Die „Fighter Mafia“ erzwang den Kurswechsel zu kleineren Kampfjets

Die F/A-18 ist aktuell der wichtigste Jet der US Navy und in einem halben Dutzend weiterer Länder das Rückgrat der Luftverteidigung. Der Weg dorthin war so lang wie wechselvoll – und wäre ohne einige hartnäckige Jagdflieger undenkbar.

Normalerweise gilt: Zweite Sieger sind Verlierer. Normalerweise, aber eben nicht immer. Denn manchmal wird eine Niederlage zum Ausgangspunkt für einen nachhaltigen Erfolg über Jahrzehnte. Zum Beispiel beim US-Jet F/A-18 Hornet, der am 18. November 1978 seinen Erstflug absolvierte. 47 Jahre später listet das Fachmagazin „Flight Global“ immer noch nicht nur 1254 Maschinen des Typs als aktiv im Dienst bei den Luftwaffen rund eines halben Dutzends Länder, also nicht in Reserve oder eingemottet. Weitere 121 weitere Exemplare sind aktuell bestellt beim inzwischen dritten Luftfahrtkonzern, der dieses Flugzeug produziert.

Die Geschichte dieses Langzeiterfolges der US-Rüstungsindustrie beginnt Ende der 1960er-Jahre. Auch Waffensysteme folgen Modewellen: Seit den ausgehenden 1950er-Jahren galten in den oberen Etagen sowohl der US Air Force als auch der US Navy, unter anderem durch die Mängel des einmotorigen Abfangjägers Lockheed F-104 Starfighter, große, schwere und zweistrahlige Kampfflugzeuge als Waffen der Zukunft. Sie waren primär für den Einsatz von Luft-Luft-Raketen konzipiert, nicht für den direkten Luftkampf.

Ein Report der Air Force sah ausdrücklich Jäger vor, die gegnerische Flugzeuge aus großen Entfernungen zerstören sollten. Entsprechend wurden die künftigen Luftüberlegenheitsmaschinen konzipiert: mit zwei Triebwerken, zwei Besatzungsmitgliedern – ohne Bordkanonen. Das Ergebnis solcher Überlegungen waren die ersten Versionen der McDonnell-Douglas F-4 Phantom II (maximale Startmasse: 26 bis 28 Tonnen) und die fast doppelt so große General Dynamics F-111 mit Schwenkflügeln. 1963 erwartete die USAF, dass diese Anforderungen für die Jahre 1970 bis mindestens 1995 gelten würden.

Gar nicht dieser Ansicht war eine zunächst kleine Gruppe aktiver und ehemaliger Kampfpiloten, oft des Koreakrieges. Sie bildeten die „Fighter Mafia“ und vertraten eine den oberen Rängen des Pentagon entgegengesetzte Ansicht: Entscheidend für den Gewinn der Luftherrschaft, das unbestrittene Ziel der USAF, sei die Manövrierfähigkeit speziell im direkten Luftkampf – und die Ausrüstung mit Rohrwaffen, also Maschinengewehren oder Maschinenkanonen; der Hauptunterschied ist erstens das größere Kaliber und zweitens fast immer die Verwendung von Sprenggeschossen bei Maschinenkanonen.

Die ersten Einsätze früher Versionen der Phantom II im Vietnamkrieg zeigte, dass die „Fighter-Mafia“ um Commander John Boyd richtig lag und die Planer im Pentagon falsch. Diese Einsicht löste drei parallel laufende Prozesse aus: Erstens wurden die vorhandenen F-4 mit Rohrwaffen in Außenbehältern nachgerüstet. Zweitens bekamen ihre Weiterentwicklungen ein fest eingebautes Geschütz, das aber technische Probleme bereitete, weil die Explosionsgase der Munition von den Triebwerken angesaugt wurden. Drittens modifizierte man die Ausschreibung für die nächste Generation von Luftüberlegenheitsjägern von 1965 so, dass Schnellfeuerkanonen verlangt wurden sowie eine bessere Manövrierbarkeit als bei der Phantom II.

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Nach dieser Spezifikation entstanden zwei immer noch große Jets: die McDonnell-Douglas F-15 Eagle für die Air Force (maximale Startmasse: 25 Tonnen) und die ein Drittel schwerere Grumman F-14 für die Navy, zum Einsatz auf Flugzeugträgern. Beide Typen gingen Mitte der 1970er-Jahre in Dienst; die F-14 war auch das Modell im Film „Top Gun“ (1986). Doch dieser partielle Kurswechsel des Pentagon genügte den Mitgliedern der „Fighter Mafia“ nicht.

Boyd verwies auf seine zusammen mit dem Mathematiker Thomas P. Christie entwickelte Energie-Manövrierbarkeits-Theorie. Sie beschrieb in einer (relativ) einfachen Formel den Zusammenhang von Geschwindigkeit, Schub, Gewicht und Luftwiderstand. Mit ihr ließen sich die Kampffähigkeiten verschiedener Flugzeugkonzepte vergleichen – und die Auswirkungen verschiedener Konstruktionsprinzipien für die Einsatzfähigkeit vorhersagen. Boyd soll sogar Rechenzeit auf einem der damals wenigen Großrechner „gestohlen“, nach anderen Angaben sich unter Angabe falscher Behauptungen erschlichen haben, um die Theorie auszuarbeiten.

Wie auch immer: Die „Fighter Mafia“ setzte durch, dass den Projekten für einen neuen Luftüberlegenheitsjäger (im Kauderwelsch der Militärabkürzungen nacheinander FX, VAFX und VFX genannt) eine weitere Ausschreibung folgte, die erst ADF, bald F-XX und dann LWF (für „Lightweight Fighter“) hieß. Zwei große Konzerne, General Dynamics und Northrop, erhielten den Auftrag, Konzepte für Jäger nach Boyds Energie-Manövrierbarkeits-Theorie zu entwerfen. Das Ergebnis sollte ein reiner Tagjäger sein, klein, aerodynamisch modern, leicht – und ohne Aufhängungen für Bomben. Über mehrere Zwischenschritte führte diese Aufgabe zu zwei flugfähigen Prototypen: der General Dynamics YF-16 und der Northrop YF-17. Beide waren mit 12,5 bis 15 Tonnen maximaler Startmasse deutlich leichter als F-15 und F-14.

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Drei Faktoren ließen aus dem LWF ein ernsthaft betriebenes Beschaffungsprogramm werden: Erstens suchten 1974 vier Nato-Mitgliedstaaten (Belgien, Dänemark, die Niederlande und Norwegen) nach einem Ersatz für ihre Starfighter – und zwar ein Modell, das ihre eigene Luftfahrtindustrie in Lizenz fertigen konnte. Zweitens hatte die USAF selbst zwar kein Interesse an einem Jäger nach dem Boyd-Konzept, musste aber ihre Jagdbomber vom Typ Republic F-105 in Kürze ersetzen; daher wurde die Ausschreibung LWF in einen neuen Wettbewerb namens ACF integriert – mit dem Ziel, einen Mehrzweckjäger zu entwickeln. Drittens strebte der US-Kongress eine Vereinheitlichung der Kampfflugzeuge von USAF und Navy an, um Kosten zu senken.

Beim Vergleich 1974/75 gewann die YF-16 deutlich gegen die YF-17; Hauptgründe waren geringere Betriebskosten durch nur ein statt zwei Triebwerke, größere Reichweite und deutlich bessere Manövrierfähigkeit besonders im Überschallbereich. Anfang 1975 fiel die Entscheidung, dieses Konzept zur Serienreife zu entwickeln und für die Air Force in großer Stückzahl anzuschaffen. Neben den USA (insgesamt 2231 Stück) kauften seit 1976 weitere 28 Länder weltweit rund 2400 Stück – von Argentinien bis Norwegen und von Chile bis Südkorea. Damit ist die F-16 das mit Abstand meist geflogene Kampfflugzeug westlich orientierter Staaten.

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Doch obwohl die YF-17 unterlegen war, hatte sie auch eine Zukunft. Denn die US Navy brauchte einen Ersatz für ihre in die Jahre gekommenen Jagdbomber Douglas A-4 und Vought A-7 sowie den Jäger Vought F-8. Aufgrund schlechter Erfahrungen mit einmotorigen Trägerflugzeugen bevorzugte die Beschaffungsabteilung zweistrahlige Maschinen. Da Northrop keine Erfahrung mit Trägerflugzeugen hatte, tat sich der Konzern mit der Konkurrenz von McDonnell-Douglas zusammen.

Auf Wunsch des Kongresses, dem es immer noch um möglichst weitgehende Vereinheitlichung ging, konzipierte General Dynamics zusammen mit Vought ebenfalls eine trägergestützte Variante seiner F-16, die aber den zentralen Nachteil behielt, nur ein Triebwerk zu haben. So überraschte nicht weiter, dass die Navy sich für die nun rund 15 Prozent größere Maschine (maximale Startmasse: gut 20 Tonnen) aus der Kooperation von Northrop und McDonnell-Douglas entschied, die das Kürzel YF-18 erhielt. Am 18. November 1978 absolvierte die erste Maschine ihren Jungfernflug und bekam ihren Beinamen: Hornet.

Den außerordentlichen Verkaufserfolg der F-16 konnte die F/A-18, wie sie inzwischen ihres größeren Einsatzspektrums wegen hieß, zwar nicht wiederholen – aber immerhin Australien, Finnland, Kanada, Kuwait, Malaysia, die Schweiz und Spanien entschieden sich für dieses Modell.

Mitte der 1990er-Jahre brauchte die US Navy einen Nachfolger für die absehbar veraltenden F-14, die nicht mehr nennenswert weiterentwickelt worden waren. Daher vergrößerte McDonnell-Douglas die F/A-18 um rund ein Drittel zur Super-Hornet (maximale Startmasse: 29 Tonnen), die am 29. November 1995 Erstflug hatte. In „Top Gun: Maverick“ von 2022 fliegen die Piloten auch Super-Hornets.

Kurz danach, 1997, fusionierte der bekannte Flugzeugkonzern mit dem bisherigen Konkurrenten Boeing. Die Super-Hornet ersetzte bei der Navy die F-14 ebenso wie die bisherigen F/A-18. An sich wollte Boeing die Produktion 2025 einstellen, doch die Navy bestellte angesichts der Verzögerungen beim Zulauf der Lockheed F-35, dem ersten gemeinsamen Standardjäger für USAF und Navy, noch einmal einige Exemplare nach. Voraussichtlich bleibt das Muster damit bis etwa 2045 im Dienst, in einer Spezialversion für die elektronische Kriegsführung wahrscheinlich länger. Das wären dann 75 Jahre nach dem Erstflug des Prototyps der Modellfamilie. Misserfolge sehen anders aus.

Source: welt.de