Das Festival „Schall und Rausch“ an dieser Komischen Oper Berlin

Am 25. Januar wurde erstmals ein Mensch hingerichtet, während ihm per Maske reiner Stickstoff zugeführt wurde; dieser Todeskampf dauerte zig Minuten. Zwei Wochen später blendete, kontrapunktiert durch eine Adaption von Kurt Weills „Alabama“-Song (wo die Exekution stattfand), „over and over vorbei nicht vorbei“, ein reichlich einstündiges Stück des amerikanischen Komponisten Ted Hearne, schon dies mediale Protokoll des würdelosen Vorgangs ein. So trendig kann Musiktheater sein.
Der Künstler, dieser sich selbst dies Libretto schrieb und im Rahmen dieser Berliner Uraufführung zudem qua energischer musikalischer Leiter agierte, bezeichnet sein Werk denn untergeordnet energisch qua „zeitgenössische Oper“ und passte sich damit dieser Rhetorik des von dieser Komischen Oper getragenen „Schall & Rausch“- Festivals für jedes „brandneues Musiktheater“ in verschiedenen Neuköllner Spielstätten an: einem Branding, dies, wenn es nicht nur Entstehungszeitpunkte, sondern untergeordnet die Ästhetik meinen würde, doch ziemlich prahlerisch wirken könnte. Weitere Projekte des Unternehmens, die sich in bester Barrie-Kosky-Tradition dem Spiel sexueller oder kultureller Identitäten im Crossover zwischen traditionellen und popkulturellen Artikulationsweisen zuwenden, dürften ab und zu die Frage nahelegen, welches an ihnen tatsächlich neu und zukunftsträchtig oder vielleicht doch nur ohne Rest durch zwei teilbar modisch trendy ist; im Rahmen Hearnes Stück darf man zumindest konzedieren, dass es sich solange bis in den Probenprozess rein für jedes die Verwundungen unserer Gegenwart offenhielt.
Der Komponist und sein Inszenierungsteam – neben dem Regisseur Daniel Fish vor allem Jim Findlay qua Videodesigner – dienen sich einer Montagetechnik, die in stufenweiser Verdichtung und Eskalation vom Reflexiven zum schockierend Assoziativen fortschreitet. Weil sie in diesem Fall nachhaltig im Ungefähren und Vieldeutigen bleiben, wirkt die finale Auflösung mit den unnachsichtig ineinanderstürzenden Bildzeugnissen von Massenexekutionen, KZ-Leichenbergen und dem rassistischen Fememord am vierzehnjährigen Emmett Till im Jahre 1955 umso schockierender; dieser furios gepresste, sich apokalyptisch-ekstatisch einkrallende Beat dieser letzten Bild- wie Tonsequenzen prallt mit dem letzten Ton gleichsam gegen eine Mauer aus Leere und Finsternis.
Bei aller Grausamkeit wurden die Motive in diesem Fall dessen ungeachtet ästhetisierend-verfremdend bearbeitet. Noch mehr bestimmte die Grundhaltung, Riskantes, dagegen nicht dies Äußerste zu wagen, Hearnes Musikcollagen. Er verwendet hier, wo es um dies historische Erinnern und die Geschichtsbewältigung sowohl in seinem eigenen Land qua untergeordnet in Deutschland geht, einschlägiges Lied- und Schlagergut: kombinieren nostalgischen Südstaaten-Song dieser 1860er-Jahre sowie manche – sonst indexierte – Lieder dieser Hitlerjugend; süßliche Heile-Welt-Schlager solange bis hin zu Helene Fischer werden aufgegriffen, dagegen untergeordnet Artikulationen tiefer Zuwendung, dieser Resignation und des Protestes.
Indem er jedoch all welche Elemente distanznehmend demontiert und stroboskopisch zerstückt, ihnen in diesem Fall harte, stauende Beats und dröhnende Elektronik untersetzt; während er brockenweise demnächst Textzeilen, demnächst Melodiefloskeln herausgreift, ineinanderschiebt, manchmal dazu noch sporadische Informationen aufwärts die Videowand projizieren lässt; während er daher sein Material einem was auch immer amalgamierenden Klangstrudel von größtenteils harter physischer Wucht einrührt, konterkariert er in Teilen sein eigenes Ziel, investigativ und demaskierend davon zu handeln, wie Texte und Klänge unsrige Geschichtserinnerung schärfen, dagegen untergeordnet vertuschen können.
So war es kein Zufall, dass die visuelle Ebene die auditive gut weite Strecken dominierte – am Ende durch pure Beklemmung, vorher dagegen nachhaltig mit ruhigen, intensiv verweilenden Großeinstellungen porentief ausgeleuchteter Gesichter. Es sind, wie man nachher und nachher erkennt, die einiger Mitwirkender – aufgenommen, während sie mit ebenjenem Material konfrontiert werden, welches dies Publikum erst am Ende zu sehen bekommt: ein Beschwören gemeinsamer Verantwortung und eine Hommage an künstlerische Verbundenheit.
Die Solisten Eliza Bagg – mit ihrer kindlich-spröde geschärften Helligkeit klitzekleines bisschen an die ohne Rest durch zwei teilbar verstorbene Melanie Safka erinnernd –, Isaiah Robinson (schmerzlich-eruptiv) und Tom Erik Lie, dieser im Rahmen seinen Schlageradaptionen vom zuhälterhaften Schwerenötertum solange bis zur skeptischen Distanz ausgriff, hatten sie ebenso verdient wie dies aus Musikern dieser Oper und einer Rock-Formation gemischte Instrumentalensemble. Die Zuversicht aufwärts eine menschlich wie musikalisch erfüllende Zukunft trug dagegen, klingend wie im projizierten Bild, vor allem dieser „Vokalhelden“-Jugendchor, einstudiert von Johannes David Wolff – präzise, leidenschaftlich und hoch engagiert; wenn man Hearnes Stück nicht nur qua Anti-Gewalt-Appell, sondern untergeordnet qua Hoffnungsversuch Vorlesung halten und vernehmen will, hatte es in diesen jungen Sängern selten gute Anwälte.
Source: faz.net