Die EZB will dies Problem falscher Inflationsprognosen lockern

Zwei Jahre mit unerfreulich hoher Inflation im Euroraum, davon zeitweise mit Inflationsraten von mehr 10 Prozent, wie man sie seit Einführung des Euros nicht kannte: Das schreit immer noch auch nach Konsequenzen für die ökonomische Theorie und die Modelle, mit denen die Europäische Zentralbank (EZB) die Inflation vorhersagt. Ein Kritikpunkt ist, dass die Notenbank nach der Covid-Pandemie, als im Laufe des Jahres 2021 schon gewisse Anzeichen für einen möglichen Inflationsanstieg erkennbar waren, die weitere Entwicklung falsch prognostiziert hatte.

Damals machte schon die Anekdote die Runde, selbst bei der Pest im Jahre des Herren 1611 sei in Leipzig nach all dem Schrecken und einem angeordneten Lockdown auch noch das Bier teurer geworden.

Die EZB sieht das Problem. Und will da ran. Das Thema sorgt auch intern für Diskussionen. Die naheliegende Entschuldigung, dass unerwartete Ereignisse wie der Ukrainekrieg oder die Energiekrise sich leider jeglicher Vorhersage entzögen, lassen viele Ökonomen nicht durchgehen. Minutiös wurden zum Beispiel auf der Konferenz „The ECB and Its Watchers“ unlängst die Prognosefehler der Notenbank auseinandergenommen. Im Nachhinein ist man aber natürlich immer schlauer.

Das alles hat politische Relevanz: Wenn die Notenbank rechtzeitig geahnt hätte, dass die Inflation im Euroraum auf mehr als 10 Prozent steigen würde, hätte sie viel früher in die Eisen steigen müssen. Zwischenzeitlich ist der EZB-Rat dazu übergegangen, sich gar nicht mehr auf die Prognosen zu verlassen, sondern einfach von einer Zinssitzung zur anderen zu schauen, wie es denn nun weitergegangen ist mit der Inflation.

„Datenabhängiges“ Vorgehen nennen die Notenbanker dieses Durchwurschteln. Aber auf Dauer ist auch das irgendwie unbefriedigend.

„Großer Handlungsbedarf bei der EZB“

„Auf jeden Fall besteht bei der EZB in Sachen Inflationsprognosen ein großer Handlungsbedarf – so wie es ist, darf es nicht bleiben“, sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Und auch Volker Wieland, Professor für monetäre Ökonomie an der Frankfurter Goethe-Universität, hebt hervor, er schlage schon „seit Jahren“ Änderungen des Verfahrens vor.

Jetzt hat EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel in einer Rede auf einer Konferenz des „International Research Forum on Monetary Policy“ in Washington zwei Vorschläge ins Gespräch gebracht. Sie reagierte damit unter anderem auf ein Papier des ehemaligen amerikanischen Notenbankchefs Ben Bernanke, der Vorschläge für eine Reform der Inflationsprognosen der Bank of England gemacht hatte.

Vorschlag Nummer eins: Es könnte künftig bei der EZB ähnliche Grafiken wie bei der amerikanischen Notenbank Fed geben, „Dot Plot“ genannt. In diesen Grafiken sieht man als Punkte, wo die verschiedenen geldpolitischen Akteure, im Fall der EZB also wohl die EZB-Ratsmitglieder, die kurzfristigen Zinsen in Zukunft erwarten. Je weiter sie auseinander liegen, desto größer ist die Ungewissheit. „Die Verteilung dieser Pfade könnte dazu beitragen, die Risiken aufzuzeigen, die Akteure mit dem vom Stab erstellten Basisszenario verbinden“, sagt Schnabel: „Je enger die Verteilung ist, desto stärker ist die implizite Zustimmung der politischen Entscheidungsträger und umgekehrt.“

Vorschlag Nummer zwei: Die EZB könnten den Alternativen zum Basisszenario der Inflationsprognose auch öffentlich mehr Gewicht verleihen. „Zentrale Prognosen sind zwar leicht zu kommunizieren, aber sie vermitteln ein falsches Gefühl von Präzision“, sagte Schnabel. Auch bislang schon veröffentlicht die EZB Alternativszenarien, die aber eher in Details vom Basisszenario abweichen. Um die erhebliche Unsicherheit deutlicher zu signalisieren, könnten Alternativszenarien, die zum Beispiel die Bandbreite der Ansichten im EZB-Rat zeigen, einige der wichtigsten Annahmen des Basisszenarios infrage stellen. Karsten Junius, Ökonom der Bank J. Safra Sarasin, meint, mit einem solchen Schritt könnte die EZB vielleicht Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, die sie durch die großen Prognosefehler verloren habe.

Eine Schwierigkeit dabei: Je mehr die EZB in ihren Prognosen unterschiedliche Möglichkeiten der künftigen Entwicklung aufzeigt, um Fehlprognosen zu vermeiden, desto vager wird die Prognose. Trotzdem hält Geldpolitik-Fachmann Wieland die Vorschläge für Schritte in die richtige Richtung; vorbildlich sieht er Norwegens Notenbank.

Kann man Inflation überhaupt vernünftig vorhersagen?

Gleichwohl gibt es auch Ökonomen, die grundsätzlich skeptisch sind, was die Möglichkeiten von Inflationsprognosen betrifft. „Prognosen sind schwierig, insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen“, soll schließlich schon Winston Churchill gesagt haben.

Der Heidelberger Ökonometriker Christian Conrad hat sich empirisch mit Prognose-Grenzen beschäftigt. Vorhersagen für die nahe Zukunft seien ja bisweilen noch ganz gut, meint er: „Unsere empirischen Ergebnisse zeigen aber, dass die EZB-Projektionen für Horizonte von mehr als einem Jahr nicht mehr informativ sind“, sagt Conrad. Das heißt: „Eine Prognose trifft dann die tatsächliche Entwicklung nicht mehr besser als eine naive Prognose, die lediglich den Durchschnitt der bisher beobachteten Inflationsraten vorhersagt.“

Source: faz.net