Die EU-Kommission plant zusammensetzen radikalen Umbau des Haushalts
Ein einfacher, fokussierter Haushalt und ein Fonds für Wettbewerbsfähigkeit waren zwei der Kernzusagen, die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Juli für ihre zweite Amtsperiode machte. Was konkret dahinter steckt, blieb unklar. Eine interne Präsentation der Europäischen Kommission, in die die F.A.Z. Einblick nehmen konnte, ändert das. Sie zeigt erstmals, wohin von der Leyen offenbar will. Die Vorschläge sind radikal. Das Budget der EU würde auf eine vollkommen neue Basis gestellt. Die Europäische Kommission und damit von der Leyen erhielten große Macht.
Dafür sollen die beiden bisher größten Budgetposten, die Subventionen für die Landwirte sowie die Förderung strukturschwacher Regionen, in der nächsten Finanzperiode 2028 bis 2034 wegfallen. Sie machen momentan jeweils ein Drittel des Haushalts von zuletzt rund 140 Milliarden Euro im Jahr aus. Stattdessen wird der Großteil des Budgets – darunter die Agrar- und Strukturhilfen – nach Vorbild des 2021 geschaffenen Corona-Aufbaufonds als eine Art „Zuschuss“ zum nationalen Haushalt an die EU-Staaten überwiesen.
Die müssen im Gegenzug mit der Kommission vorab nationale Pläne mit politischen Reformen und Zielen vereinbaren. Erst wenn sie diese erfüllen, erhalten sie auch Geld. Auch das Prinzip „Geld für Reformen“ ist dem Corona-Fonds entnommen. Neben diesem Haushaltsposten sollen es drei weitere geben: den Fonds für Wettbewerbsfähigkeit, die Außenpolitik unter der Überschrift „Global Europe“ und die Verwaltungskosten.
Bündelung von Macht
Der Fonds für Wettbewerbsfähigkeit soll alle bisherigen Programme umfassen, die im weitesten Sinne die Wettbewerbsfähigkeit fördern. Dazu gehören die Forschung, Digitales, die Weltraumförderung, der Innovationsfonds und der unter Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker aufgelegte Investitionsfonds. Auch der Europäische Verteidigungsfonds soll in dem neuen Riesenfonds aufgehen. Das Geld würde von der Kommission für bestimmte Politikziele eingesetzt. Sie würde damit große Gestaltungs- und Ausgabenmacht bei sich bündeln.
Aus der Verwaltung und Ausgestaltung der Agrar- und Strukturförderung würde die Kommission sich auf der anderen Seite faktisch zurückziehen. Sie wären nur ein Bestandteil von mehreren in den nationalen Plänen. In der Präsentation wird die Landwirtschaft nur als „Beispiel“ für ein Kapitel in den nationalen Plänen genannt. Das dafür reservierte Geld könnte dann – ebenfalls ausdrücklich als Beispiel gekennzeichnet – wie bisher als Direkthilfe an die Landwirte fließen. Als Bedingung dafür, dass die EU das Geld dafür an die Staaten auszahlt, wird die Förderung der Biolandwirtschaft genannt.
Als Beispiele für weitere Kapitel werden Transport, Soziales, Energie oder Sicherheit und Migration aufgelistet. Die EU-Hilfen für den Bau einer Bahnlinie knüpfen die Autoren an die Erfüllung der Bedingung, die öffentliche Auftragsvergaben zu vereinfachen, Hilfen für sozialen Wohnungsbau mit der Schließung der Lohnlücke zwischen Männern und Frauen und Hilfen für Auffanglager für Migranten mit der Stärkung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit.
Kommission will weniger Bürokratie
Der Umbau hat aus Sicht der Kommission den Vorteil, dass der Haushalt so viel unbürokratischer wird. Das gilt vor allem für das Geld, das direkt an die Staaten fließt. Statt der rund 530 Programme, davon allein 398 für die Strukturförderung, die es im Rahmen des laufenden Finanzrahmens 2021 bis 2027 gibt, gäbe es nur noch 27 nationale Pläne, je Mitgliedstaat einen. Das würde auch erlauben, Geld flexibel von einem Bereich in einen anderen zu verschieben. Die Staaten könnten das Geld so etwa für Ereignisse wie die jüngsten Überschwemmungen nutzen.
Unabhängig davon will die Kommission die in dem üblicherweise siebenjährigen Finanzrahmen festgeschriebenen Prioritäten jährlich anpassen. Das würde erleichtern, auf unvorhersehbare Ereignisse wie den Ukrainekrieg oder die hohe Inflation zu reagieren. Bisher muss der Finanzrahmen dafür geändert werden. Das ist langwierig und mühsam.
Auch die Verhandlungen über den EU-Finanzrahmen würden leichter, weil das Europaparlament und der Ministerrat nicht mehr über Hunderte von Programmen verhandeln müssten. Es ginge vereinfacht gesagt nur darum, wie viel Geld es für die vier Budgetposten insgesamt gibt und wie viel anschließend jeder Staat an Haushaltszuschüssen erhält.
Kritik vom Rechnungshof
Dem steht gegenüber, dass sich die Kommission aus der Kontrolle der Mittelverwendung zurückzieht. Der Europäische Rechnungshof hat den Ansatz „Geld für Reformen“ des Corona-Fonds eben deshalb mehrfach kritisiert. Der Hof hatte zuletzt im September festgestellt, dass die Gefahr von Fehlern groß ist, wenn die EU nicht – wie bisher im EU-Haushalt – im Nachhinein die Kosten für Projekte erstattet, sondern den Staaten schon Geld zahlt, sobald sie bestimmte Reformen erfüllt und einzelne Etappen der damit verknüpften Projekte beendet haben.
Kritik kommt auch von den Regionen. Sie fürchten, dass die Förderung gleicher Lebensbedingungen in der gesamten EU zu kurz kommt, wenn die Kommission die nationalen Programme direkt mit den Nationalstaaten aushandelt. „Wenn das stimmt, schwächt das die Kohäsionspolitik“, kritisiert der Präsident des Europäischen Ausschusses der Regionen, der Portugiese Vasco Alves Cordeiro. „Sie stellt die Regionen nicht in den Mittelpunkt der Politik, sie stellt sie auf skandalöse Weise ins Abseits.“
Wie groß das Budget werden soll, geht aus der Präsentation nicht hervor. Sie beruht jedoch offenbar auf der Annahme, dass die bisherige Obergrenze von etwas mehr als einem Prozent der Wirtschaftskraft der EU beibehalten wird. Zwei Fragezeichen werden aber mit Blick daraufhin aufgeworfen, die mit „Ukraine“ und „Rückzahlung der Kredite für den Corona-Fonds“ betitelt sind.
Von der Leyen will am Kern festhalten
Die EU-Kommission kommentierte die Präsentation am Sonntag auf Anfrage nicht. Sie wurde nach Informationen der F.A.Z. von den zuständigen Spitzenbeamten der Generaldirektion Haushalt erarbeitet und im September in kleiner Runde gehalten. Eine Entscheidung auf oberster politischer Ebene, sprich durch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, ist damit noch nicht gefallen. In der Kommission wurde die Präsentation entsprechend als reines „Brainstorming“ heruntergespielt.
Die Kommission muss den Vorschlag für den nächsten mehrjährigen Haushalt 2028 bis 2034 nach den EU-Vorgaben Mitte 2025 vorlegen. Es gilt als wahrscheinlich, dass sie ihn wegen der dann kurz bevorstehenden Bundestagswahl bis zum Herbst verzögert. Was von den Vorschlägen bleibt, dürfte auch davon abhängen, wie sich nun die Staaten positionieren. Vollkommen davon abrücken, werde von der Leyen allerdings kaum davon, heißt es in Brüssel.