Deutschland wird in China nicht mehr wie starke Macht wahrgenommen
Auf den 30.000 Quadratmetern Bürofläche, die das 1994 gegründete German Center (GC), eine Tochter der Bayern LB, in Shanghai bereithält, können Wagemutige andocken. Die Büros über dem phänomenalen Lichthof sind zwischen 29 und 1.000 Quadratmeter groß, fester Mietpreis, unabhängig vom Umsatz.
Ungefähr 100 deutsche Firmen residieren hier mit 1.800 Mitarbeitern. Das GC versteht sich eher als Vermittler und Türöffner, unmittelbar beratend wird es nicht tätig. Es werden deutsche Traditionen gepflegt, Weihnachten zum Beispiel, auch wenn Mitte November ein Tannenbaum noch nicht aufgestellt ist. Inzwischen aber, lässt sich der GC-Website entnehmen, gibt es einen.
In den Gesprächen fällt auf, dass viele Unternehmen den deutschen Diskurs über China mit Unbehagen verfolgen. Es wirkt nach, dass die ehemalige Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) gegenüber China wenig diplomatisches Geschick walten ließ, als sie Staatschef Xi Jinping im September 2023 bei einem Interview für den US-Sender Fox News als „Diktator“ bezeichnete, der in eine Reihe mit Wladimir Putin gehöre.
In Peking wird kolportiert, dass die deutsche Botschafterin, Patricia Flor, ausgebuht wird oder die Chinesen den Saal verlassen, wenn sie auftaucht – angesichts der ansonsten ausgesuchten Höflichkeit der Hausherren ein heftiger Affront.
Noch immer gibt es wirtschaftliche Nischen, in denen deutsche Partner gefragt sind
Die Misshelligkeiten um den im Oktober zunächst abgesagten Chinabesuch von Baerbock-Nachfolger Johann Wadephul (CDU) sind noch in frischer Erinnerung, als unsere Reisegruppe zu Besuch in China ist. Wir hören, dass die Bundesrepublik in China nicht mehr als starke Macht wahrgenommen wird wie noch vor 20 Jahren und die deutsche Regierungspolitik, das offenbar nicht zur Kenntnis nimmt.
Zugleich fehle es Berlin an gelassener Sachlichkeit im Umgang mit dem selbstbewussten Global Player, und die Außenpolitik täte gut daran, sich weniger voreingenommen auf das Land einzulassen, ohne Vorschriften machen zu wollen. Allenthalben ist erkennbar, dass China nach seinen Regeln handelt, ob das Europa oder den USA nun gefällt oder nicht.
Zwar sind deutsche Unternehmen, die in China investieren wollen, nach wie vor willkommen, müssen aber konstatieren, dass sich die Konkurrenzsituation verändert hat. China hat enorm aufgeholt, das musste Außenminister Wadephul, als er Anfang Dezember doch noch in China landete, bei seinem Rundgang durch Guangzhou (Kanton) erleben.
In nahezu allen Schlüsselindustrien schreitet das Land unaufhaltsam voran, was nichts daran ändert, dass es immer noch Nischen gibt, in denen deutsche Partner gefragt sind. Wir haben das erlebt beim Besuch des Pharmaunternehmens CQQT in Nanjing, als – an einem Sonntag! – die Produktion angeworfen wurde und voller Stolz die Halle mit hochmodernen vollautomatischen Verpackungsmaschinen aus Deutschland vorgeführt wurde, überwacht von nur zwei Arbeitern.
Das größere Investitionspotenzial liegt inzwischen im ländlichen China
Der systemische Vorteil der chinesischen Wirtschaftspolitik ergibt sich aus Langfristzielen, die auf die Unternehmen heruntergebrochen werden, ohne dass diese von oben dirigiert werden. Dies kann dazu führen, dass 50 Autohersteller versuchen, sich auf dem Markt zu etablieren und am Ende fünf übrigbleiben.
Die staatlich gewollte Konkurrenz forciert den Preiskampf und kann für die Umwelt von Nachteil sein, weil dabei Ressourcen verschwendet werden. Andererseits hat das in der Pharmaindustrie dazu geführt, dass die Preise um 30 bis 50 Prozent gesunken sind – in einer 1,4-Milliarden-Gesellschaft, die immer älter wird, auch eine Frage der Versorgungssicherheit.
In zurückhaltender chinesischer Art äußert sich Ingo Xu, der stellvertretende Direktor der Außenhandelskammer (AHK) in Guangzhou im Perldelta, das Silicon Valley Chinas. Von der Cafeteria im obersten Stockwerk der AHK blickt man auf die faszinierende Wolkenkratzer-Skyline der 16 Millionen Menschen beherbergenden Stadt. Weit unten liegt ein an den Central Park erinnernder Freizeitpark.
Die Gegend sei aufgrund des niedrigeren Lohnniveaus für deutsche Unternehmen interessant, erzählt Xu, 500 bis 700 Unternehmen residieren hier, doch die großen deutschen Konzerne sitzen noch immer eher in Peking oder Shanghai. Einer Umfrage zufolge investieren 79 Prozent der Unternehmen im Land, um in China wettbewerbsfähig zu bleiben.
Fünf Prozent der Befragten sehen China bereits jetzt als Innovationsführer in ihrer Branche, 46 Prozent erwarten das in den nächsten fünf Jahren; im Automobilsektor sind es sogar elf bzw. 59 Prozent. Die Konkurrenz erhöht den Kostendruck.
Auf diesem Markt ist nicht mehr Masse, sondern Qualität gefragt
Der chinesischen Erfolgsstory – industrielle Modernisierung in Verbindung mit angepassten Klimastrategien und ein auf den Binnenmarkt gerichteter Konsum – können sich auch deutsche Unternehmen nicht entziehen, wobei der chinesische Markt nicht mehr unbedingt Masse, sondern Qualität nachfragt. Die Sicherheit deutscher Autos sei immer noch ein hervorstechendes Merkmal, sagt Xu.
Ein Problem für die chinesische Wirtschaft sei die ausgeprägte Sparmentalität der Bevölkerung, die zu einer deflationären Entwicklung geführt habe. Die Chinesen sparen aufgrund der extremen Wohnraumknappheit in den Metropolen, die sie zum – nur zeitlich begrenzt möglichen – Kauf von Wohnungen zwingt. Ein eigenes Problem und noch ausgeprägter als in Deutschland.
Offenbar hat auch Außenminister Johann Wadephul bei seinem Besuch die Message verstanden. „Nachholbedarf“ und „Abhängigkeit“ Deutschlands konstatierte er im Anschluss an seine Reise, nicht ohne wieder Ansprüche an die Chinesen zu stellen, als ob man es immer noch mit einer subalternen Werkbank zu tun hätte. Und das haben wir gesehen, ist tatsächlich nicht mehr der Fall.