Die EZB wagt die dritte Zinssenkung
Die Europäische Zentralbank (EZB) senkt ihre Leitzinsen ein drittes Mal. Wie der EZB-Rat am Donnerstag nach seiner Oktober-Zinssitzung mitteilte, werden alle drei Leitzinsen um 0,25 Prozentpunkte herabgesetzt.
Der EZB-Rat hat sich zu dieser Sitzung nicht wie sonst in Frankfurt, sondern in einem Kongresszentrum in der Nähe der slowenischen Hauptstadt Ljubljana getroffen. Einmal im Jahr machen die Notenbanker so eine Art Klassenausflug in eines der Euroländer. Kursänderungen sind auf diesen Auswärtssitzungen eher selten. Von daher ist der aktuelle Zinsschritt durchaus bemerkenswert. EZB-Präsidentin Christine Lagarde ließ sich in den vergangenen Tagen dort auch schon auf einem Wochenmarkt filmen, sagte, die Avocados lägen in einer ähnlichen Preiskategorie wie anderswo, und erwähnte die Inflation, die schon um einiges gesunken sei.
Der Einlagensatz, den Banken für ihre Einlagen bei der Notenbank bekommen und der auch gewisse Auswirkungen auf die Sparzinsen hat, sinkt damit auf 3,25 Prozent. Der Hauptrefinanzierungssatz, zu dem Banken sich Geld bei der Notenbank leihen können, wird auf 3,4 Prozent gesenkt. Und der Spitzenrefinanzierungssatz für Übernachtausleihungen der Banken sinkt auf 3,65 Prozent.
Zuerst sah es gar nicht nach Oktober-Zinssenkung aus
Die Stimmung in der EZB hinsichtlich der Frage einer Oktober-Zinssenkung hatte sich gedreht. Nach der vorigen Zinssitzung Anfang September hatte es noch so ausgesehen, also ob die Notenbank im Oktober die Füße stillhalten und erst im Dezember wieder die Zinsen senken würde.
Dann waren in mehreren Euroländern die Inflationsraten für September niedriger ausgefallen als erwartet. Zudem hatten sich Frühindikatoren für die Wirtschaftsentwicklung wie die Einkaufsmanagerindizes unerwartet schwach gezeigt. EZB-Präsidentin Lagarde hatte daraufhin beim Europäischen Parlament in Brüssel erste Andeutungen gemacht, dass es doch schon im Oktober eine weitere Zinssenkung geben könnte. Andere Ratsmitglieder folgten. Auch Bundesbankpräsident Joachim Nagel hatte sich dafür offen gezeigt.
„Größtes Sorgenkind ist weiterhin die deutsche Wirtschaft“, kommentierte Patrick Barbe vom amerikanischen Vermögensverwalter Neuberger Berman. Jörg Krämer, der Chefvolkswirt der Commerzbank, hatte vor der EZB-Sitzung eine Zinssenkung zwar als wahrscheinlich, aber als „riskant“ bezeichnet: unter anderem wegen der stark gestiegenen Löhne, die ihrerseits wieder höhere Preise nach sich ziehen könnten.
Die Inflation im Euroraum lag im September bei 1,7 Prozent, das war die niedrigste Inflationsrate seit der Pandemie. Das europäische Statistikamt Eurostat korrigierte seine erste Schätzung von 1,8 Prozent am Donnerstag sogar noch nach unten. Ziel der EZB sind mittelfristig zwei Prozent. Je nach Euroland sind die Inflationsraten aber noch recht unterschiedlich: Die höchsten Raten im Euroraum haben jetzt Belgien mit 4,3 Prozent und die Niederlande mit 3,3 Prozent. Am niedrigsten liegt die Inflation in Irland mit tatsächlich null Prozent.
In Italien war die Inflationsrate für September gegenüber der ersten Schätzung noch mal nach unten korrigiert worden. Die Rate fiel von 1,2 Prozent im August auf 0,7 Prozent im September. Nach der ersten Schätzung war ein Rückgang auf 0,8 Prozent erwartet worden. Das alles dürfte die Stimmung beeinflusst haben.
Auch in Österreich, dessen Notenbankchef Robert Holzmann im Juni der größte Kritiker der Zinssenkung im EZB-Rat gewesen war, ist die Inflation spektakulär gesunken, wie am Donnerstag mitgeteilt wurde. Sie ging von 2,4 Prozent im August auf 1,8 Prozent im September zurück.
Während die Energiepreise im Euroraum auf Jahressicht deutlich gefallen sind, stiegen Nahrungsmittel noch leicht im Preis, Dienstleistungen deutlich stärker. Die Kerninflation, das ist die Teuerung ohne Energie und Lebensmittel, auf die Notenbanker gern für den längerfristigen Trend schauen, ging leicht zurück von 2,8 auf 2,7 Prozent. Dort gibt es also Verbesserungen, man ist aber noch nicht am Ziel.
Lagarde hat die Märkte schon darauf vorbereitet, dass die Inflationsraten im letzten Quartal des Jahres wieder etwas höher ausfallen könnten. Das hängt mit einem sogenannten statistischen Basiseffekt zusammen: Im vergangenen Jahr war die Energie im Herbst deutlich günstiger geworden, entsprechend höher dürften in diesem Jahr im November und Dezember im Jahresvergleich die Preissteigerungsraten ausfallen.
Was die Zinssenkung für Sparer und Bauwillige heißt
Was heißt das alles nun für Sparer und Bauwillige? Auch die Zinsen der Banken für ihre Kunden dürften tendenziell weiter sinken. Sparer profitieren allerdings von der niedrigen Inflation.
Das Internetportal Verivox schreibt in einem Vergleich, seit der vorigen EZB-Zinssenkung im September hätten mindestens 346 Banken und Sparkassen ihre Festgeldzinsen gesenkt. Bei überregionalen Banken brächten Festgelder mit zwei Jahren Laufzeit aktuell durchschnittlich 2,51 Prozent Zinsen und damit 0,2 Prozentpunkte weniger als im September. Das sei die stärkste Zinssenkung seit Beginn des Jahres. Die Durchschnittszinsen fielen dadurch auf den tiefsten Stand seit April 2023. „Wer sein Erspartes heute für zwei Jahre fest anlegen möchte, findet derzeit ein Zinsniveau wie im Frühsommer 2023 vor“, sagt Oliver Maier, Geschäftsführer der Verivox Finanzvergleich GmbH.
Höhere Zinsen zahlten die Anbieter an den Spitzen der Vergleichstabellen. Aktuell böten zehn Banken, die dem nationalen Einlagensicherungssystem eines Staates mit erstklassiger Bonitätsbewertung angehörten, zweijährige Festgeldzinsen von drei Prozent oder mehr an. Bei den Sparkassen würden zweijährige Termingelder aktuell im Schnitt mit 1,8 Prozent verzinst. Etwas höher seien die Zinsen mit 1,89 Prozent bei den regionalen Genossenschaftsbanken.
„Wir rechnen im Laufe des Jahres mit mindestens einer weiteren Leitzinssenkung. Damit dürften die Sparzinsen weiter sinken“, sagte Maier. „Aus diesem Grund sind Festgeldangebote interessant für Sparer, da sie für einen bestimmten Zeitraum die Zinsen garantieren, sofern sie für den Anlagezeitraum auf ihr Erspartes verzichten können.“
Die Hypothekenzinsen für Bauwillige dagegen hängen nicht unmittelbar an den EZB-Leitzinsen, sondern über die Pfandbriefrendite an der Bundesanleihe mit zehn Jahren Laufzeit. Auf die wirken vielfältige Faktoren ein, neben der Geldpolitik beispielsweise auch die Inflationserwartungen, die Konjunktur, die Risikoneigung der Investoren und die Zinsentwicklung in anderen Währungsräumen. Die Rendite lag zuletzt bei 2,2 Prozent, etwas niedriger als im Sommer.
„Da eine Leitzinssenkung allgemein erwartet wurde, sollte sie im Zinsniveau von Anleihen und damit auch von Baufinanzierungen eingepreist gewesen sein“, sagt Rudolf Krux von der Verbraucherplattform Biallo. Er meint: „In den letzten Wochen blieben die Bauzinsen eher stabil – ein weiteres Absinken ist zumindest als Folge des Zinsentscheids nicht zu erwarten.“ Nach Zahlen der FMH-Finanzberatung in Frankfurt liegen die Zinsen für Baudarlehen mit zehn Jahren Zinsbindung aktuell bei 3,35 Prozent, mit 15 Jahren Zinsbindung bei 3,57 Prozent und mit 20 Jahren Zinsbindung bei 3,72 Prozent.
„Wir gehen davon aus, dass die Zinsen sich auch weiterhin um das derzeitige Niveau bewegen und die Immobilienpreise weiter steigen werden“, sagte Mirjam Mohr, Vorstandsmitglied des Kreditvermittlers Interhyp: „Wer sich für einen Immobilienkauf interessiert, sollte jetzt tätig werden und nicht mehr zu lange warten.“
Source: faz.net