Die Ampel ist nicht an allem schuld
So etwas ist der Bundesrepublik Deutschland in ihren 75 Jahren bisher nur einmal passiert: dass sie eine Rezession nach einem Jahr nicht hinter sich lässt, sondern die Wirtschaft auch noch ein zweites Jahr siecht. Jetzt lässt sich dieses Malheur kaum noch verhindern. Nach 2023 wird die Wirtschaftsleistung des Landes auch 2024 noch einmal schrumpfen. Selbst die Bundesregierung prophezeit für dieses Jahr kein Wachstum mehr.
Die Bundesregierung ist daran nicht unschuldig, auch nicht Wirtschaftsminister Habeck. Mit immer neuen Ideen davon, wie die Unternehmen zentral gelenkt in neue Zeiten gesteuert werden, hat er viel Dynamik blockiert. Die Ampelkoalition wiederum schafft nur wenige Reformen. Ein bisschen Bürokratieabbau hier, ein paar Anreize zum Arbeiten da – aber nichts, was nach grundsätzlicher Trendwende klingt. Immer noch ist die Regierung voller Leute, die Deutschlands Wirtschaftskraft zur Verbesserung der Welt einsetzen wollen, ohne zu bemerken, dass man dazu erst einmal eine kräftige Wirtschaft braucht. All das ist wahr.
Und doch: Die Deutschen können die Schuld nicht allein bei der Bundesregierung abladen.
Das Wachstum war schon vor der Ampel mager
Das zeigt schon ein genauer Blick auf die wirtschaftlichen Erfolge der vergangenen Jahre. Die waren nämlich schon vor dem Antritt der Ampelkoalition mager. In den Jahren 2018 und 2019, vor der Corona-Pandemie, war Deutschlands Wirtschaftswachstum bestenfalls mau. Verwöhnt waren die Deutschen von davor liegenden zehn goldenen Jahren seit der Finanzkrise, in denen das Wirtschaftswachstum anzog, die Demographie den Arbeitsmarkt entlastete und jeder Einzelne mehr und mehr Auswahl an Arbeitsplätzen hatte. Seitdem sind die Bedrohungen von außen gewachsen, Energie ist teurer geworden, in Zeiten wachsenden Protektionismus wankt das deutsche Exportmodell, und viele von Deutschlands erfolgreichsten Produkten haben harte Konkurrenz aus China bekommen. Die Lage hat sich verändert. Die Einstellung der Deutschen nicht.
Als Deutschland das bisher einzige andere Mal in so einer langen Rezession steckte, war das anders. Es waren die Jahre 2002 und 2003, und im Land war was los. Die rot-grüne Bundesregierung beschloss damals tiefgreifende Reformen des Arbeitslosengeldes. Talkshows waren voll von der Frage, welche schmerzhaften Reformen nötig seien, um das Land wieder auf Kurs zu bringen. Die Sozialversicherungsbeiträge wurden gesenkt, die Deutschen übten sich in Lohnverzicht und gründeten, auch mangels anderer Arbeitsplätze, jedes Jahr mehr als eine Million Unternehmen.
Und heute? Heute bleibt die Arbeitslosenzahl auch in der Rezession recht gering, Arbeitskräfte werden in vielen Branchen gesucht. Trotzdem (oder gerade deshalb) fordern Gewerkschaften immer noch kürzere Arbeitszeiten. Die Arbeitszeitwünsche im Land sind auf einem historischen Tief, und die Zahl der Unternehmensgründungen hat sich seit 2002 halbiert.
Die Deutschen scheuen das Risiko
Die Deutschen scheuen das Risiko, sie arbeiten lieber beim Staat. Er ist in letzter Zeit der Einzige, der noch nennenswert neue Mitarbeiter für sich gewinnen kann. Und wenn in den Unternehmen etwas nicht gut funktioniert, dann guckt die Belegschaft nicht in erster Linie auf sich selbst, sondern zum Staat – allen voran der Betriebsrat von VW, der dringend wieder eine Kaufprämie für E-Autos haben möchte.
Doch der Staat hat kein zusätzliches Geld mehr zu verteilen, weil die Deutschen es nicht erwirtschaften. Die Lust auf neue Technologien ist so gering wie kaum irgendwo anders in den entwickelten Ländern. Die Deutschen glauben etwa nicht, dass Künstliche Intelligenz viel verändern wird, sie erwarten keine großen Auswirkungen auf ihre Arbeit. Entsprechend wird die KI auch von so wenigen Firmen eingesetzt wie in kaum einem anderen reichen Land. Man bleibt aber kein reiches Land, wenn man neue Techniken verschläft. Das haben die vergangenen Jahre bewiesen.
Wenn sich die Deutschen jetzt über ihre wirtschaftliche Misere ärgern, ist das ein guter Anfang. Der nächste Schritt wäre dann, selbst etwas dagegen zu unternehmen.