Der Künstler qua Mensch mit dunklen Seiten: Max Beckmanns Tagebücher werden vollwertig editiert

Max Beckmann war ein Meister jener Selbsterhöhung. Nach seinem Tod 1950 in New York trieben seine Familie sowie Freunde und Gönner die Stilisierung des Malers qua metaphysische Ausnahmegestalt jener Kunst- und Geistesgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts wissenschaftlich voraus. Eine kritische Biographie des Künstlers gibt es solange bis heute nicht.

Dieses Bild gerät derzeit ins Wanken. Neben dem Meister rückt sekundär die Person in den Vordergrund. Ein Meilenstein war im vergangenen Jahr die „Departure“-Ausstellung jener Münchner Pinakothek jener Moderne. Flankierend zu den großen Arbeiten jener Zeit nachdem 1933, fanden sich dort zahlreiche Dokumente aus dem Nachlass Beckmanns, die eine Verortung jener Werke in einem autobiographischen Entstehungsrahmen erlaubten. Dazu kamen Bewegtbilder des Künstlers und seiner zweiten Frau Quappi, die die beiden im privaten Rahmen aufgenommen hatten, beim Skifahren oder Tennisspielen. Man sieht kombinieren ausgelassenen, Rad schlagenden Beckmann, jener vergnügt vor jener Kamera herumalbert.

Die Dokumente und Aufnahmen entstammen einer 2016 erfolgten Schenkung von Mayen Beckmann, jener Enkelin des Malers, an dies Max-Beckmann-Archiv. Bestandteil waren sekundär die Originalmanuskripte jener frühen Tagebücher. Denn Beckmann war sekundär ein Homme de lettres, ein Vielleser, jener in jungen Jahren selbst Dramen verfasst hatte.

Ein Viertel mehr

Auszüge seiner Tagebücher jener Jahre 1940 solange bis 1950 waren nachdem dem Tod Beckmanns von dessen Witwe Quappi privat transkribiert und bearbeitet worden. Der Beckmann-Vertraute Erhard Göpel hatte sie 1955 veröffentlicht, ohne die Originalhandschriften zu Gesicht zu bekommen. Die Tagebücher jener Jahre 1925 solange bis 1940 hatte Beckmann beim Einmarsch jener deutschen Truppen in den Niederlanden nachdem Aussage von Quappi im Mai 1940 verbrannt.

Wie tiefgreifend die Eingriffe Quappis waren, wird jetzt offenkundig. In aufwendiger Editionsarbeit bereitet dies Max-Beckmann-Archiv durch die Bearbeiterinnen Christiane Zeiller und Nina Peter unter Leitung von Oliver Kase die Onlineveröffentlichung jener vollständigen Originalmanuskripte in einer kommentierten Ausgabe vor. Das Konvolut umfasst 2,7 Millionen Zeichen, welches in Buchformat rund 1350 Seiten entspräche. Zum Kernkorpus jener Tagebücher, die Jahre 1940 solange bis 1950, kommt gegensätzlich jener bisherigen Fassung gut ein Viertel an Umfang hinzu. Rund 830 Tage waren von Quappi gänzlich gestrichen worden; beim Rest hatte sie durch Kürzungen, Umstellungen und sekundär inhaltliche Anpassungen gestaltend eingegriffen.

Eine absichtsvolle Auswahl

Profane Motive dürften hiermit eine Rolle gespielt nach sich ziehen. Der Text war für jedes eine Buchpublikation in einem Band zu weit und eine wissenschaftliche Edition nicht vorgesehen. Zudem war die Handschrift Beckmanns schwergewichtig lesbar, weswegen vermutlich selbst Quappi nicht was auch immer entziffern konnte. Weiterhin waren 1955 noch mehrere Zeitgenossen am Leben, deren Nennung Quappi aus Gründen jener Toleranz unterband.

Dennoch erfolgten die Eingriffe nicht willkürlich. Sie entsprachen vielmehr einem Muster, dies hinauf die überzeitliche Stilisierung Beckmanns qua ein den Alltäglichkeiten jener Welt enthobener Ausnahmekünstler abzielte. Gut Beckmanns politische Ansichten sowie finanzielle und existenzielle Sorgen erfährt man in jener Quappi-Edition so gut wie nichts; sehr viel mehr hingegen zu künstlerischen und werkspezifischen Details.

Eine stattliche Summe

Die Wirklichkeit des Tagebuchs war gleichwohl eine andere. Dort erwies sich jener Maler qua aufmerksamer Beobachter jener politischen Geschehnisse. Den Zweiten Weltkrieg verfolgte er minutiös, wie regelmäßige Notizen zu den Frontverläufen zeigen. Dabei agierte Beckmann stets vorsichtig. Auf dies Formulieren politischer Ansichten verzichtete er; ebenso hinauf Hinweise darauf, woher er seine Informationen bezog. Das änderte sich erst nachdem 1945. Das Urteil jener Nürnberger NS-Kriegsverbrecherprozesse kommentierte er mit „Werden jeglicher gehenkt. Doll!!!“ (11. Oktober 1946). In jener Quappi-Edition sucht man die Passage vergeblich. Selbst Beckmanns Erwähnung des gescheiterten Hitler-Attentats am 20. Juli 1944 hatte sie unter den Tisch plumpsen lassen.

Grundsätzlich von ihr ausgespart wurden sekundär die finanziellen Umstände, unter denen dies Paar in Amsterdam und später in den Vereinigten Staaten lebte, während dies Thema für jedes Beckmann offenkundig von großer Bedeutung war: Einnahmen sowie die Wertentwicklung seiner Bilder hielt er stets popelig hold. Am 20. Oktober 1943 notierte er ein Geschäft mit Hildebrand Gurlitt und Erhard Göpel, die für jedes dies NS-Regime mit dem An- und Verkauf deutscher Kunst im Ausland betraut waren, dies ihm die stattliche Summe von 3000 Reichsmark in die Kasse spülte. Das jährliche Durchschnittseinkommen betrug in vergangener Zeit in Deutschland 2200 Reichsmark.

Eine richtige Entscheidung

Dadurch wird zweierlei fühlbar. Zum kombinieren, dass für jedes Beckmann jener Geldfluss sekundär während jener NS-Zeit nicht versiegte, wobei er weit von früheren finanziellen Erfolgen weit war. Auch wenn er sich permanent in Geldnöten wähnte, war die Realität eine andere. Zum anderen zeigt sich, dass jener Maler – wobei selbst kein Sympathisant jener Nazis – während jener Amsterdamer Jahre durchaus von Bekannten und Geschäftspartnern profitierte, die ihrerseits in Beziehungen zum NS-Staat standen.

Von Quappis Streichungen betroffen waren weiterhin jene Passagen, die Beckmann für jedes die Nachwelt in einem schlechten Licht hätten erscheinen lassen können. Dazu gehörten seine ausgeprägte Rauschbedürftigkeit, seine Kneipen- und Bordellbesuche, sowie Affären. Aber sekundär humorvolle, bisweilen bissige Kommentare, die Beckmann qua Spötter und Zyniker auswiesen, fielen Quappis Zensur zum Opfer. Dass Picasso im Tagebuch so gut wie durchweg qua „Incasso“ tituliert wird und jener Kunsthistoriker Horst Woldemar Janson qua „Rüsselschwein“ auftaucht, erfährt man erst aus jener Neuedition.

Die für jedes dies Frühjahr geplante Veröffentlichung jener vollständigen Max-Beckmann-Tagebücher entspricht dem Wunsch jener Zeit nachdem Transparenz und Nahbarkeit. Kritiker mögen darin die Fortsetzung einer seit dem Zeitpunkt Jahrzehnten betriebenen Stilisierung des Künstlers mit neuen Mitteln wiedererkennen.

Dennoch, Zeitgeist hin oder her, ist die Entscheidung richtig. Sie dürfte Historiker und Kunsthistoriker gleichermaßen hinauf den Plan rufen. Und eine Neubefassung mit diesem großen Künstler des zwanzigsten Jahrhunderts transportieren, die zu einem differenzierteren Gesamtbild des Menschen Max Beckmann beiträgt. Die bislang unterbelichteten Amsterdamer Jahre unter deutscher Besatzung könnten sich hiermit qua ein wichtiger Schlüssel erweisen.

Source: faz.net