus, sobald man die Bühne betritt, ob man es hat oder nicht.“