Die Familienunternehmer: Deradikalisiert die AfD!
Mit erheblicher Verspätung hat die deutsche Publizistik
gemerkt, dass ein weiterer Stein in der Brandmauer zur AfD weggebrochen ist.
Bereits im Oktober hat der Wirtschaftsverband Die Familienunternehmer Vertreter der AfD zum Parlamentarischen Abend eingeladen, darunter den
AfD-Spitzenkandidaten in Mecklenburg-Vorpommern, Leif-Erik Holm. Nun ist in
Politik und Wirtschaft die gespielte Empörung groß. Die Deutsche Bank will dem
Lobbyverband künftig keine Räume vermieten, und von den demokratischen Parteien
hagelt es Kritik.
Aber erstens kann man kaum glauben, dass im politischen Dorf
Berlin niemand etwas von der Veranstaltung gleich neben dem Brandenburger Tor gewusst hat. Man nahm es offensichtlich hin. Denn zweitens hat die Präsidentin
des Verbands, Marie-Christine Ostermann, recht: „Das Überbieten mit immer
heftigeren Antifa-Parolen hat nichts gebracht.“ In Mecklenburg-Vorpommern, wo
nächstes Jahr gewählt wird, steht die AfD in Umfragen bei 38 Prozent und ist
mit Abstand stärkste Partei; in Sachsen-Anhalt, wo ebenfalls 2026 gewählt wird,
stehen die Rechtspopulisten sogar bei 40 Prozent. „Jetzt hilft nur noch die
Auseinandersetzung mit den Inhalten der AfD, jenseits von schlichten
Kategorisierungen in ‚gut‘ und ‚böse'“, so Ostermann.
Die Wortwahl irritiert zwar: „Antifa-Parolen“ hört man eher
nicht von den Parteien der Mitte; und bei der Kritik der AfD geht es nicht um gut und böse, sondern um den Charakter der
Bundesrepublik; ob Westbindung, europäische Integration, Liberalismus und Weltoffenheit weiterhin Merkmale unseres Landes bleiben sollen, oder ob wir den Weg der
„illiberalen Demokratie“ gehen, den Viktor Orbán – und Donald Trump –
vorzeichnen.
Und doch begnügen sich Publizistik und Politik mit
Feststellungen des Verfassungsschutzes über den Charakter der Partei oder
einzelner ihrer Gliederungen, diskutieren ein Parteienverbot oder regen sich über Entgleisungen
wie Alexander Gaulands „Vogelschiss“ auf, ohne sich mit den inhaltlichen
Positionen der Populisten zu beschäftigen. Zumindest im Osten der Republik
kommt das so an, als habe ein Kartell der westlich dominierten „Altparteien“
eine Art Kontaktschuld zur Absicherung der eigenen Macht verhängt.
Man sollte die Bedeutung dieses neuen Lochs in der
Brandmauer darum nicht herunterspielen. Zwar vertritt Ostermanns Verband nur
6.500 Mitglieder und damit einen Bruchteil der drei Millionen
Familienunternehmen in Deutschland. Doch finden sich unter den Mitgliedern so
bekannte Namen wie BMW, Bahlsen, Bertelsmann, Melitta, Oetker, Tengelmann,
Thalia und das Gasunternehmen Westfalen AG.
Präsidentin Ostermann ist in der FDP und Mitglied im Beirat des konservativen Thinktanks R21, dessen Spitzen sich immer wieder für ein Ende der Brandmauer einsetzen. Zudem ist der Verband persönlich und politisch mit der Initiative Neue
Soziale Marktwirtschaft und der Friedrich-Hayek-Gesellschaft vernetzt, die für
eine radikale Liberalisierung der Wirtschaft eintreten und in diesem
Zusammenhang besonders die europäische und deutsche Klimapolitik kritisieren.
Es gibt hier also inhaltliche Berührungspunkte mit der AfD,
die ja als radikal liberaler Protestverein begann und mit ihrer Kritik der
europäischen Gemeinschaftswährung in Westdeutschland eine Partei
querulantischer Honoratioren war. Mit der Ostausdehnung gewannen Nationalisten und Demagogen die Oberhand in der AfD. Doch die rechtsliberalen
und bürgerlichen Elemente sind nicht verschwunden, der Kampf innerhalb der
Partei zwischen Fundamentalisten und Realisten ist noch nicht entschieden.
Das macht sich sowohl auf der Kommunal- als auch auf der
Bundesebene bemerkbar. Bei der Bürgermeisterwahl im sächsischen Meißen gab
es innerhalb der AfD offenen Widerstand gegen den von der örtlichen Parteiführung
aufgestellten Bürgermeisterkandidaten, ein Ex-Mitglied der NPD, der dann auch
bei der Wahl im September gegen den Gemeinschaftskandidaten der anderen
Parteien krachend scheiterte.