„Die Professionelle stoppte im Zusammenhang 25 Liebhabern, da legte die Kaiserin erst richtig los“
Schon in den Epen Homers geht es um Blut, Gewalt und Sex. Derartige Exzesse durchziehen die gesamte Antike, von der Demokratie der Griechen bis zum Imperium Roms. Zwei Fachleute haben diese „verdammt blutige Geschichte“ zusammengefasst.
Vor die Wahl gestellt, ob sie lieber mit Cicero oder mit Caesar in die Untiefen der lateinischen Sprache eingeführt werden wollten, dürften sich viele Schüler neuhumanistischer Bildungseinrichtungen wohl für Caesar entschieden haben. Statt raumgreifender Rhetorik und spitzfindiger Argumentation wie der philosophierende Redner Cicero bot der Feldherr und spätere Diktator Caesar Kriegslisten, Schlachten, Massaker; heute würde man das Action nennen. Dies vor Augen haben zwei ausgewiesene Kenner der Alten Geschichte zusammen ein Buch geschrieben, das, wie es im Vorwort heißt, wenig mit den „drögen, vielleicht gar moralinsauren Darstellungen zu tun hat“, in die politisch korrekte Abhandlungen heute schnell abdriften: „Wer sollte sich solch eine Lektüre antun?“
„Die verdammt blutige Geschichte der Antike“ (C. H. Beck, 364 D., 26 Euro) von Michael Sommer und Stefan von der Lahr versteht sich als Gegengift. Der Professor für Alte Geschichte an der Universität Oldenburg und der langjährige, inzwischen pensionierte Lektor für Altertumswissenschaften beim Verlag C. H. Beck in München präsentieren die Antike unter dem Blickwinkel einer gewalttätigen, ja mörderischen Zeit. Um dies erträglich und für die anvisierte Zielgruppe verständlich zu machen, geben die Autoren den Lesern eine Warnung auf den Weg: „Dieses Buch kann Spuren von Gewalt, sexuelle Inhalte, Schimpfwörter und politische Unkorrektheiten aller Art enthalten, ist dafür aber garantiert zucker- und kalorienfrei.“
Das zeigt schon die Geschichte, die am Anfang der europäischen Literaturgeschichte steht: die vor 700 v. Chr. entstandene „Ilias“ des Homer, mehr als 15.500 Verse, die vor lauter Körperflüssigkeiten überquellen. Der zehn Jahre dauernde Krieg der Griechen gegen die Trojaner war eben nicht nur ein poetisches Meisterwerk. Sondern es beschreibt drastisch, wie Kämpfern die Zunge von der Wurzel abgeschnitten wird, die Spitze einer Lanze die Sehnen durchreißt oder der letzte Wirbel und die beiden Sehnen durchtrennt werden, während der Kopf vor dem Torso zu Boden fällt. Das strenge Versmaß des Hexameters kaschiert nichts: „Den weißlichen Schädel zerspaltend / schlug sie die Zähne heraus, und beide Augen erfüllte / strömendes Blut.“
Die Annahme, dass der Fortschritt der Zivilisation dafür sorgte, dass dieser Ur-Mythos der Griechen mit der Zeit hinter humaneren Umgangsformen verschwand, wird von den Quellen nicht gedeckt. Im Gegenteil. Als die Bewohner der Kykladeninsel Melos sich 416 weigerten, dem Seebund der demokratischen Großmacht Athen beizutreten, löschte deren Heer die Stadt aus.
Frauen und Kinder wurden in die Sklaverei verkauft, die Männer getötet. Der Athener Historiker und General Thukydides lieferte die Begründung: „Wo immer Überlegenheit da ist, (wird) unter dem Druck einer naturgegebenen Notwendigkeit Herrschaft aus(ge)übt … wir machen davon Gebrauch.“ Wladimir Putin würde sich die Sätze vermutlich rot anstreichen.
Das gilt auch für die einschlägigen Passagen aus der römischen Geschichte. Nachdem sich Caesars Erben Marcus Antonius, Octavian und Lepidus 43 v. Chr. zum Triumvirat zusammenschlossen, veröffentlichten sie Listen, auf denen sie zur profitablen Jagd auf ihre innenpolitischen Gegner bliesen. Ihr prominentestes Opfer wurde Cicero. Man schlug ihm Kopf und Arme ab und trug die Trophäen zu Antonius, der die Gabe mit Freudenschreien quittierte.
Die sind auch von Messalina, der Gattin des Kaisers Claudius, überliefert, die sich in den 40ern des 1. Jahrhunderts für ihren Lustgewinn auf einen Wettstreit mit einer erfahrenen Sexarbeiterin einließ. „Bei der professionellen Dame war nach 25 Liebhabern Schluss, Messalina legte da erst richtig los.“ Für all diese Informationen wird wissenschaftlich korrekt auf die einschlägigen Quellen und seriöse Sekundärliteratur verwiesen.
Doch die Autoren belassen es nicht bei einer Tour d‘Horizon durch die Skandalgeschichte der griechisch-römischen Antike. Sie nutzen die Aufmerksamkeit ihrer Leser, um wiederholt innezuhalten und ihnen gerafft einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung zu bieten. Lange wurden zum Beispiel Mythen wie die von der Einwanderung der Dorer nach 1200 v. Chr. auf die Peloponnes als Erinnerungen an historische Prozesse verstanden. Inzwischen deutet man derartige Erzählungen als „intentionale Geschichte“, Konstruktionen, mit denen wie in Sparta Identität geformt oder Herrschaft legitimiert wurde.
Oder „Brot und Spiele“ in der Arena. Die blutigen Tierhetzen und Gladiatorenspiele dienten eben nicht einfach der Zufriedenstellung der Massen, sondern traten in der römischen Kaiserzeit als Ort der Kommunikation zwischen Volk und Herrscher an die Stelle des Forums, wo in der Republik die politischen Entscheidungen gefällt wurden. „Ob ein bei den Zuschauern beliebter Gladiator am Leben gelassen wurde oder nicht, war für viele eine Entscheidung, die fast so wesentlich war wie die Frage: Krieg oder Frieden? Der Herrscher, so mächtig er war, entschied deshalb nicht souverän über das Schicksal eines Gladiators.“
Die blutigen Spiele waren ein Ritual, in dem sich die römische Zivilisation feierte. „Rom: Das war Ordnung, Hierarchie, Recht, Frieden – in jeder Beziehung das Gegenteil der Barbarei, ja Wildheit, die jenseits der römischen Grenzen herrschte.“ Diese Perspektive hat noch heute einiges für sich. Schließlich hatten die Römer ihr Imperium so gut organisiert, dass es als Weltmacht 700 Jahre Bestand hatte. Die attische Demokratie brachte es immerhin auf 200 Jahre. Die Vorliebe antiker Autoren für brutale Erzählungen erklärt sich nicht zuletzt dadurch, dass „viele Intellektuelle der Antike die Geschichte als permanenten Kampf gegen den Abstieg, ja den moralischen Ruin“ sahen, schreiben Sommer und von der Lahr.
Kritiker haben den beiden vorgeworfen, sich eines saloppen, unzeitgemäßen, ja anbiedernden Stils zu bedienen. Wer so argumentiert, muss sich allerdings fragen lassen, wie er denn aktuelle und zukünftige Generationen für die Themen der Altertumswissenschaften interessieren will. Dem erklärten Ziel, mit ihrem Buch die Geschichte der Antike für ein breites, wenig vorgebildetes Publikum aufzubereiten, sind Sommer und von der Lahr offenbar näher gekommen, wie die Amazon-Bestseller-Liste belegt.
Schon in seiner Geschichts-Promotion beschäftigte sich Berthold Seewald mit Brückenschlägen zwischen antiker Welt und Neuzeit. Als WELT-Redakteur gehörte die Archäologie zu seinem Arbeitsgebiet.
Source: welt.de