Der Nouveau Front Populaire gibt uns ein Gefühl zurück: Tanz dieser linken Hoffnung

Das Video reißt mich raus und ein nahezu unbekanntes Gefühl durchströmt meinen Körper. Doch, eine leise Erinnerung kommt auf, aber ich kann es nicht einordnen. Mit gerunzelter Stirn schaue ich mir diese jungen Menschen an, deren Gesichter sich vor laufender Kamera von besorgt in lachend und weinend verwandeln, ihre Körper lösen sich aus der Starre und hüpfen, tanzen, umarmen sich. Meiner verharrt in der Starre, und mir bleibt zunächst nichts als die fade Erinnerung, dass ich dieses Gefühl auch einmal kannte.

Je mehr Videos mir Freundinnen an diesem Tag schicken, desto mehr strömt dieses Gefühl auch durch mich, bis ich begreife – und anfange zu lächeln: Es ist geschafft! Die Rechtsradikalen vom Rassemblement National werden nicht Frankreich regieren, jetzt nicht, und das Gegenteil wurde erreicht: Der linke Nouveau Front Populaire wurde stärkste Kraft! Die Linke wurde stärkste Kraft. Dieser Satz scheint so absurd, kein Wunder, dass diese Erkenntnis eine ganze Weile braucht, bis sie vom Bildschirm durch meine dicke Ich-lebe-in-rechter-Hegemonie-Haut fließt und schließlich auch mein Herz erreicht: Oufff! C’est ouf. Die Gefahr ist gebannt, für den Moment. Nicht einfach so. Sondern weil die Linke die Rechte bekämpft hat, in einer kollektiven Kraftanstrengung.

Um 19.52 Uhr war noch Le Pens Weltuntergang

In Frankreich tanzen die Linken auf den Plätzen. In Lyon zeigt ein Video, wie sich die Menschen um 19.52 Uhr besorgt in den Armen liegen, sich gegenseitig trösten. Wie sie sich darauf gefasst machen, in einem rechtsradikal regierten Land leben zu müssen. Sie halten sich fest, um zusammen abzustürzen. Niederlagen sind sie gewöhnt, sind wir Linken gewöhnt.

Und dann, um 20 Uhr, fällt die Kamera beinahe auf den Boden, man sieht springende Beine, man hört Schreie der Erleichterung, sieht Tänze der Freude. Die Befreiung ist körperlich.

Ich verbringe meinen Abend in den sozialen Medien, an einem Ort, den ich in den letzten Monaten, in den letzten Jahren gemieden hatte, höchstens für niedliche Tiervideos oder für das Wichtigste in meiner Arbeit kurz besuchte, um dann wieder zu entfliehen. X und Tiktok hatte ich längst an rechts verloren erklärt. Feindliches Terrain. Und dann das. Diese Flut von glücklichen Linken in meinen Feeds. Ich hatte vergessen, dass das geht. Dass es sie gibt. Dass es uns gibt. Dass wir die Kraft entwickeln können, etwas aufzubauen, zu verändern. Diese Welt zu gestalten.

Meine Tante meldet sich, sie wohnt in einem Dorf nahe Paris. Ich sehe nach: In ihrer Region wurde der Nouveau Front Populaire die stärkste Kraft, es ist rot, ihr Dorf. Ouf, schreibt meine Tante.

Deutschlands Linke ist sich sicher: Das wird doch eh nix!

Und dann scrolle ich mich weiter durch die deutschen linken Feeds, und ich werde belehrt: wie naiv ich doch sei! Niemals werden die Liberalen, werden die Sozialdemokraten mit Jean-Luc Mélenchon regieren! (Schon dieser Satz! Schon, dass die Sozialdemokraten in Frankreich wieder eine Rolle spielen: Merkt ihr es nicht? Wer hätte das gedacht?) Niemals, bekomme ich zu hören, wird sich diese Linke durchsetzen können. Und was meine Hoffnungen nach der Wahl in Großbritannien angeht, höre ich, sei ich jawohl völlig aus der Welt gefallen: Was sei denn bitte Progressives oder Soziales von Labour unter diesem Keir Starmer zu erwarten?

Ich kann diese Haltung gut nachvollziehen, ich spüre sie ja selbst noch in meiner Brust wabern: Die Überzeugung, verloren zu haben, aufgeben zu müssen, sich auf den Faschismus einstellen zu müssen. Man spürt ihn ja, man sieht die Zahlen, bis zu 40 Prozent wählen in manchen Regionen die AfD, und auch in Frankreich ticken ganze Regionen wie Marine Le Pen. Der Rassemblement hat zehn Millionen Stimmen erhalten und liegt in absoluten Zahlen vor den anderen Parteien. Dieser rechte Feldzug endet nicht durch so einen linken Wahlsieg. Aber eine rechte Dominanz heißt eben nicht, dass die Linke nichts reißen kann. Sie kann, sie ist nicht gelähmt, sie hat die Möglichkeit, aufzustehen, ihre Gräben zu überwinden und in einem riesigen Kraftakt den Wind zu drehen. Freundinnen aus Frankreich erzählen mir, wie politisiert alle sind. Wie plötzlich alle geholfen haben bei der Kampagne des Nouveau Front Populaire, die vorher nie politisch aktiv waren.

Und jetzt tanzen die Menschen durch die Métro. Dieser Wahlsieg gehört ihnen, sie haben ihn sich hart erkämpft.

Linker Pessimusmus war beinahe schon angenehm

Das war dieses Gefühl, das ich vergessen hatte: Wie es sich anfühlt, wenn die Linke etwas erkämpft. Dafür muss sie natürlich erst einmal kämpfen. Und dafür muss sie sich aus ihrer Erstarrung lösen, aus ihrer Trägheit. So beängstigend die Stärke der Rechten auch ist, so verlockend es ist, ihr zu erliegen: Sie bringt uns das Recht auf Faulheit; das Gefühl, immer recht behalten zu haben, wie gefährlich die rechte Gefahr ist; und die Berechtigung, stets schlecht gelaunt durch die Welt gehen zu dürfen. Das ist dann sehr angenehm, wenn Hoffnung sehr anstrengend wurde, weil sie sehr oft enttäuscht werden musste.

Woran die französische Linke uns erinnert: Es gibt aber einen Grund, zu hoffen. Denn auch linke Hoffnung kann erfüllt werden. Wenn sie sich kollektiv dazu entscheidet, Mut zu haben – statt Angst.