Deutschland sollte in dieser Klimapolitik mehr soziale Marktwirtschaft wagen

Eine erfolgversprechende und nachhaltige Wirtschaftspolitik kann nur eine freiheitliche sein, in der ein Staat im Wesentlichen die Regeln setzt und die Lenkung des Wirtschaftsprozesses überwiegend durch Preise, also an Märkten stattfindet. Es ist für die Zukunft Deutschlands von erheblicher Bedeutung, zu den Prinzipien einer freiheitlichen Wirtschaftspolitik zurückzufinden, denn die Kosten einer interventionistischen Wirtschaftspolitik sind zu hoch. Diese Erfahrungen stellt das deutsche Modell der sozialen Marktwirtschaft bereit, zu dessen Fundamenten der Ordoliberalismus der Freiburger Schule zählt. Wichtige Prinzipien der Wirtschaftspolitik in einer Marktwirtschaft stammen von dem Freiburger Walter Eucken.

Deutschland hat in der jüngeren Vergangenheit zum Schaden ein Gegenmodell erlebt. In ihm sollten Nachhaltigkeit und Klimaschutz durch eine heftig intervenierende Regierungskoalition gewährleistet werden, während ihr nahestehende gesellschaftliche Kräfte den Menschen erklären wollten, wie sie zu leben haben. Diese Ambitionen scheiterten mit dem Heizungsgesetz. Sie führte zu einem hartnäckigen Verlust an Zustimmung für die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien; gleichzeitig hat sie die Kräfte des Populismus im Land gestärkt.

Von den zahlreichen Absonderlichkeiten der Debatte in jener Zeit sei die Vorstellung erwähnt, sich zum Wohle des Klimas in der britischen Kriegswirtschaft nach 1939 auszurichten und die deutsche Volkswirtschaft in einen Schrumpfungsprozess zu führen. Reiche Marktwirtschaften besitzen stattdessen am ehesten die Voraussetzung, umweltfreundliche Techniken zu entwickeln, mit deren Hilfe sich Wohlstand und Nachhaltigkeit verbinden lassen. Zu welch desaströsen ökologischen Folgen eine übertriebene Staatslenkung führt, hat Klaus Schroeder in einem im Wirtschaftsteil der F.A.Z. am 16. August erschienenen Beitrag am Beispiel der DDR geschildert. Dort gab es weder Wohlstand noch Nachhaltigkeit.

Für Ökonomen ist der Umgang mit Nachhaltigkeit ein alter Hut. 1920 zeigte Arthur Cecil Pigou, wie Umweltschäden durch die Berücksichtigung der nicht in Marktpreisen enthaltenen externen Kosten eingepreist werden. Pigou schlug vor, eine vom Verursacher zu zahlende Steuer zu erheben; Fachleute sprechen von einer Pigou-Steuer. Die von zahlreichen Ökonomen unterstützte Idee einer CO2-Steuer ist ein Beispiel. Einige Jahrzehnte später analysierte Ronald Coase, wie die Berücksichtigung externer Kosten auch ohne den Staat auf dem Verhandlungsweg möglich ist. Diese Erkenntnisse zählen seit Jahrzehnten zum Grundlagenstoff der Volkswirtschaftslehre.

Emissionshandel als Grundlage zukünftiger Klimapolitik

Er blieb nicht graue Theorie. Der heutige Emissionshandel ist eine Ausprägung dieser Überlegungen. Er existiert in Europa für die CO2-Emissionen der Industrie, der Energiewirtschaft und des innereuropäischen Flugverkehrs. Die Höhe der Emissionen ist durch die Zahl der Zertifikate begrenzt. Ein Unternehmen, das im Zuge einer Produktionsausweitung mehr Kohlendioxid ausstoßen will, muss Zertifikate von anderen Unternehmen kaufen, die daraufhin weniger Kohlendioxid emittieren.

Weil die Zertifikate Geld kosten, entsteht für Unternehmen ein Anreiz, möglichst CO2-arme Produktionstechniken zu verwenden. Wer umgekehrt sehr viel Kohlendioxid (CO2) emittiert, muss Geld für Zertifikate ausgeben. Allerdings fallen effiziente Zukunftstechnologien nicht vom Himmel; daher bleibt für ihre Entwicklung Technologieoffenheit eine Vorbedingung.

Der Emissionshandel mit Zertifikaten ist kein Allheilmittel, aber leistungsfähiger als viele Markteingriffe durch den Staat. Er sollte die Grundlage einer zukünftigen Klimapolitik bilden. Eine sehr gute Einführung hat vor zwei Jahren der Ökonom Achim Wambach („Klima muss sich lohnen“) verfasst. Nachhaltigkeit und Wirtschaft lassen sich in einer sozialen Marktwirtschaft versöhnen.

Die Ineffizienzen konkreter Interventionen zeigen sich ebenso im Komplex „ESG“, der einst als vorbildlich gepriesen wurde und sich heute Kritik anhören muss. ESG steht für Environmental, Social und Governance (Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) und beschreibt Regelwerke, mit denen Unternehmen als wichtig deklarierten gesellschaftlichen Verpflichtungen nachkommen sollen. In der Praxis sind die Regelwerke – vor allem für Banken – überbordend und unübersichtlich. Sie haben in Unternehmen, Behörden und Verbänden eine eigene Branche begründet, die, wie die ökonomische Theorie der Bürokratie erwarten lässt, viel Aufwand betreibt, um ihre Existenz besonders in für sie schwieriger werdenden Zeiten zu rechtfertigen.

Belastbare Daten fehlen zur Berwertung

Gleichwohl bleiben die Kategorien unscharf. Was sie zusammenhält, ist ein bestimmtes gesellschaftliches Verständnis von der Aufgabe von Unternehmen, aber nicht von der Wirklichkeit vieler Unternehmen. So dürfte das Renditekalkül einer Investition in erneuerbare Energien (Environmental) unabhängig vom Grad der Diversität der Mitarbeiter sein (Social). Abgrenzungsprobleme bleiben offenkundig. In der Sparte Environmental gibt es Stimmen, die Atomkraftwerke aus klimapolitischer Sicht für nachhaltig halten, während sie für andere eine Inkarnation des Teufels bleiben. Heute wird diskutiert, ob Investitionen in Militär als nachhaltig mit Blick auf die äußere Sicherheit als Staatsziel gelten sollten, was bisher undenkbar war. Es existiert eine EU-Taxonomie, die aber nicht zwingend mit nationalen Anforderungen übereinstimmt. Auch fehlt es zur Bewertung vieler Sachverhalte an belastbaren Daten.

Zwischen den Einzelzielen bestehen zudem Konflikte. Aus klimapolitischer Sicht kann es sinnvoll erscheinen, eine CO2-intensive Produktion schnell zu schließen; mit Blick auf Arbeitsplatzverluste (Social) sieht dies schon anders aus. Wieder mit Blick auf Social werden Arbeitsbedingungen in ärmeren Ländern häufig zum Problem, allerdings befinden sich die für CO2-arme Produktionen notwendigen Rohstoffe nicht selten in ärmeren Autokratien. Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ist ein Wort- und Bürokratieungetüm und auch noch wirtschaftsfeindlich. Es fördert den Protektionismus, während eine freiheitliche Politik die Bewahrung der Globalisierung favorisierte.

Nur Unternehmen, die ökologische und soziale Verantwortung übernähmen, würden künftig am Markt bestehen, ist von Beratern häufig zu hören. Dies mag stimmen: Aber warum schreibt man den Unternehmen vor, wie sie sich zu verhalten haben – und dies mit einer großen Zahl von Regulierungen, wenn gleichzeitig die Unternehmen als eines der wichtigsten Probleme unserer Zeit ein Übermaß an Regulierungen und Bürokratie diagnostizieren?

„Die Wirtschaftspolitik stelle einen brauchbaren wirtschaftsverfassungsrechtlichen Rahmen für den Wirtschaftsprozess her; an diesem Rahmen halte sie beharrlich fest und ändere nur mit Vorsicht“, schrieb Eucken, für den „Konstanz“ ein wichtiges Gütezeichen einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik war. Dagegen bildet die sich in Regulierungswut manifestierende Anmaßung von Wissen des Staates aus der Sicht marktwirtschaftlicher Ökonomen ein Erzübel des Interventionismus. Aus einer marktwirtschaftlichen Sicht wäre es konsequent, den Unternehmen zu überlassen, wie sie sich verhalten wollen. Wenn der Markt nachhaltige Wirtschaft honoriert, werden sich nachhaltig ausgerichtete Unternehmen dort schon bewähren.

Einführung lokaler Preise im deutschen Strommarkt

ESG lief am Kapitalmarkt so lange gut, wie die Renditen stimmten. Seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sind Absetzbewegungen auch namhafter Finanzhäuser erkennbar. Erfolgreich investieren ließ sich seitdem an der Börse zum Beispiel auch in fossile Energie und in Rüstungsunternehmen, während manche (vermeintlich) klimafreundlichen Investitionsprojekte wie der Bau von Batteriewerken jetzt fragil wirken. In einer solchen Situation die Banken bevorzugt in die Finanzierung von Klimaprojekten zu lenken kann sich mit Blick auf die Finanzstabilität als heikel herausstellen. Mit ESG ist es wie mit der Klimapolitik: Das Thema müsste, von gesellschaftspolitischer Instrumentalisierung und Dystopien übereifriger Aktivisten befreit, streng sachbezogen diskutiert werden.

Alle Projektionen sagen für die Zukunft einen signifikant höheren Stromverbrauch in Deutschland voraus. Doch die Politik gibt einen deutschlandweit einheitlichen Strompreis vor und setzt somit keine Anreize, den Strommarkt effizienter zu gestalten. Im Norden und im Osten wird häufig Strom aus erneuerbaren Energien produziert, der regional keine Abnehmer findet. Im hoch industrialisierten Süden übertrifft die Nachfrage nach Strom dagegen immer wieder das Angebot.

In einem funktionierenden Markt flösse Strom aus dem Norden in den Süden, aber die für die Durchleitung notwendigen Kapazitäten existieren nicht. Hierfür besteht auch kein Anreiz, weil im Süden fossile Reservekapazitäten mobilisiert werden. Die produzieren zwar teurer, aber wegen des einheitlichen Preises entsteht im Süden keine Nachfrage nach höheren Durchleitungskapazitäten.

Daher haben zwölf Energieökonomen in einem am 10. Juli im Wirtschaftsteil der F.A.Z. erschienenen Artikel für die Einführung lokaler Preise im deutschen Strommarkt plädiert. In diesem Falle entstünden für Unternehmen Anreize, sich dort anzusiedeln, wo ein hohes Angebot an Strom existiert, weil dort die Preise niedriger sein werden. „Damit Deutschland seine ehrgeizigen wirtschaftlichen und klimapolitischen Ziele erreichen kann, braucht es ein Strommarktdesign, das die physikalische und ökonomische Realität widerspiegelt“, schrieben die Ökonomen. In ihrer Eigenschaft, die unterschiedlichen Knappheiten von Gütern anzuzeigen, sah schon Eucken die wesentliche Funktion von Preisen.