Dachboden | Kulturelle Aneignung: Eine Westfrau liest Ostzone-Literatur

Selbstironisch und mit einem Augenzwinkern betreibt Marion Pfaus in ihrem Bühnenprogramm kulturelle Aneignung der spezifisch deutschen Art: Begleitet von Bildern und Videoschnipseln streift sie durch das Minenfeld der DDR-Literatur


Buchhandlung in der DDR

Foto: Imago / TT


Kulturelle Aneignung DDR – das ist natürlich ironisch gemeint. Aber Ironie hat viele Facetten. Manchmal ist sie ein Verfahren, sich auf versteckte Weise lustig zu machen. Dann wieder dient sie als Abwehr dagegen, zu ernst genommen zu werden. Bei Marion Pfaus, die sich als Medienkünstlerin Rigoletti nennt, wird Ironie zur Methode einer Erkundung.

In ihrem Bühnenprogramm Kulturelle Aneignung DDR ist es das weite Feld der DDR-Literatur, durch das die Reise geht. Was es dabei mit der Ironie auf sich hat, veranschaulicht die aus Baden-Württemberg stammende 59-Jährige, wenn sie sich zu Beginn im Zentrum der Bühne vor dem Publikum verneigt: „Ich wollte mit einer großen Geste anfangen“. Im weiteren Verlauf kommentiert sie abseits des Scheinwerferlichts von einem kleinen Schreibtisch aus eine Abfolge von Bildern und Video-Schnipseln, die auf die Leinwand projiziert werden. Das ernste Thema wird gleichsam durch Augenzwinkern von Ballast befreit, die trollhafte Persona, die Pfaus als Rigoletti gibt, entpuppt sich als perfektes Vehikel für eine Neugier jenseits der vorgefassten Meinungen.

Statt als Lesung daherzukommen, gestaltet Rigoletti ihren Abend über die DDR-Literatur als Diavortrag. Der Großteil der Aufnahmen zeigt wenig mehr als ihre Hand, die die Bücher hochhält, von denen sie gerade erzählt. Dazu gibt es Fotos der Autoren, die sich wiederholen: Franz Fühmann, Christa Wolf, Helga M. Novak. Manchmal werden auf Gruppenbildern einzelne Personen per Pfeil ausgedeutet, etwa Brigitte Reimann im Bikini unter lauter Männern auf einer Sibirienreise.

Günter Grass beim Rauchertreff

Zu den Höhepunkten zählen ein paar deliziöse Filmaufnahmen. Bekannt ist die von Thomas Brasch bei der Vergabe des bayerischen Filmpreises, wo der in die BRD Ausgereiste unter Buhrufen der Filmhochschule in Babelsberg dankte. Weniger oft sieht man Franz Josef Strauß’ verhaspelte Antwort darauf, in der er gönnerhaft die „liberalitas bavariae“ lobte, die Brasch solche Meinungsfreiheit zugestehe. Ein kleines Juwel ist Günter Grass auf dem 5. Schriftstellerkongress 1961 in Ost-Berlin, oder wie Rigoletti es nennt: das Rauchertreffen, weil durch die schwarz-weißen Fernsehaufnahmen sich Schwaden von Zigarettenrauch ziehen.

Die Rigoletti-Persona erlaubt es Pfaus, sich frei von literaturwissenschaftlichen Zwängen durch ihren Stoff zu bewegen. „Das hat mich interessiert“ ist ihre Parole. Sie setzt an mit Franz Fühmann und dessen Verarbeitung der eigenen Nazivergangenheit – Fühmann war 23 bei Kriegsende –, springt zu Christa Wolfs Kindheitsmuster und dann zu Helga M. Novaks Eisheiligen, wo diese von der Wahrnehmung ihres damals 12-jährigen Ichs erzählt. Von solchen motivischen Zusammenhängen geht es weiter zu den Bedingungen, die das Schriftstellerleben in der DDR so mit sich brachte, der „Bitterfelder Weg“, das „11. Plenum“, die damit verbundenen Forderungen und Verbote und natürlich auch die Rolle der Stasi. Nichts wird erschöpfend behandelt, aber alles ist eine Anregung – zur Vertiefung, zum Wieder- und Weiterlesen.

Den Ausgaben, die Rigoletti ins Bild hält, sieht man an, dass sie gelesen wurden. Sie erzählt schließlich, wie sie einige der Bücher in einem Antiquariat ihrer Ost-Berliner Nachbarschaft erstanden und darin Originalwidmungen der Autoren entdeckt hat. Das Tolle ist, dass man am Ende des Abends diese persönlichen Widmungen plötzlich versteht – als Zeugnisse aus dem vieldeutigen, widersprüchlichen Kosmos, der die DDR-Literatur war.

Kulturelle Aneignung DDR Theater Aufbau Kreuzberg (tak) , nächster Termin 23.11.2025