Das Falsche visuell lachen

Kann man heute noch Komödien spielen? Ist Lachen nicht unzeitgemäß, wenn ringsum Krieg und Krise herrschen? Tatsächlich tut sich das deutschsprachige Theater aktuell nicht leicht mit Stücken dieses normalerweise beliebten Genres. Klassische Publikumsmagnete wie Molières Der eingebildete Kranke oder Lessings Minna von Barnhelm muss man auf den Spielplänen schon suchen. Und ein Abend wie Heute leider Konzert! am Schauspiel Frankfurt versenkt die eigentlich ungemein brisanten Gassenhauer des Satirikers Georg Kreisler zwischen Cocktailtischen und 20er-Jahre-Dekor, als habe all das nichts mit dem Heute zu tun.

Viele Häuser setzen auf Karikaturen, nach der Devise: Vorhang auf für die Dümmsten unter den Rechten! Exemplarisch: Die letzten Männer des Westens am Schauspiel Köln. Es wartet mit einer Holzfällerszenerie auf, in der sich der deutsche Mann eben noch wohlfühlen darf. „Soja-Boys“ und all das „Gender-Gesocks“ sind unerwünscht. Weil Frauen in Selbstverteidigungskursen den richtigen Tritt in die Körpermitte lernen, tut ein Gegenangriff Not. Und so gründen sich – der Abend basiert auf den Recherchen des Journalisten Tobias Ginsburg – allerlei Maskulinisten-Bünde und völkische Thinktanks. Regisseur Rafael Sanchez findet mit seiner Kulisse, dem urdeutschen Hain, zwar einen guten Zugriff, doch der Abend läuft sich leer, weil er außer den überspitzten Stereotypen letztlich wenig zu bieten hat.

Dass der Applaus dennoch ordentlich ausfällt, mag eher an der Botschaft als an der Exzellenz der Inszenierung liegen, womit man bei einer Krux der Diskussion um Humor im Gegenwartstheater angelangt ist. Macht man es sich nicht zu einfach, von den Populisten einfach nur Zerrbilder zu zeigen? Ist dies nicht Wasser auf die Mühlen derer, die das Narrativ vom linksgrün-versifften Kulturbetrieb bedienen? Und überhaupt: Was gibt ein solches Stück den demokratisch Gesinnten? Selbstvergewisserung im gemeinsamen Lachen – aber den Horizont erweitern derartige Stücke nicht.

Politische Komik geht glücklicherweise auch anders. Zum Beispiel in Der große Gopnik am Theater Freiburg, einem sarkastischen Porträt Wladimir Putins aus der Feder des russischen Exilschriftstellers Viktor Jerofejew. Regisseur Eike Weinreich bebildert zunächst die Schrecken dieser Autokratie. An den ikonischen Film Panzerkreuzer Potemkin erinnernd, säumen bisweilen Leichen die Rondellbühne; es regnet Grabesblumen und Gewalt wird offen dargestellt. Umso mehr wirken da die Stilbrüche durch den Humor. Sowohl eingeblendete Katzenvideos als auch eine Saunaszene, in der Putin neben Stalin mit einem überdimensionalen Stoffpenis Platz nimmt, verleiten überraschend zu einem Lachen, das dann doch beinahe im Halse stecken bleibt. Ähnlich verfährt Anna Bergmann in ihrer Auseinandersetzung mit dem Schicksal Marilyn Monroes in Miss Golden Dreams am Badischen Staatstheater in Karlsruhe. Und ebenso nutzt die Aufführung von Ivana Sokolas Kill Baby am Tübinger Landestheater, ein Werk über die Abtreibungsdebatte, das Konzept gezielter Nadelstiche inmitten einer durch und durch ernsten Realität. Wo die Gefahr bestünde, durch Slapstick von ihr weggeführt zu werden, lässt dieser Humor sie überhaupt erst klarer und differenzierter wahrnehmen.

Geht’s auch ohne Politik?

Bleibt die Frage: Gibt es noch etwas zu lachen, ohne dass es gleich politisch sein muss? Oder ist das Ende des unbedarften Spaßes erreicht? Ab und zu gelingt es noch, ein Freudenspektakel zu entwerfen, das weder altbacken noch allein gesellschaftskritisch wirken will. Unter den Autorinnen sind da Rebekka Kricheldorf und Felicia Zeller zu nennen und als Regisseur zweifelsohne Herbert Fritsch, der dieser Tage mit einer grandiosen Persiflage auf den Theaterbetrieb am Schauspiel Stuttgart brilliert. Seine Inszenierung von Nis-Momme Stockmanns Das Portal nimmt eine Szene aufs Korn, die sich in den letzten Jahren immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert sah, die Bedürfnisse ihres Publikums zu ignorieren. Köstlich ist es, mitanzusehen, wie ein exzentrischer Regisseur auf der Bühne seiner Darstellerin mehrfach die einzig richtige Weise zum Verzehr eines Sandwiches erklärt. Postmodern soll es sein, und bitte nicht zu „indifferent“ kauen! Der Intendant zerfleddert derweil ein Manuskript, das nur aus Publikumsbeschimpfungen und zig Seiten Interpunktion bestehen soll, oder geriert sich als Koch, der den Zuschauern den biederen Fraß liefert, den sie bestellt haben.

Dass dieses Quatsch-Universum funktioniert, verdankt sich seiner völligen Künstlichkeit, den eckigen Bewegungen der Figuren, der eigentümlichen Sprechweise, dem Spiel mit Klischees. In der Tradition der Dramatik Friedrich Dürrenmatts wird die Welt als absurd vorgeführt. Einerseits mögen dessen und Fritschs Kosmen weit von der Realität entfernt sein, insbesondere wegen ihrer ästhetischen Überformung, andererseits verweisen sie ständig auf die Gegenwart. Sie halten keinen Spiegel vor, sondern verschieben das Bild darin so lange, bis die Gegenwart in der drastischen Verfremdung sichtbar wird – das Falsche tritt dadurch umso deutlicher zum Vorschein. Und besteht nicht gerade darin die Funktion der Komik auf der Bühne? Sie will doch nicht verharmlosen. Vielmehr wohnt ihr das Potenzial zur Welterkenntnis inne. Das Theater bleibt rührig und heterogen. Aber das soll ja auch so sein. Alles andere wäre schließlich erwartbar, also schon per definitionem nicht lustig.