Die französische Regierung von Michel Barnier steht vor dem Scheitern, zweite Geige welcher Präsident


Wenn es für Frankreichs Premier Michel Barnier schon ins Misstrauensvotum geht, dann nur mit perfekt sitzender Maske

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Seit Emmanuel Macron im Juni nach dem desaströsen Abschneiden seines Regierungslagers bei der Europawahl vorgezogene Parlamentswahlen verfügte, scheint sein politischer Abstieg besiegelt. Frankreich wird langsam unregierbar

Emmanuel Macron trägt Sorge dafür, dass bei Frankreichs chronischer Regierungskrise eine Gewissheit nicht schwindet. Er selbst wird seinen Gegnern nicht den Gefallen tun, die Segel zu streichen. Noch hat er Zeit. Neuwahlen sind nach der Verfassung frühestens im Juli 2025 wieder möglich, folglich kann für ein halbes Jahr weiter mit Minderheitskabinetten manövriert werden. Auch eine geschäftsführende Regierung von Premier Michel Barnier könnte versuchen, einen vorläufigen Notetat durchs Parlament zu bringen. Zweifel sind angebracht, ob das gelingt.

Umso mehr muss die Frage erlaubt sein, ob mit Frankreich ein EU-Kernstaat Richtung Unregierbarkeit driftet. Feststeht, ein Regieren ist ohne Konzessionen an die Parteien der Neuen Volksfront oder an Marine Le Pens Rassemblement National nicht mehr zu haben. Jeder Premier, den Macron künftig aufbietet, ist vom Scheitern bedroht. Auch wenn dieses und jenes Personal denkbar ist, das Le Pen vielleicht besser gefälltals anderes.

Michel Barnier wollte das Defizit im Staatshaushalt von jetzt mehr als 6,2 auf 5,0 Prozent dank einer Melange aus Steuererhöhungen und Sparzwang senken. Im Prinzip richtig. Er musste handeln, nicht vorrangig wegen der Höhe des Haushaltsdefizits, der Schuldenquote von 109,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, nicht einmal wegen der Schuldensumme von insgesamt 3,2 Billionen Euro. Die kann ein reiches Land tragen, zumal die französische Wirtschaft 2024 um 1,1 Prozent wächst, die Inflationsrate im Schnitt bei 2,0 und die Arbeitslosenquote bei 7,4 Prozent liegt, was in der EU mittlere Werte sind. Auch zieht man mehr Auslandsinvestitionen an als andere europäische Länder.

Emmanuel Macrons Amtszeit könnte früher enden als geplant

Das Problem sind die steigenden Zinslasten von inzwischen mehr als 57 Milliarden Euro pro Jahr. Die politische Konstellation – das in drei relativ unversöhnliche Blöcke gespaltene Parlament und ein schwer angeschlagener Präsident – haben die Akteure der Finanzmärkte regelrecht eingeladen, einen Fischzug zu starten. Politische Turbulenzen kosten nun einmal Geld. Mit steigenden Zinsen auf zehnjährige und sonstige Anleihen haben die Investoren Frankreich bestraft.

Auch wenn nur zwei der vier tonangebenden Ratingagenturen ihre Prognose im Oktober auf Negativ umgestellt haben, muss der französische Staat mit gut drei Prozent derzeit höhere Zinsen für seine Schulden zahlen als Griechenland. Gewiss ein Gesichtsverlust, aber noch kein Debakel. Der Abstand zu deutschen Staatsanleihen, dem Goldstandard auf dem Anleihemarkt, wächst weiter, wenn die Risikoaufschläge für französische Papiere nunmehr so hoch sind wie zuletzt 2012 – das geht ins Geld. Obwohl (noch) keine erneute EU-Finanzkrise droht, greift Brüssel durch und hat längst ein Defizitverfahren gegen Frankreich eröffnet.

Dabei kommen Spekulationen über heraufziehende Euro-Kalamitäten Macron vermutlich nicht ungelegen. Hektik und Hysterie an den Finanzmärkten wie in den Medien würden es ihm gestatten, den Notstandsartikel 16 der Verfassung zu bemühen und mit Dekreten zu regieren. Für eine Weile wäre Frankreich eine Autokratie, was der Stimmung einer Mehrheit widerspräche, die in Umfragen zum Ausdruck bringt, Macron möge den Élysée-Palast vor dem Ablauf seiner Amtszeit Mitte 2027 verlassen. Als der Präsident Anfang Juni die Nationalversammlung nach dem desaströsen Abschneiden des Regierungslagers bei der EU-Wahl auflöste, hat er – wie immer mehr offenbar wird – in Wirklichkeit damit begonnen, sich selbst abzulösen.