„Das ist eine unglaubliche Arroganz“ – hinaus einmal wird Röttgen wütend

Hört man in Moskau auf den US-Präsidenten – oder ist es umgekehrt? Eine Frage, mit der sich Maybrit Illner in ihrer Sendung auseinandersetzte. Dass es gehörig krachte, lag an der Zusammenstellung ihrer Runde. Vor allem einem platzte der Kragen.

Kompromiss oder Kapitulation? Wohin führt der sogenannte Friedensplan des US-Präsidenten für die Ukraine? Aus 28 Punkten, die sich zunächst wie ein Wunschzettel Russlands lasen, wurde in Genf ein 19-Punkte-Plan. Bundeskanzler Friedrich Merz sprach danach erleichtert von einem Papier, das endlich auch die Europäer und die Ukraine einbeziehen würde.

Nicole Deitelhoff ist Friedensforscherin. Ihr genauer Titel lautet Direktorin des Leibniz-Instituts für Friedens- und Konfliktforschung. Sie stellt zunächst einmal fest: „Das Papier hat widersprüchliche Formulierungen. In der US-Administration scheint einiges im argen zu liegen. Allein, wie das Papier an die Öffentlichkeit gelangt ist.“

Einmal mehr fühlte sich Europa überrumpelt, einmal mehr musste Europa auf eine Initiative der USA reagieren. Deitelhoff: „Das haben sie sich wieder einmal verdient. Sobald der Druck ein bisschen nachlässt, lassen leider auch die Europäer nach. Sie hatten genügend Zeit, selber Vorschläge auf den Tisch zu legen. Das tun sie aber nicht. Dann muss man sich nicht wundern, wenn andere die Initiative ergreifen, wie es jetzt wieder geschehen ist.“

Norbert Röttgen (CDU), Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, bemängelt: „Die Europäer sind noch immer nicht richtig eingebunden. Die Amerikaner setzen die Ukraine einseitig unter Druck. Sie erhoffen sich mit maximalen Konzessionen der Ukraine eine Zustimmung der Russen zu erhalten. Die Ukraine ist an den Rand der Kapitulation gegangen.“ Eine wirkungsvolle europäische Initiative sei die wirtschaftliche Nutzung von 140 Milliarden Euro eingefrorenen russischen Staatsvermögens, so Röttgen. „Das wäre eine Demonstration des europäischen Willens. Was wir jetzt sehen, ist eine 180-Grad-Wende der Amerikaner, die sich auf die Seite Russlands gestellt haben. Wer Krieg belohnt, wird Krieg ernten und nicht Frieden.“

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In der Runde sitzt Oleksii Makeiev, der ukrainische Botschafter. Er verhält sich während der gesamten Sendung erstaunlich unemotional. Sachlich erklärt er, in welcher Zwickmühle sich die ukrainische Gesellschaft nun befindet: „Wenn die Menschen gefragt werden, was sie bereit sind, für den Frieden zu geben, so stellt man fest: Je weniger sie selbst davon betroffen sind, desto mehr sind sie bereit zu geben. Jemand, der im besetzten Gebiet auf Hilfe hofft, hat eine andere Einstellung als jemand, der viele Kilometer von der Front entfernt lebt.“ Nüchtern stellt er fest: „Wir brauchen keine Vermittler, wir brauchen Verbündete.“

Für Makeiev hat Deutschland schon längst eine Führungsrolle in Europa übernommen. Ihm gefällt die „Fingerspitzendiplomatie von Friedrich Merz. Ich bin gegen US-Bashing. Wir brauchen die Vereinigten Staaten als Partner.“ Illner möchte ins Detail gehen. Gebietsabtretungen, keine Nato-Mitgliedschaft, wozu sollte die Ukraine bereit sein?

Der Ton in der Runde wird zunehmend schroffer. Auch, weil Ralf Stegner (SPD), wie Röttgen Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, zu vielen Kompromissen bereit zu sein scheint. Friedensforscherin Deitelhoff stellt fest: „Wir tun immer so, als könnten wir nur an der einen Seite drehen, um das zu haben, was wir bekommen wollen, nämlich Frieden.“ Makeiev gerät zunehmend unter Druck. Was hält er von territorialen Zugeständnissen? Der Botschafter sagt: „Im internationalen Recht gibt es keine Gebietsabtretungen. Man spricht von einer Unverletzlichkeit von Grenzen. Das dürfen wir niemandem, keinem Imperium und keinem Wahnsinnigen erlauben.“

„Wer hat das Recht, über die Souveränität eines anderen Landes zu richten?“

Jetzt platzt Röttgen der Kragen, und es wird laut. „Das ist eine unglaubliche Arroganz, wie sich manche hier herausnehmen, entscheiden zu wollen, was die Ukraine zu akzeptieren hat“, sagt er in Richtung Deitelhoff und Stegner. „Überhaupt zu wissen, wann die Ukraine aufhören muss zu kämpfen, was sie fordern darf und worauf sie verzichten muss. Wer hat das Recht, über die Souveränität eines anderen Landes zu richten?“

Jetzt sprechen alle durcheinander, nein, sie schreien durcheinander. Allein Botschafter Makeiev bewahrt seine besonnene Art. Er sagt: „Die Ukrainer sind nach Genf gekommen, um zu verhandeln. Wir sprechen über Menschen. Es sind Millionen Ukrainer in den besetzten Gebieten, die auf Befreiung hoffen.“

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Der aus Washington zugeschaltete US-Korrespondent Elmar Theveßen glaubt, Donald Trump habe „seit Jahresbeginn ein Signal der Schwäche nach Moskau gesendet“. Nun würde sich der größte Nato-Partner ein Stück weit auf die Seite desjenigen stellen, der die Nato als seinen größten Feind betrachtet. Das gäbe Russland die Möglichkeit, mit seiner Stärke zu drohen. Theveßen berichtet von Waffen, die einen sogenannten „Enthauptungsschlag“ gegen die Ukraine möglich machen würden. Ein Begriff aus der Militärstrategie, der einen massiven Angriff auf politische und militärische Führungsstrukturen meint und die Möglichkeit zu einem Gegenschlag ausschließt. Theveßen sagt, Russland könne mit genau jenen Raketen danach „auch die benachbarten Nato-Staaten bedrohen“.

Röttgen findet: „Trump hat Putin ein unglaubliches strategisches Geschenk gemacht. Der Westen ist gespalten.“ Deitelhoff widerspricht: „Diese Spaltung ist nicht neu.“ Röttgen reagiert erbost: „Die USA und Europa voneinander zu trennen, lässt Putin in seiner Position bestätigt fühlen.“

Erneut streiten die beiden über das Für und Wider möglicher Gebietsabtretungen. Deitelhoff erklärt den Unterschied zwischen de facto und de jure. Röttgen aber sagt: „Für die Menschen macht das keinen Unterschied.“ Worauf Deitelhoff kontert: „Wir können nicht nur moralisch über diese Frage reden“ und maßregelt Röttgen: „Sie haben einen Tonfall der Empörung!“

Illner beruhigt die Gemüter und erinnert an die Idee, die Ukraine so hochzurüsten, dass sie das stärkste und kräftigste Bollwerk Europas gegenüber Russland wird. Die Ukraine habe die kampferfahrenste und modernste Armee. Europa müsse ein großes Interesse daran haben, die Ukraine als starkes „Stachelschwein“ zu haben. Und Makeiev stimmt zu: „Die Nato wird sicherer mit der Ukraine.“ Deitelhoff findet, kein Friedensplan könne festlegen, ob die Ukraine Nato-Mitglied wird oder nicht: „Das können nur die Mitglieder der Nato entscheiden, nicht Amerika und nicht Russland.“

Wie schon zu Beginn der Sendung erinnert die Friedensforscherin daran, man sei „erst am Anfang eines Verhandlungsprozesses. Wir sehen, dass Dinge in Bewegung kommen und sich verändern, und das ist erst mal nicht das Schlechteste“, sagt sie und dreht sich zu Norbert Röttgen: „Und das ist nicht arrogant gemeint.“

Source: welt.de