Das bittere Ende eines deutschen Traums
In der Technologieszene wird das Lilium-Schicksal als Paradebeispiel gewertet, wie schwer es Start-ups mit anspruchsvollen Projekten in Deutschland haben. Besonders bitter: Ausgerechnet die Grünen legten ihr Veto bei einem Projekt ein, das zur sauberen Luftfahrt beitragen soll.
Er würde sein Unternehmen Lilium nicht noch einmal in Deutschland gründen, sagte Daniel Wiegand vor zwei Wochen. Da wusste er schon, dass es knapp werden könnte, erstmals Staatshilfe für sein Zukunftsprojekt zu bekommen. Geplant war ein deutsches Leuchtturmprojekt für eine umweltfreundliche E-Luftfahrtfahrt. Privatinvestoren waren aber nicht länger bereit, weiter Geld zu investieren, falls der Staat kein Unterstützungssignal sendet. Es kam nicht.
Jetzt hat Lilium in einer Nachricht an die US-Börsen angekündigt, dass die zwei wichtigsten deutschen Gesellschaften in Kürze Insolvenz anmelden. Sie sind überschuldet und dann zahlungsunfähig. Die erste große Pleite im Zukunftsmarkt der Elektroluftfahrt – und das in Deutschland.
Als der heute 39-jährige Wiegand 2015 gemeinsam mit anderen Studenten Lilium gründete, wollte er einen umweltfreundlichen Elektro-Senkrechtstarter schaffen, der weltweit für Aufmerksamkeit sorgen sollte. „Wir haben in den letzten 20, 30 Jahren kein einziges großes Technologieunternehmen mehr geschaffen“ gab Wiegand jüngst in einem Interview mit dem Fachblatt „Flugrevue“ zu bedenken.
Das wollte er ändern und hat schon viel geschaffen. Vor den Toren Münchens gibt es inzwischen gut 1000 Beschäftigte. Der juristische Sitz ist – wie bei Airbus – in Amsterdam. Lilium ist an der US-Technologiebörse Nasdaq notiert. 2021 sollte es beim Geldeinsammeln schnell gehen. Damals gab es noch einen Hype um E-Flugtaxis.
Von der Regierung kam die Absage
Doch die anfangs großen Versprechungen hielten dem Realitätscheck nicht stand. Lilium musste wiederholt ambitionierte Ziele und Zeitpläne verschieben. Zuletzt kam der Hilferuf nach dem Staat. Der Bund sollte 50 Millionen Euro Bürgschaft geben, abgesichert durch Patente. Für weitere 50 Millionen wollte Bayern bürgen, wenn der Bund seinen Part übernimmt. Vom Haushaltsausschuss der Bundesregierung kam aber eine Absage.
Besonders bitter für die Verantwortlichen bei Lilium und die Beschäftigten: Ausgerechnet die Grünen legten ihr Veto bei einem Projekt ein, das zur sauberen Luftfahrt beitragen soll.
Die Kritik: Wenn das Projekt technologisch so fortschrittlich ist, sollten sich auch weiterhin Privatinvestoren finden und nicht Steuergeld verschwendet werden. Zudem sollten nicht Projekte gefördert werden, die vornehmlich vermögende Leute nutzen können. Das Gegenargument von Lilium lautete, dass kein anderes großes E-Flugtaxi-Projekt ohne staatliche Hilfe auskommt. Entscheidend für weitere Privatgelder sei das Signal der Staatshilfe.
Doch es blieb aus. In der Technologie- und Investorenszene wird das Lilium-Schicksal als Paradebeispiel gewertet, wie schwer es Start-ups mit technologisch anspruchsvollen Projekten in Deutschland haben. Im Unterschied zu praktisch allen anderen E-Flugtaxi-Projekten werden die Modelle nicht mit sichtbaren Propellern angetrieben, sondern mit 30 sogenannten E-Jet-Triebwerken. In technologischer Hinsicht hat Lilium also eine Ausnahmestellung.
Von den bisher 1,5 Milliarden Euro, die in das Unternehmen gesteckt wurden und durch Entwicklungskosten aufgebraucht sind, kamen 95 Prozent aus dem Ausland. Es sei viel leichter Geld aus China zu beschaffen, als aus Deutschland, sagte der amtierende Lilium-Chef Klaus Roewe. Sogar vermögende Personen seien in Deutschland risikoscheu.
Lilium wird nach der Ankündigung Insolvenz in Eigenverwaltung für seine großen Deutschland-Tochterfirmen anmelden. Das bedeutet: Der Geschäftsbetrieb geht weiter, an der Produktion der ersten flugfähigen Modelle in der endgültigen Auslegung kann weitergebaut werden. Zudem hat das Unternehmen wertvolle Patente und Aufträge.
Auch bei Airbus half der Staat
In der Branche gibt es bereits Spekulationen, es könnten womöglich Frankreich als Staat oder französische Unternehmen einsteigen, oder potente Investoren aus dem Mittleren Osten, den USA oder China. Frankreich hat für die Ansiedlung einer Serienfertigung im Land bereits 200 Millionen Euro in Aussicht gestellt. „Da gibt es ein High-Tech-Unternehmen der E-Luftfahrt für billiges Geld“, sagt ein Kenner der Szene.
Wann letztlich Lilium kommerziell einsatzbereit ist, wenn sich ein Investor findet, ist unklar. Zuletzt nannte Lilium das Jahr 2026, aber dieser Zeitpunkt wird in den letzten US-Börsendokumenten nicht mehr erwähnt. Lilium ist ohnehin davon abhängig, wann die Aufsichtsbehörde EASA die Flugzulassung erteilt. Viele Branchenkenner erwarten, dass 2026 noch kein Lilium-Jet kommerziell fliegt, also noch viel Geld in das Unternehmen gesteckt werden muss.
Lilium-Mitgründer Daniel Wiegand hat angekündigt, dass er die Zukunft des Unternehmens nach den ersten Senkrechtstarter-Modellen mit 175 Kilometer Reichweite in größeren E-Regionalflugzeugen für 50 oder sogar 100 Passagiere sieht. Der Fortschritt in der Batterieentwicklung werde dies ermöglichen. Wiegand dachte, mit dieser Vision könnte Deutschland sich einen Namen im Flugzeugbau machen.
Sogar das Beispiel Airbus wurde bei dem zuletzt verzweifelten Hilferuf an die Geldgeber in Berlin bemüht. Auch bei Airbus habe der Staat mitgeholfen, dass die Europäer zum US-Wettbewerber Boeing aufschließen konnte, lautete ein Argument.
Lilium hatte zum Unternehmensaufbau viele Ex-Airbus-Schlüsselmanager engagiert. Verwaltungsratsvorsitzender ist Tom Enders, der Ex-Chef des Airbus-Konzerns. Lilum-Chef ist der Ex-Airbus-Top-Manager Klaus Roewe. Ausgerechnet an seinem 60. Geburtstag musste er jetzt die Insolvenzanmeldungen verkünden.
Source: welt.de