Cum-Ex-Verfahren: Wo welcher eigentliche Skandal im Skandal lauert
Meinung
Prozess gegen Olearius
Cum-Ex-Verfahren: Wo der eigentliche Skandal im Skandal lauert
Das Ende im Cum-Ex-Prozess gegen Hamburgs einstigen Vorzeigebanker Christian Olearius ist bitter. Aber bei der Aufklärung des Steuer-Skandals war er ohnehin nur noch Stellvertreter – für einen viel wichtigeren Beteiligten.
Auch der letzte Prozesstag dauerte gerade mal 45 Minuten, genauso, wie es das Gericht vor einigen Tagen selbst verfügt hatte. Aus Rücksicht auf die angegriffene Gesundheit des Angeklagten. Um kurz vor 15 Uhr war es dann vorbei, das wohl wichtigste Wirtschaftsstrafverfahren des Jahres – eingestellt wegen dauerhafter Verhandlungsunfähigkeit: Hamburgs einstiger Vorzeigebanker Christian Olearius, ehemals Chef und persönlich haftender Gesellschafter der feinen Privatbank M.M. Warburg, kann nun wieder seinem gewohnten Leben nachgehen.
Keine umständlichen Fahrten mehr zum Landgericht Bonn, keine weiteren peinlichen Verhöre, keine Zeugenaussagen, und auch kein Urteil. Bis zu zehn Jahre Gefängnis hatten Olearius gedroht wegen insgesamt 14 Fällen der besonders schweren Steuerhinterziehung durch hochkomplizierte Aktiengeschäfte, allgemein unter dem Schlagwort „Cum-ex“ bekannt. Um rund 280 Millionen Euro soll Olearius so (unter Mithilfe einiger Kollegen in der Bank und findiger Anwälte) den Staat betrogen haben, hatte die Staatsanwaltschaft argumentiert. Doch nun: Nichts weiter, das Verfahren gegen ihn, den früheren Chef, ist beendet.
Immerhin, große Teile des Schadens – rund 230 Millionen Euro – hatte Olearius bereits im Jahr 2020 beglichen. Großen Wert legte die Richterin auch auf die Feststellung, die Einstellung des Verfahrens sei mitnichten ein Freispruch. Sondern eben nur ein Zugeständnis an die schwache Gesundheit des heute 82-Jährigen.
Cum-Ex richtete Milliardenschaden an
Doch angesichts der kolossalen Vorwürfe schmerzt das Ende dennoch. Rechtsstaat kann eben ganz schön anstrengend sein. Der Gesamtschaden für den Staat aus den Aktiengeschäften, die in den Nuller-Jahren dieses Jahrhunderts fast alle Banken und findigen Großinvestoren betrieben, geht in die zig Milliarden. Aber ein Skandal im Skandal ist die Einstellung auch dann nicht, ebenso wenig wie bereits eine Kapitulation vor den Großen, nachdem man die Kleinen schnell gehängt hat.
Dass Olearius gesundheitliche Probleme hat, stellten Ärzte der Uni Köln in einem eigenen Gutachten fest. Das muss man akzeptieren. Mit den noch zumutbaren 45 Minuten je Verhandlungstag hätte sich der Prozess noch über mehr als 100 Verhandlungstage und damit über Jahre hingezogen. Den noch offenen Betrag von mehr als 40 Millionen Euro kann die Staatsanwaltschaft in den kommenden Monaten in einem eigenen Verfahren eintreiben, auch dieses Geld muss nicht verlorengehen.
Was wusste Olaf Scholz?
Nun kann man beklagen, dass das Verfahren gegen Olearius dennoch länger hätte betrieben werden können, wenn man die Regeln etwas gelockert hätte, wenn man etwa dem erkrankten Angeklagten die Pflicht zur Anwesenheit vor Gericht erlassen hätte.
Stationen seines Lebens
Olaf Scholz: Von den Jusos bis ins Kanzleramt
Doch in Wahrheit war auch Olearius längst nur ein Stellvertreter in einem viel größeren Aufklärungsprozess, der noch auf seine Eröffnung wartet: Was genau wusste in dem Steuerskandal eigentlich Olaf Scholz, zu Olearius‘ aktiven Zeiten bei Warburg Erster Bürgermeister von Hamburg, später Bundesfinanzminister und heute Bundeskanzler? Mehrfach traf sich Olearius in dessen Zeit als Bürgermeister mit Scholz – wie man heute weiß, um in den Auseinandersetzungen mit Hamburger Finanzbehörden bei Scholz eine gewisse Nachsicht zu erreichen.
Kanzler mit Erinnerungslücken
Scholz selbst sagt dazu, er könne sich an die Inhalte der Gespräche mit Olearius leider nicht mehr erinnern. Aber wer Scholz kennt, seine Akribie und sein Selbstbewusstsein, selbst die kompliziertesten Sachverhalte stets als allererster durchdrungen zu haben, dem fällt der Glaube an plötzliche Erinnerungslücken schwer.
In Hamburg untersucht ein Untersuchungsausschuss die Rolle des heutigen Kanzlers, die Union will auch auf Bundesebene einen Untersuchungsausschuss einrichten. Die Ampel-Koalition hat dies bisher in seltener Einigkeit verhindert.
Wichtig wird auch die weitere Arbeit der Kölner Staatsanwälte sein: Deren Chefin Anne Brorhilker hatte vor einigen Wochen hingeworfen, entnervt von politischen Widerständen und immer neuen Auseinandersetzungen. Die große Frage lautet nun: Setzen Brorhilkers Kollegen ihre Arbeit so unerschrocken fort oder kapitulieren sie vor dem Unwillen und der Finesse wichtiger Beteiligter?
Die Aufklärung des Cum-Ex-Skandals geht weiter
Etwa auch bei jener Hamburger Finanzbeamtin, die einst dafür sorgte, dass der Warburg-Bank eine millionenschwere Steuerforderung aus den Aktiendeals vorläufig erlassen wurde – unmittelbar nach einem Treffen von Scholz und Olearius. Bisher droht ihr eine Anklage, unter anderem wegen Beihilfe zu schwerer Steuerhinterziehung und Untreue. Auch darauf stehen bis zu zehn Jahre Gefängnis. Sie hat stets geschwiegen – aber ob das so bleibt, wenn sie vor Gericht steht, ist eben noch nicht getestet worden.
Das eingestellte Verfahren gegen Olearius mag schmerzen. Doch die viel größere und wichtigere Frage, ob der Rechtsstaat noch in der Lage ist, einen Skandal wie Cum-Ex aufzuklären, entscheidet sich inzwischen ganz woanders.
Source: stern.de