Die Partei, die zu oft „Alarm!“ rief

Donald Trump agiert rücksichtsloser denn je. Doch Amerikas Demokraten können ihm kaum etwas entgegensetzen. Kein Wunder: Mit ihrem ständigen Alarmismus während Trumps erster Amtszeit haben sie ihre Glaubwürdigkeit als Oppositionskraft verspielt.
Als schwarze Pädagogik noch salonfähiger war, erzählte man Kindern gern die Fabel vom Hirtenjungen und dem Wolf. In der Geschichte ruft ein Junge „Wolf!“, doch als die Dorfbewohner zu Hilfe eilen, stellt sich heraus, dass der Lausbub aus Langeweile gelogen hatte. Als dann später wirklich ein Wolf angreift, werden seine Hilfeschreie ignoriert, und der Junge wird vom Wolf verspeist.
Eine Geschichte, die sich die US-Demokraten dieser Tage ins Gedächtnis rufen sollten. Der frisch wieder vereidigte Präsident Donald Trump macht sich in Windeseile daran, den amerikanischen Staat nach seinen Wünschen umzubauen. Er entlässt Beamte, die für die Kontrolle der Bundesbehörden zuständig sind und versucht, im Verwaltungsapparat unbequeme Beamte loszuwerden. Er will vom Kongress bereits genehmigte Gelder zurückhalten und erlaubt Tech-Milliardär Elon Musk und den Mitarbeitern seiner demokratisch nicht legitimierten Effizienz-Behörde, sich in die Systeme von Bundesministerien zu hacken.
Doch die Opposition dagegen fällt auffallend zaghaft aus. Ein paar Pressekonferenzen, ein paar Tweets, ein paar Fernsehauftritte. Ansonsten fällt den Demokraten nicht viel ein zu Trumps Gebaren. Demonstrationen auf den Straßen gibt es nur sporadisch – und wenn, dann mit überschaubaren Teilnehmerzahlen. Ganz anders als während Trumps erster Amtszeit, als Protestzüge die Straßen füllten und die Demokraten im Kongress Trumps Agenda entschieden entgegentraten.
Aber dieses Mal ist alles anders. In der „New York Times“ beschwerten sich Parteivertreter gar darüber, dass man keine kohärente Strategie habe. Dabei wäre jetzt der Moment, in dem Widerstand nötig wäre. Denn Trump geht in seiner zweiten Präsidentschaft rücksichtsloser vor als während seiner ersten. Er will sogar das Nachbarland Kanada zu einem US-Bundesstaat machen.
Dass es dieses Mal keine breite „Resistance“ gibt, liegt unter anderem an der alarmistischen Oppositionsarbeit während Trumps erster Amtszeit. Es waren die Demokraten, die damals sinnbildlich so oft „Wolf!“ riefen, dass ihnen jetzt kaum noch jemand glaubt.
Zwischen 2017 und 2021 versuchte die Partei nach Hillary Clintons Niederlage zum Beispiel über Jahre das Narrativ zu verankern, Trumps Präsidentschaftskampagne habe mit der russischen Regierung zusammengearbeitet. Am Ende blieben nach langen Ermittlungen für diese Behauptung kaum belastbare Indizien übrig. Das erste Amtsenthebungsverfahren überschattete die sonstige Oppositionspolitik. Eigene Themen setzten die Demokraten kaum und polterten stattdessen täglich mit neuen Belanglosigkeiten gegen den Präsidenten.
Wochenlang hielt man Ende 2018 die Verabschiedung des Haushalts auf, nur weil man Trump keinen geringen Milliardenbetrag für seinen Mauerbau liefern wollte, und verhinderte jede sinnvolle Migrationsreform. Fast täglich hörte man Politiker im Fernsehen erschüttert feststellen, dass irgendeine von Trumps Handlungen „noch nie dagewesen“ sei – was in vielen Fällen nicht einmal stimmte. Die Demokraten verschossen ihr Pulver mit falscher Themensetzung und dramatischen Übertreibungen unnötig.
Der „Resistance“ geht die Luft aus
Nun, da Trump wirklich gefährlich ist, unterstützt von fanatischen MAGA-Aktivisten in Regierung und Kongress sowie einem rechten Milliardär, der seine Social-Media-Plattform X als Vehikel zur politischen Einflussnahme einsetzt, geht der „Resistance“ die Luft aus. Keine Massenmobilisierung zu Protestzügen in Washington, keine Fundamentalopposition. Ganz im Gegenteil. Teile der Demokraten arbeiten sogar mit Trump zusammen und stimmten zum Beispiel für ein Gesetz, das die Internierung straffälliger illegaler Einwanderer erleichtert.
Vergleicht man diese Oppositionsarbeit mit den Demokraten vor acht Jahren, wirkt der Widerstand zahm. Ganz zu schweigen von der unbarmherzigen Blockade-Politik der Republikaner, die während Joe Bidens Amtszeit alle legislativen Register zogen, um die Arbeit der Regierung zu behindern.
Doch es ist auch die eigene Verlogenheit, die den Demokraten nun auf die Füße fällt. Denn dass die Partei in Teilen Migrationsgesetzen zustimmt, die sie vor ein paar Jahren noch abgelehnt hätte, liegt nicht etwa an einem Sinneswandel. Nein, spätestens seit der Wahl ist klar, dass die Amerikaner weitgehend unkontrollierte Migration ablehnen – und Veränderung einfordern.
Auch die Gleichgültigkeit vieler Demokraten gegenüber Trumps Vorgehen gegen Diversity-Programme lässt sich mit Opportunismus erklären. Die dozierende, institutionell verordnete Wokeness hat ihren Beitrag zu Trumps Wahlsieg geleistet, deshalb wollen dessen Gegner nicht mehr mit der Regenbogen-Politik assoziiert werden. Ein Sinneswandel ist das ebenfalls nicht.
Und auch die nun vorgebrachte Kritik am Einfluss von Milliardären auf Donald Trumps Politik wirkt verlogen, schließlich nehmen die Demokraten selbst gern Gelder von reichen Spendern entgegen und wollen das auch weiterhin tun, wie der neue Partei-Chef Ken Martin bekräftigte. Offenbar mangelt es an inhaltlichen Überzeugungen, anhand derer man eine Oppositionsstrategie entwickeln könnte.
Partei will sich offenbar nicht neu erfinden
Nichts deutet darauf hin, dass die Demokraten sich nach ihrer krachenden Niederlage neu erfinden werden – auch nicht personell. In Senat und Repräsentantenhaus geben dieselben Führungsfiguren den Ton an wie vor der Wahl. Und in der internen Aufarbeitung des Kamala-Harris-Desasters scheint man zu dem Schluss gekommen zu sein, dass man hauptsächlich daran gescheitert sei, die eigene „Botschaft“ zu verkaufen, anstatt die Frage zu diskutieren, ob man nicht seit Jahren auf die falsche Botschaft und das falsche Personal setzt.
Der 74-jährige Noch-Immer-Fraktionschef im Senat, Chuck Schumer, sagte gar: „Trump wird es bald in den Sand setzen“, so als müsse man nur darauf warten, dass sich die eigenen Probleme von selbst lösen. Wer derart ambitionslos in der Opposition agiert, von dem kann man auch in der Regierung wenig erwarten.
Die einstigen Nachwuchshoffnungen der Demokraten bleiben farblos oder werden an den Rand gedrängt. Alexandria Ocasio-Cortez, die junge – ehemals linke und jetzt eher linksliberale –Abgeordnete aus New York hat trotz Anbiederung an das Parteiestablishment nicht einmal eine Führungsposition in einem Ausschuss des Repräsentantenhauses bekommen.
Kamala Harris ist abgetaucht
Diesen Job vergab die Fraktionsleitung der Demokraten lieber an einen krebskranken 74-jährigen Abgeordneten. Erneuerung sieht anders aus. Die gescheiterte Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris ist abgetaucht und erwägt Medienberichten zufolge, bei der Gouverneurswahl in Kalifornien 2026 zu kandidieren. Und der aus dem Amt geschiedene gescheiterte Ex-Präsident Joe Biden heuert bei einer Künstleragentur an, um seine Berühmtheit zu vermarkten.
Am ehesten könnten noch die erfolgreichen Gouverneure der Partei, etwa Andy Beshear (Kentucky), Josh Shapiro (Pennsylvania) oder Gretchen Whitmer (Michigan) eine neue Opposition gegen Trump anführen.
Aber alle drei sind nicht in Washington, wo politisch die Musik spielt. Also bleibt es an der ausgebrannten Establishment-Truppe in der Bundeshauptstadt, die Partei auf ihre neue alte Rolle als MAGA-Korrektiv einzustellen. Eins sollten sie inzwischen gelernt haben: nur „Wolf“ zu rufen, wenn wirklich Gefahr droht.
Jörg Wimalasena ist Politischer Korrespondent bei WELT. Er berichtet über die USA und Soziales.
Source: welt.de