Cum-Cum-Geschäfte: Wenn selbst die Sparkasse zulangt

Mindestens 25 Milliarden Euro fehlen Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) im Haushalt für das kommende Jahr. Woher das Geld kommen soll, ist unklar. Wäre es da nicht naheliegend, es sich bei den Steuertricksern zu holen, die den Staat in den vergangenen Jahren um eine ähnlich hohe Summe betrogen haben?

Rund 25 Milliarden Euro, schätzt der Finanzwissenschaftler Christoph Spengel von der Universität Mannheim, sind dem Staat seit 2001 durch sogenannte Cum-Cum-Deals entgangen. Das sind Aktiengeschäfte, die darauf angelegt sind, dass diejenigen, die sie betreiben, Steuererstattungen bekommen, die ihnen nicht zustehen.

Cum-Cum-Deals sind eine ähnliche Masche wie die bekannteren Cum-Ex-Geschäfte. Die sorgten in den vergangenen Jahren für viel Aufsehen und für zahlreiche Straf- und Ermittlungsverfahren. Doch womöglich richteten die Cum-Cum-Geschäfte noch größeren finanziellen Schaden an.

Sie funktionierten lange so: Wer Aktien deutscher Unternehmen besitzt, muss auf die dabei anfallenden Dividenden Steuern abführen. Deutsche Finanzunternehmen können sich diese Steuer später aber zurückholen, weil sie schon Körperschaftsteuer bezahlen. Ausländische Banken dürfen das nicht. Doch es gibt einen Trick: Ausländische Banken leihen ihre Aktien kurz vor dem Stichtag der Dividende an deutsche Institute aus – und die fordern die Steuer zurück. Danach wandern die Aktien wieder an die ausländischen Eigentümer. Die Steuerersparnis teilen sich beide Seiten. Anfang der Nullerjahre trieben es große Investmentbanken aus London mit dieser Masche besonders bunt und kassierten Milliarden.

Die 25 Milliarden, die der Finanzwissenschaftler Spengel für die Cum-Cum-Deals errechnet hat, seien eine konservative Schätzung, sagt er. Es könnte um wesentlich mehr Geld gehen. „Es ist der größte Steuerskandal in der Geschichte der Bundesrepublik“, so Spengel. Anne Brorhilker, bis Mai noch Oberstaatsanwältin in Köln und bekannteste Jägerin von Steuerbetrügern, spricht von organisierter Kriminalität.

Beteiligt haben sich an diesem Beutezug Wertpapierhändler aus London, Banker aus Frankfurt, Düsseldorf, Hamburg oder Stuttgart sowie Steuerberater und Rechtsanwälte. Auch Sparkassen und Volksbanken sind darin verwickelt.

Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt beispielsweise gegen zwei Mitarbeiter der Kreissparkasse Göppingen wegen Cum-Cum-Geschäften. Am 16. Februar 2023 schrieb die Sparkasse ihren Kunden dazu einen Brief. Darin ist zu lesen, dass das Institut zwischen 2008 und 2014 „Wertpapierleihegeschäfte“ gemacht habe. Das seien „bankübliche Geschäfte“, die die Finanzverwaltung „uneingeschränkt akzeptiert“ habe – bis 2015. Da habe der Bundesfinanzhof geurteilt, so heißt es in dem Schreiben, dass solche Cum-Cum-Deals nicht erlaubt seien. Doch auch danach sei nicht klar erkennbar gewesen, was möglich sei und was nicht, argumentiert die Sparkasse und verweist darauf, dass das Bundesfinanzministerium „teils einander widersprechende Begründungen“ geliefert habe, warum die Steueranrechnung nicht erlaubt sein sollte.