Der Ostbeauftragte kann weg
Florierende Großstädte im Osten, marode Infrastruktur im Westen – viele Probleme des Landes haben nichts mehr mit der einstigen Teilung zu tun. Der Vorschlag, den Ostbeauftragten abzuschaffen, ist richtig.
Sepp Müller hat Chuzpe, ein bisschen jedenfalls. Eine Woche vor dem Tag der Deutschen Einheit schlägt der Vizechef der Unionsfraktion die Abschaffung des Ostbeauftragten vor. Müller, der aus Sachsen-Anhalt stammt, will das Amt durch einen Beauftragten für strukturschwache Regionen ersetzen. Für viele im Westen Deutschlands, wo Straßen, Brücken und Schulen verfallen und Stadtteile verwahrlosen, mag das eine Selbstverständlichkeit sein. Im Osten wird es nicht wenige geben, die es als eine weitere Benachteiligung betrachten in einem aus ihrer Sicht unbefriedigenden Vereinigungsprozess.
Politisch, und deshalb hat Müller durchaus Mut, birgt dieser Vorschlag für die Union Risiken. Linkspartei, AfD und BSW, die sich als die Sachwalter Ostdeutschlands gerieren, werden versuchen, dieses Thema zu ihren Gunsten auszunutzen: auf der einen Seite die Traditionsparteien des Westens, auch die CDU, die sich um den Osten nicht kümmern; auf der anderen Seite die Vorkämpfer für die Sache der entrechteten Ostdeutschen. Dieser Taschenspielertrick kann funktionieren, weil viele der emotionalen Narben, die in den Jahrzehnten nach der Wiedervereinigung bei Ostdeutschen entstanden sind, noch immer schmerzen.
Die Geschichte der Wiedervereinigung ist zu einer komplizierten Erzählung geworden. Die Westdeutschen sehen, wie viele Milliarden in den Osten geflossen sind, während daheim die Infrastruktur zerbröselt. Kommunen im Ruhrgebiet zum Beispiel gehören zu den ärmsten Städten Deutschlands. Die Ostdeutschen wiederum verweisen nicht zu Unrecht darauf, dass sie in Führungspositionen in Wirtschaft und Politik weit entfernt von einer angemessenen Beteiligung sind. Auch bei Einkommen und Vermögen ist der Unterschied groß. Nur ändert ein Ostbeauftragter daran nichts.
Müller hat Recht, wenn er darauf verweist, dass die Trennlinien in der Lebenswirklichkeit vor allem zwischen Großstadt und Land verlaufen. Städte wie München, Frankfurt, Leipzig oder Berlin und die Regionen drumherum boomen. Junge Menschen ziehen dorthin, weil es dort bessere Jobs gibt und ein Umfeld, in dem fast jeder nach seiner Façon leben kann. Im Rest des Landes bleiben die Alten zurück. Hinzu kommt ein brachialer Strukturwandel in Regionen wie dem Ruhrgebiet, der Lausitz oder vielleicht bald auch in Baden-Württemberg und Bayern, sollte die Autoindustrie nicht wieder auf die Beine kommen. Weniger Produktion führt zu weniger Jobs und Steuereinnahmen in der Fläche. Das wiederum hat den Verfall bestehender Infrastruktur zur Folge, woraufhin noch mehr junge Leute in die Metropolen abwandern. Es ist ein Teufelskreis, der die politischen Extreme begünstigt, im Osten wie im Westen.
Unterm Strich sind die Probleme in vielen Landesteilen gleich. In kleineren Städten und Dörfern sind Gesundheitsversorgung und Nahverkehr oft eine Katastrophe. Und die Alten, deren Kinder in die Großstädte abgewandert sind, hocken allein daheim. Rezepte dagegen brauchen Ost- und Westdeutsche gleichermaßen. Aber – und da ist Müller nicht mutig genug – wird ein Beauftragter für strukturschwache Regionen daran nichts ändern. Er oder sie ist ein Grüßaugust ohne echte Macht. Wofür haben wir Regierungen im Bund und in den Ländern, wenn sie nicht auch das Leben in der Provinz verbessern? Nahezu jeder Minister steht dafür in der Pflicht. Wer versagt, den bestraft der Wähler auf dem Land. Das Amt des Ostbeauftragten kann abgeschafft werden, ohne sich gleich ein neues auszudenken.
Source: welt.de