„Diagnose: unorthodox“: Ein True-Crime-Podcast weiterführend ein dunkles SBZ-Kapitel

Tripperburg. Was für ein seltsames Wort. Absurd und monströs zugleich. Tripperburgen, das waren geschlossene venerologische Stationen, in denen die DDR Frauen internierte, deren Verhalten als gesellschaftsschädlich galt. Weil sie etwa unter dem Verdacht standen, häufig wechselnde Geschlechtspartner zu haben. Man internierte sowohl erwachsene Frauen als auch Mädchen, die Zahl der Betroffenen liegt wohl im sechsstelligen Bereich. Der Podcast Diagnose: Unangepasst von Charlotte Witt und Ann-Kathrin Canjé nimmt sich dieser kaum bekannten Form der Gewalt des Staates gegen seine Bürgerinnen an. Aufwühlend sind die Geschichten, und kaum zu glauben.

Für die Diagnose: „Unangepasst“, dass sich Mädchen der elterlichen oder staatlichen Autorität entzogen, sich etwa „herumtrieben“ – mit Freundinnen trampten oder an öffentlichen Orten Musik hörten. So wie im Fall von Sabine, die 1977 in Leipzig in der geschlossenen venerologischen Station landet. Sabine war von zu Hause ausgerissen, um den beengten Lebensverhältnissen mit zehn Geschwistern und ihrem prügelnden Vater zu entkommen. Sie wird auf einer Party eines Freundes von der Polizei aufgegriffen und sofort in die „Tripperburg“ verbracht.

Auf der Station angekommen, muss sie sich entkleiden und Leibesvisitationen über sich ergehen lassen. Jeden Morgen nimmt man schmerzhafte gynäkologische Untersuchungen an ihr und den anderen Märchen vor. Die Mädchen werden beschimpft, erniedrigt, geschlagen, falls sie sich nicht fügen.

Tripperburgen sollten im Sinne des Sozialismus umerziehen

Nicht nur in Leipzig werden Mädchen und Frauen wie Sabine derartig misshandelt. Podcast-Folge zwei erzählt von der Tripperburg in Halle, wo es einen besonders berüchtigten Stationsarzt gibt: Gerd M. Selbst Schwestern, die seinen Anweisungen nicht folgten, wies er kurzerhand in die geschlossene Station ein. Das Treiben Ms ist so auffällig, dass sogar ein Stasi-Informant besorgte Berichte verfasst. Das führt schließlich zur Versetzung von M, der allerdings weiterhin praktizieren durfte.

Mit jeder Folge des Podcasts weitet sich das Betrachtungsfeld, die Autorinnen blicken auf das System hinter dem Stationssystem: Wie kann es sein, dass Minderjährige weggesperrt werden, wie kann es sein, dass man brutale Gewalt, Erniedrigung und sexuelle Übergriffe zur „Erziehung“ der Frauen einsetzt? Die Taten der Ärzte und Schwestern sind eingebettet in eine Ideologie, die einerseits umfassende Umerziehung im Sinne des Sozialismus anstrebt und andererseits ein Frauenbild entwirft, in dem Frauen Werktätige und Mütter sein sollen, aber wehe den Frauen, die aus ihren Rollen ausbrechen wollen. So zeigen sich feinste Verstrickungen von Totalitarismus, systemischer Gewalt und denen, die Macht über andere ausüben können, wohlwissend, dass es keinen Rechtsstaat gibt, der sie zur Rechenschaft ziehen könnte.

Nur der kleinere Teil der Frauen, die in die Tripperburgen verbracht wurden, litt tatsächlich unter Geschlechtskrankheiten. 1968 waren es gerade dreißig Prozent. Und natürlich rechtfertigt eine Geschlechtskrankheit keine stationäre Unterbringung. Das sah selbst das DDR-Recht nur im Ausnahmefall vor. Doch wer sollte sich zum Anwalt der Mädchen machen? So lässt sich nur rückwirkend das erlittene Unrecht aufarbeiten. Podcasterin Charlotte Witt erklärt, sie sei erst durch Bettina Wilperts Roman Herumtreiberinnen auf das Thema aufmerksam geworden.

„Diagnose: unangepasst“ nutzt Erzählelemente aus dem True-Crime-Genre

Für den Podcast interviewten Witt und Canjé nicht nur Betroffene; man wühlte sich durch Akten, sprach mit Forschern und Bürgerrechtlern. Man fand einen Polizisten und einen Sanitäter, die für die Überführung der Mädchen in die Stationen zuständig waren. In den Zeitzeugenberichten ergibt sich ein beunruhigender Befund: Alle sprechen von Unbehagen, von Halb- und Nichtwissen. Man akzeptierte, schaute weg, hinterfragte nicht. Man hatte Mitleid mit den Frauen, doch man unternahm nichts.

Die Podcasterinnen erzählen dieses Kapitel des Unrechtstaates DDR merklich für ein Publikum, das die DDR nicht erlebt hat – vielleicht noch nie mit dem Thema Totalitarismus und staatlicher Gewalt zu tun hatte. Häufig hat man das Gefühl, das Format wende sich an ganz junge Frauen. Das liegt vor allem an der Art, wie hier erzählt wird: Der Storytelling-Podcast hüllt die Zuhörer:innen zunächst emotional ein. Nicht nur durch die Schilderungen Sabines, sondern auch durch Witts Kommentare. „Ich nehme euch mit durch diese Geschichte“, erklärt sie zu Beginn der Folgen. Eine umarmende Form der Kommunikation, die sich mit den Zuhörer:innen auf Augenhöhe begeben möchte und zum Mitfühlen einlädt. In der ersten Folge etwa fragt Witt sich, wie sie sich wohl an Sabines Stelle gefühlt hätte. Nüchtern distanziert ist das nicht.

Tatsächlich entspricht die Inszenierung mit ihrem Rückgriff auf dramaturgische Mittel (Sound-Effekte, Musik, Collagen aus O-Tönen) bestimmten True-Crime-Formaten. Sowohl vor den Podcasts als auch in den einzelnen Folgen ertönen Triggerwarnungen – im Folgenden würde sexuelle Gewalt beschrieben, dann folgt ein kaum wahrnehmbarer Ton (recht unheilvoll), bevor die Beschreibung einsetzt. Seltsamerweise hat die Warnung nicht den Effekt, dass man sich auf das, was kommt, vorbereitet fühlt; tatsächlich wird eher ein Gefühl der Angstlust ausgelöst. Man hört den Podcast letztlich nicht als Dokumentation, sondern als Geschichte, wie sie Will ja auch ankündigt.

Das ist offensichtlich eine Gratwanderung: Wie in allen True-Crime-Serien sind Geschichten über Gewalt für die Zuhörer stets Quelle voyeuristischen Interesses. Zumal hier – speziell aus der Sicht der weiblichen Hörerin – eine absolute weibliche Urangst adressiert wird: das „Nackt“- Sein, also Ausgeliefert-Sein, vor einer Macht, die körperliche, psychische und sexuelle Gewalt ausüben kann. Solch eine Dramatisierung macht die Geschichte einem größeren Hörerkreis zugänglich, was im Sinne der Aufklärung der Straftaten wichtig ist. Ganz sicher leidet man mit, eine Katharsis bleibt freilich aus. Das erlittene Unrecht überschattete die Biografien der Frauen. Wenigstens hört man sich nun ihre Geschichten an.

Diagnose: Unangepasst – Der Alptraum Tripperburg Charlotte Witt, Ann-Kathrin Canjé ARD Audiothek