Deutscher Geely-Designer: „Vorsprung durch Technik passiert in China“

Rechts und links auf der Bühne stehen zwei Modelle des Hotpot-Autos. Das zumindest wäre zurzeit wohl die beste Beschreibung, um Chinesen zu erklären, um welches Auto es geht. Der Zeekr Mix ist das Auto, in dem man das Gericht essen kann. So zumindest wirbt die Elektroautomarke Zeekr für das neue Modell, das Ende Oktober in Hangzhou vorgestellt wurde. Der Fahrer- und der Beifahrersitz lassen sich umdrehen, sodass sie der Rückbank zugewandt sind. Dazwischen lässt sich ein Tisch aufbauen. Nicht wenige Chinesen zweifelten in den Sozialen Medien daran, ob man Geruch und Essensreste wirklich in dem umgerechnet rund 36.000 Euro teuren Auto haben wolle. Ein wichtiger Zeekr-Manager verteidigte das Video in den Kommentarspalten.

Nach der aufwendigen Präsentation des Fahrzeugs stellten sich anderthalb Dutzend strahlende Manager für ein Gruppenfoto auf: Zwischen den zwei Hotpot-Autos lauter asiatische Gesichter, nur in der Mitte sticht einer heraus, der einen Kopf größer ist als alle anderen. Es ist Stefan Sielaff, der deutsche Chefdesigner von Geely , dem Vielmarken-Autokonzern von Milliardär Li Shufu, der auch an Mercedes beteiligt ist und zu dem Zeekr gehört.

Sielaff wirkt sehr zufrieden mit seiner Entscheidung von vor knapp vier Jahren. Damals verließ er seinen Posten als Designchef von Bentley und den Volkswagen -Konzern und wechselte zu Geely. Er ist jetzt nicht mehr im Abwehrkampf und in einem konservativen Konzern, sondern der Angreifer, der neue Wege gehen und die Autos von morgen entwickeln kann. Und während er bei VW aufs Altenteil abgeschoben worden wäre, wird seine Erfahrung hier geschätzt. Die meisten Zeit verbringt er indes im Geely-Designzentrum in Göteborg.

„Der Dieselskandal hat einen unheimlichen Kulturwandel bewirkt“

Sielaff nimmt in dem Gespräch, das sich um die deutsche und chinesische Autoindustrie dreht, kaum ein Blatt vor den Mund. Er hat eine klare Meinung zu den Unterschieden in der Unternehmenskultur und der Entwicklungsdauer von Autos. „In Europa lobt man sich dafür, von fünf auf vier Jahre zu gehen. Hier werden die Dinger in zwei Jahren gemacht.“ Deutsche Manager führen dafür meistens Abkürzungen an, die die Chinesen bei der Gründlichkeit nähmen.

Glaubt man Sielaff, sind die Gründe andere: digitalere Arbeitsmethoden etwa, vor allem aber würden Entscheidungen viel schneller getroffen, mitunter auch autokratischer. Es gebe weniger Gremien. „Man geht auch mal ein Risiko ein. Die Deutschen sind nicht so risikofreudig.“ Im VW-Konzern, den er jahrzehntelang von innen erlebt hat, habe das vor allem einen Grund, glaubt er. „Der Dieselskandal hat einen unheimlichen Kulturwandel bewirkt. Man steht fast unter der Kandare der Compliance.“ Die VW-Mitarbeiter gingen zu sehr auf Nummer sicher, um keine Fehler zu machen. Geely sei „viel mutiger und selbstbewusster. Der brutale Wettbewerb in China zwingt uns. Wer da zaudert, verliert. Man kann nur mutig sein.“

Auch deshalb sei die Einsatzbereitschaft der Designer und Entwickler größer. „Die Leute sind gieriger. Hier wird mit einem anderen Einsatz, Elan und Stolz für das Unternehmen gearbeitet.“ In Deutschland gab es diese Zeiten auch mal, sagt er. „Ich habe als Student bei Audi 1985 angefangen. Audi stand damals nicht so toll da. Aber alle hatten diesen Teamspirit: Wir machen Audi zu etwas Besonderem. Das erlebe ich hier wieder. Der Spirit ist nicht so saturiert und ängstlich.“

Deutsche Konzerne sollten auf Elektrokurs bleiben

Sielaff glaubt, dass die deutschen Hersteller trotz des schwächelnden Absatzes weiter voll auf Elektrokurs bleiben sollten. „Ich persönlich würde mutig im Entwickeln von Elektroautos voranschreiten.“ Langfristig führe daran kein Weg vorbei. „Ich rede mich da aber auch leicht, ich habe nicht Hunderttausende von Mitarbeitern an der Backe.“

Viele der älteren chinesischen Hersteller haben für ihre Elektroautos eigene Marken etabliert, so wie auch Geely mit Zeekr oder Polestar unter dem Dach von Volvo. Die bekommen größere Freiheiten und müssen sich nicht an ein altes Korsett halten. „Als wir Zeekr neu geschaffen haben, hatten wir eine Start-up-Mentalität“, sagt Sielaff. „Vielleicht wäre das für deutsche Hersteller gar nicht so schlecht.“

Sielaff ist einer von einer Reihe von deutschen Designern, die für aufstrebende chinesische Konzerne arbeiten. Der ehemalige Audi-Design-Chef Wolfgang Egger, wie Sielaff aus Bayern, ist seit einigen Jahren Chefdesigner von BYD verantwortlich, der ehemalige VW-Chefdesigner Klaus Zyciora für das von Changan in Chongqing. Auch der Smartphone-Riese Xiaomi hat für seinen Einstieg in den Automarkt Designer von deutschen Herstellern angeworben. Bis heute bemühen sich die Chinesen intensiv um deutsche Auto-Designer. Mitunter böten sie das Dreifache an Gehalt, sagte kürzlich ein Manager, der das Design eines deutschen Autokonzerns in China leitet, der F.A.Z.

„Wir als Deutsche glotzen immer so ein bisschen auf unseren Bauchnabel“

Dass deutsche und europäische Autodesigner auch in Zukunft noch eine große Rolle in China spielen, hält er für unwahrscheinlich. „Ich glaube nicht, dass das noch lang so weiter geht. Vielleicht sind das gerade die letzten Zuckungen.“ Seine Schlussfolgerung ist harsch: „Die Vormachtstellung eines westlichen Design-Knowhows wird sich egalisieren.“ Genauso hält Sielaff es für eine Frage der Zeit, der Geduld und der Investitionen, bis sich die Chinesen auch in Deutschland durchsetzen. Den „Rattenschwanz“ aufzubauen dauere eben. Es gehe um das Vertriebssystem oder darum, wer die Winterreifen habe. Doch klar ist auch: „Deutschland ist eine brutale Auster zu knacken, weil die Tradition da so stark ist.“ „Superkonservativ“ nennt er seine Heimat. Ob das Hotpot-Auto nach Deutschland und Europa komme, sei noch nicht entschieden.

Letztlich sei der deutsche Markt aber gar nicht so wichtig. „Wir als Deutsche glotzen immer so ein bisschen auf unseren Bauchnabel. Aber das ist nicht das Zentrum der Welt. Es gibt andere Schauplätze, die vielleicht sogar relevanter sind.“ Die Leute in Brasilien hätten zwar weniger Geld, dafür sei der Markt sehr groß.

Insgesamt hat die Wachablösung in der Autoindustrie aus Sielaffs Sicht längst stattgefunden. „Die Technologie der deutschen Autos ist nicht auf dem Level, das die chinesischen Autos haben.“ Der größte Unterschied sei die Batterie. „Sie können damit in China mittlerweile 800 Kilometer fahren.“ Und auch bei den Verbrennern hätten die deutschen Hersteller in den vergangenen Jahren nachgelassen. „Der Vorsprung durch Technik passiert jetzt in China“, resümiert er in Anlehnung an seine Audi-Zeit. „Nokia hat man auch nicht künstlich am Leben gehalten.“