Danyal Bayaz: „Grüne neigen gern dazu, noch eins obendrauf zu setzen“

DIE ZEIT: Herr Bayaz, Sie haben kürzlich behauptet, das Heidelberger Schloss verkaufen zu wollen. Der Staat könne sich die Unterhaltskosten nicht mehr leisten. War das ein guter Scherz?

Danyal Bayaz: Mein Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagt ja immer, Politik müsse Sinn ergeben. Stimmt! Aber Politik darf auch mal Spaß machen, und es war ja ein Aprilscherz. Ich bin Hardcore-Heidelberger, dort geboren und aufgewachsen. Es müsste schon bitter zugehen, wenn ich das ernsthaft vorhätte. Das Schloss bleibt in Landesbesitz. Zumal es mittlerweile mehr Besucher hat als Neuschwanstein in Bayern.

ZEIT: Nach den Reaktionen zu urteilen, hätten viele Ihnen den Verkauf zugetraut.

Bayaz: Da kamen Naivität, Humorlosigkeit und politische Vehemenz unschön zusammen. Es zeigte, welche Stimmung gerade herrscht.

ZEIT: Auch die jüngsten Wahlergebnisse zeigen das.

Bayaz: Alles hängt mit einem funktionierenden Staat zusammen. Und in Deutschland funktionieren Kernbereiche nicht mehr gut. Wer mit der Bahn fährt, erlebt das praktisch täglich. Genehmigungsverfahren dauern zu lange. Die digitale Verwaltung kommt nur schleppend voran. Unser Bildungssystem steht unter Druck. Das alles verunsichert, schürt Angst vor Abstieg, schwächt das Vertrauen in die Demokratie. Auch deshalb gibt es diese Wahlergebnisse für extreme Parteien ohne Regierungserfahrung.

ZEIT: Der Kanzler ist aber dennoch guter Dinge: Die grüne Wende werde kommen, und jetzt stehe sowieso ein Konjunkturaufschwung bevor.

Bayaz: Das ist trügerisch: Noch ist Deutschland ein wirtschaftlich sehr starkes Land, allen voran Baden-Württemberg …

ZEIT: … wegen der heimlichen Weltmarktführer?

Bayaz: Ganz genau! Aber viele – auch mich – beschäftigt die Frage: Haben wir die beste Zeit hinter uns? Selbst wenn ein zarter Aufschwung kommen sollte, unsere Probleme sitzen tief. Die Nationenvergleiche zeigen das, die Menschen merken das. Das letzte Wahlergebnis ist daher auch eine Abrechnung mit der Ampelregierung, die leider mehr mit sich selbst beschäftigt ist, als die strukturellen Herausforderungen engagiert anzugehen.

ZEIT: Ein hartes Urteil über die Ampelregierung.

Bayaz: Sie hat diese lang angestauten Probleme geerbt. Dennoch hat mich die Ampelkoalition als Bürger in zweierlei Hinsicht enttäuscht. Da ist die mangelnde Führung an der Spitze. Wir motivieren Mitmenschen weder durch Schreckensszenarien noch durch Schönreden – wozu der Bundeskanzler neigt. Eine Gesellschaft wird motiviert, indem man ein positives, aber realistisches Bild von Zukunft zeichnet und sagt: Der Weg dorthin ist mit Zumutungen verbunden, aber er lohnt sich.

ZEIT: Was hat Sie noch enttäuscht?

Bayaz: Die FDP und die Grünen haben ihre jeweiligen Punkte – Marktwirtschaft und Klimaschutz – bislang nicht konsistent zusammengebracht. Man denke nur an die verpassten Chancen im Verkehrsbereich und an die Debatten zur Energiepolitik. Die Gegensätze wurden anfangs mit Geld überdeckt. Dann kam das Urteil aus Karlsruhe zur Schuldenbremse, und nun ist klar: Da ist eigentlich nichts dahinter. Die einen wollen viele Details regeln, die anderen wollen eigentlich gar kein Gesetz. Es gibt keinen gemeinsamen Politikansatz.

ZEIT: Was schlagen Sie vor?

Bayaz: Die Ampelregierung hat noch eine einzige, eine allerallerletzte Chance. Es geht aber nicht um irgendeinen Kompromiss in der Haushaltspolitik. Die Ampel muss über sich hinauswachsen für einen großen Wurf, eine Agenda 2030.