Deutscher Buchpreis: Viele Frauen und große Verlage

Noch vor einigen Jahren hätte die diesjährige Longlist des Deutschen Buchpreises als Triumph gegolten: Dreizehn Frauen und sieben Männer wurden nominiert, zwei Independent-Verlage sind vertreten und sächsische Lokalpatrioten dürfen jubeln: Gleich drei der nominierten Frauen leben im Mini-Bundesland, darunter auch die jüngst mit dem Großen Preis des Deutschen Literaturfonds geehrte Martina Hefter. Aber die Zeiten ändern sich, und was gestern noch progressiv anmutete, wirft heute schon Fragen auf, etwa: Wirkt diese Liste wirklich wie „kuratiert“?

Einerseits wurden vor allem Spitzentitel der Programme nominiert – so etwa Iris Wolffs Lichtungen oder Mithu Sanyals Antichristie. Andererseits wurden bemerkenswerte Texte vergessen, etwa Slata Roschals Roman Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten, der das Psychogramm einer an den Umständen verzweifelnden Mutter mit den Mitteln einer atemlosen, elliptischen Prosa erkundet.

Rowohlt doppelt so häufig auf der Liste

Der Literaturkritiker und Freitag-Autor Thomas Hummitzsch urteilte auf Intellectures, die Longlist habe einen faden Beigeschmack, wobei man die beiden Worte vielleicht trennen muss – sie wirkt einerseits uninspiriert, andererseits einseitig. Wie könne es sein, fragt er, dass allein der Verlag Rowohlt doppelt so häufig auf der Liste vertreten ist (nämlich vier Mal) wie die Indies? Das sei in Zeiten, in denen viele Indie-Buchverlage ums Überleben kämpfen, eigentlich nicht vertretbar. Zuletzt gerieten immer mehr unabhängige Verlage in enorme Schwierigkeiten, weil die Preise für die Buchproduktion förmlich explodierten. In der Folge mussten viele die Druckkosten ihrer Titel über Crowdfunding finanzieren.

Nun soll es der Jury darum gehen, das beste Buch auszuwählen, das im Zeitraum eines Jahres erschienen ist. Insofern kann sie sich darauf berufen, dass nur die Qualität der Titel, nicht aber ökonomische Rahmenbedingungen der Verlage eine Rolle spielen dürfen. Das heißt im Umkehrschluss, dass das Programm der Indies im letzten Jahr recht schwach gewesen sein muss. Oder könnte da ein Vorurteil am Werk sein?

Ist „Indie“ immer noch Nische?

Selbst unter Journalisten und Autoren scheint die Vorstellung zu dominieren, dass ein Titel, der in einem Konzernverlag veröffentlicht wird, automatisch ästhetisch wertvoller ist. Umgekehrt wird „Indie“ noch immer mit Nische, geringer Relevanz und noch geringerer Kanon-Tauglichkeit assoziiert. Schwer zu glauben allerdings, dass ein grandioser Satireroman wie Michel Decars Kapitulation (aus dem März-Verlag, über einen scheiternden, wehleidigen Autor!) keine beglückten Leser finden sollte, oder dass Dilek Güngörs zärtlich-tastende Spracherkundung in A wie Ada (Verbrecher-Verlag) irgendeinen Leser vor den Kopf stößt.

Literatur entsteht nicht im gesellschaftlich luftleeren Raum. Wer bereits viel symbolisches Kapital besitzt, weil er sich als Journalist einen Namen gemacht hat oder der Sohn eines berühmten Lyrikers ist, der kann diese symbolischen Vorteile in lukrative Verträge umwandeln. Das Migrantenkind, das leider nicht an einem Literaturinstitut studiert hat, dürfte es dagegen schwerer haben.

Momentan sind sowohl ökonomisches wie auch symbolisches Kapital in den Händen weniger konzentriert. Insofern hilft es nicht, das Pferd von hinten aufzuzäumen, also den Mangel auf Listen anzukreiden. Stattdessen muss man immer und immer wieder hinterfragen, wer bestimmt, was kanontauglich ist, wer in Jurys entscheidet und wer im schrumpfenden Diskursraum, den wir Feuilleton nennen, überhaupt noch besprochen wird.

Die Nominierten für den Deutschen Buchpreis 2024

Nora Bossong: Reichskanzlerplatz
Zora del Buono: Seinetwegen
Franz Friedrich: Die Passagierin
Martina Hefter: Hey guten Morgen, wie geht es dir?
Timon Karl Kaleyta: Heilung
Maren Kames: Hasenprosa
Michael Köhlmeier: Das Philosophenschiff
Daniela Krien: Mein drittes Leben
Andre Kubiczek: Nostalgia
Ulla Lenze: Das Wohlbefinden
Clemens Meyer: Die Projektoren
Max Oravin: Toni & Toni
Ronya Othmann: Vierundsiebzig
Mithu Sanyal: Antichristie
Stefanie Sargnagel: Iowa
Dana von Suffrin: Nochmal von vorne
Markus Thielemann: Von Norden rollt ein Donner
Ruth-Maria Thomas: Die schönste Version
Doris Wirth: Findet mich
Iris Wolff: Lichtungen