Die Autobranche erlebt neben dem Konjunkturtal vereinen tiefen Strukturwandel
In der deutschen Automobilindustrie stehen mit der Transformation zum Elektroauto bis 2035 rund 300.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel, das ist ein Drittel des Beschäftigungsstandes von 911.000 im Jahr 2019. Allerdings gibt es zugleich die Chance, in der Transformation 110.000 neue Arbeitsplätze zu schaffen. Das ist das Ergebnis einer tief gehenden Beschäftigungsstudie des Prognos-Instituts für den Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA). Bisher sei ein Viertel des Weges der Transformation zurückgelegt, berichtet der VDA-Chefvolkswirt Manuel Kallweit. Die größere Strecke stehe allerdings noch bevor.
Bei der Untersuchung der Entwicklung der Beschäftigung in der Autoindustrie seit dem Höchststand von 2019 hat sich ergeben, dass in den vier Jahren bis 2023 rund 75.000 Arbeitsplätze weggefallen sind, gleichzeitig aber auch fast 29.000 neue Arbeitsplätze entstanden. Der Nettoverlust an Arbeitsplätzen betrug damit 46.000. Mit der Fortschreibung dieser Effekte gelangen Prognos und der VDA zu der Einschätzung, dass bis 2035 die Beschäftigung in der deutschen Autoindustrie um netto rund 190.000 Personen abnehmen wird, also um ein Fünftel der Mitarbeiterzahl in der Branche von 2019.
Die Entstehung neuer zukunftsweisender Jobs ist nicht gesichert
Offen bleibt die Frage, ob parallel zum Abbau von Arbeitsplätzen etwa beim Bau von Verbrennermotoren neue Positionen in Deutschland entstehen können, oder ob es hier mehr beim Abbau der Beschäftigung bleibt. Der Entstehung neuer Beschäftigung rund um die Elektroautos stehen der Fachkräftemangel in Schlüsselberufen sowie die immer schlechteren Standortbedingungen für Investitionen in Deutschland entgegen, urteilt der VDA.
Die Autoindustrie werde trotz der bevorstehenden strukturellen Anpassungen den eingeschlagenen Weg in Richtung Klimaneutralität weitergehen, kommentierte VDA-Präsidentin Hildegard Müller. Die konjunkturellen Schwankungen und die Verunsicherung der Konsumenten durch die Diskussion über neue Fördermaßnahmen machten der Industrie zusätzlich zu schaffen. Insgesamt bleibe die Umorientierung des Marktes in Richtung Elektroauto hinter den Erwartungen zurück. Der Markt für Elektroautos wachse allerdings international, die Umstellung werde sich aber nicht innerhalb weniger Jahre vollziehen, zudem auch noch unterschiedlich in den verschiedenen Weltregionen. „Die Elektromobilität wird zu Beschäftigungsverlusten führen, auch die Politik sollte das eingestehen und das nicht auf das Handeln einzelner Unternehmen schieben.“ Die geringere Beschäftigung sei nicht für sich genommen Teil einer Krise, sondern Teil einer Transformation. „Es muss aber etwas getan werden, wenn zusätzliche Wertschöpfung und Beschäftigung, die am Standort Deutschland entstehen können, dann aber nicht hier entsteht.“
Die Politik müsse die Ursachen und nicht nur die Symptome der Probleme angehen, sagte Müller. Mit Blick auf den Mittelstand, der vom Strukturwandel besonders betroffen sei, gelte es auch, Finanzierungslücken zu schließen. Dabei helfe eine Lockerung der Regeln für die Banken, die sehr zurückhaltend seien, eine Vereinfachung von Förderprogrammen und die Überprüfung von Förderkriterien. Die EU werde die Transformation erschweren mit der nun vorgelegten Batterieverordnung, die etwa die Produktion von Batterien nur mit grüner Energie am gleichen Standort erlauben wolle. Unverständlich ist aus der Sicht der VDA-Präsidentin auch, dass die Bundesregierung die Förderung von Grundlagenforschung für Batterietechnik von 2025 an stoppen wolle.
Weniger Bedarf in Metallbearbeitung, mehr bei Elektronik
Die Studie von VDA und Prognos untersuchte die Beschäftigungsentwicklung in insgesamt 700 Berufsgruppen. Bereits zwischen 2019 und 2023 sei die Beschäftigung in der Metallbearbeitung um 8900 auf 45.900 gesunken, in der technischen Qualitätssicherung um 5600 auf 36.200 Personen und im Maschinenbau um 5400 auf 58.200 Personen. In Berufssparten der Informatik, Mechatronik sowie bei Energie- und Elektroberufen werde die Bedeutung und die Verfügbarkeit von Arbeitskräften zunehmen. Problematisch erscheine etwa, dass für den Bau von Elektroautos mehr Techniker im Bereich von Kunststoff und Kautschuk gebraucht würden, in der deutschen Statistik dennoch keine Zunahme der Beschäftigung zu sehen sei. Das spreche dafür, dass diese Arbeiten, tendenziell energieintensiv, nicht in Deutschland, sondern außerhalb des Landes angesiedelt würden.
Damit steckt hinter der Frage nach den Chancen durch den Strukturwandel auch die Frage nach Kapazität und Qualität der Berufsausbildung. Insgesamt bestehe keine Hoffnung, dass die Verrentung von geburtenstarken Jahrgängen aus den sechziger Jahren das Problem der Beschäftigung in weniger gefragten Berufssparten gelöst werden könne, sagte Chefvolkswirt Kallweit: „Die Verrentung kann etwa die Hälfte des Beschäftigungsproblems lösen.“
„Es besteht kein Erkenntnisproblem, sondern ein Handlungsproblem“, sagte VDA-Präsidentin Müller. „Je besser die Rahmenbedingungen, umso besser kann die Transformation stattfinden.“ Von dem in Berlin angesprochenen Beschäftigungswunder durch die Transformation in der Wirtschaft ist dennoch keine Rede. Beim hessischen Unternehmertag in Frankfurt kommentierte der Vorsitzende der hessischen Unternehmerverbände, Wolf Matthias Mang: „Auch wir Unternehmerinnen und Unternehmer haben uns ein grünes Wirtschaftswunder gewünscht, mussten aber sehr früh feststellen, dass es nur Gerede aus Berlin war.“