Credit Suisse: Gerade noch am Leben

Die Frage, die jetzt über allem steht, lautet: Ist es genug? Reichen die 50 Milliarden Franken der Schweizerischen Nationalbank (SNB), um die angeschlagene Credit Suisse zu retten? Es ist eine gigantische Summe, die der einst stolzen Schweizer Bank zur Verfügung gestellt wurde. 50 Milliarden Franken, das sind fast 10 Prozent der Bilanzsumme der Credit Suisse und mehr als deren Eigenkapital in Höhe von 45 Milliarden Franken.

In höchster Not eilte die Zentralbank dem schon lange maroden Geldinstitut zu Hilfe, ein Kollaps hätte wegen des eng vernetzten Finanzsystems Folgen für Banken in aller Welt gehabt. Die Credit Suisse ist schließlich eine der 30 Großbanken, die für das weltweite Finanzsystem als „systemrelevant“ eingeschätzt werden. Too big to fail

Entsprechend erleichtert ist Credit-Suisse-Chef Ulrich Körner. „Wir danken der SNB“, ließ sich Körner in einer Mitteilung zitieren, die die Credit Suisse vergangene Nacht um zwei Uhr verschickte. Und er versichere, die Bank werde ihre „strategische Transformation weiterführen“, so Körner. „Mein Team und ich sind entschlossen, eine einfachere und fokussiertere Bank für die Bedürfnisse unserer Kunden zu schaffen.“ Im Laufe des Donnerstags erholten sich die Kurse, die Aktie schoss um 18 Prozent in die Höhe.

Von der Transformation der Credit Suisse hat Körner allerdings schon oft gesprochen, auch bei seinem Amtsantritt im vergangenen Jahr. Seine Vorgänger waren ebenfalls darum bemüht, die Bank wieder zu stabilisieren, bislang vergebens. Die Credit Suisse wurde als Schweizerische Kreditanstalt 1856 gegründet, sie war maßgeblich an der Finanzierung des Gotthard-Tunnels beteiligt, seit 1887 hat sie ihren Hauptsitz am Zürcher Paradeplatz, gleich neben der Konkurrentin UBS und gegenüber der Confiserie Sprüngli und einem Fachgeschäft für Davidoff-Zigarren – es gab ja durchaus mal bessere Zeiten. Aber sie sind lange vorbei.

Ein Sorgenunternehmen wie die Deutsche Bank

Die Credit Suisse ist eine Art neue Deutsche Bank, das Sorgenunternehmen der Finanzwelt. Anders als ihre große Konkurrentin UBS hat sie sich von den Folgen der Finanzkrise nie erholt. Seit Jahren steckt sie in Schwierigkeiten. Sinkende Erträge, ein schlechtes Risikomanagement und eine teure Investmentbank lähmen sie. Hinzu kommen häufige Wechsel an der Spitze und verschleppte Reformen und jede Menge Skandale.

Als Ende vergangenen Jahres auf Twitter das Gerücht die Runde machte, die Credit Suisse stehe kurz vor dem Kollaps, flüchteten die Kunden zuhauf. Atemberaubende 123 Milliarden Franken hoben die Kunden im vergangenen Jahr bei der Bank ab, das meiste davon im letzten Quartal. Besonders brisant: Es traf vor allem das Kerngeschäft in der Vermögensverwaltung. Mit 7,3 Milliarden Franken für das Jahr 2022 meldete die Credit Suisse Anfang der Woche dann auch den größten Verlust seit der Finanzkrise im Jahr 2008.

Kein Wunder also, dass die Bank an der Börse kaum mehr etwas wert ist. Nach den Turbulenzen gestern kostet eine Aktie der Bank noch 2,06 Franken – und ist damit deutlich billiger als ein Kaffee in der Confiserie Sprüngli. Der Marktwert liegt noch bei 8,5 Milliarden Franken, einst waren es mal mehr als 100 Milliarden Franken. Es ist ein kolossaler Absturz.

Und als wäre das vergangene Jahr nicht noch dramatisch genug gewesen, gab Anfang März auch noch David Herro, Chef des Investmentfonds Harris Associates aus Chicago, bekannt, seine Firma sei bei der Credit Suisse ausgestiegen und habe alle Anteile verkauft. Herro ist auch in dem deutschen Chemie- und Pharmaunternehmen Bayer investiert und war einer der größten Aktionäre von Credit Suisse, ein loyaler Teilhaber. Vergangenen August hielt er noch zehn Prozent der Anteile. Herro sagte der Financial Times, er habe die Geduld verloren mit dem Management, da die Reformen bei der Bank zu langsam vorangingen.

Selbst der wichtigste Aktionär will nicht aufstocken

Das war ein harter Schlag für die Bank – aber es kam noch schlimmer. Am Mittwoch wurde der Chef der Saudi National Bank, Ammar Al Khudairy, die knapp unter zehn Prozent der Anteile an der Credit Suisse hält, gefragt, ob er seine Anteile an dem kriselnden Institut aufstocken würde. „Die Antwort lautet: Auf keinen Fall“, sagte er in einem blumigen Statement gegenüber der Finanzagentur Bloomberg. Es gebe mehrere Gründe, der wichtigste seien regulatorische Hindernisse. Wenn man mehr als zehn Prozent halte, würden „eine ganze Reihe von neuen Regeln gelten“. Und darauf habe man keine Lust.

In die Sprache der ohnehin stets nervösen Finanzmärkte übersetzt heißt das: Der größte und reichste Teilhaber ist nicht bereit, die Bank zu stützen. Das löste am Mittwoch ein Beben an den Märkten aus, wo man infolge der Pleite der amerikanischen Silicon Valley Bank ohnehin skeptisch auf Bankaktien schaute. Die Papiere der Credit Suisse verloren zeitweise um 30 Prozent an Wert. Bankaktien in Europa und den USA wurden ebenfalls mitgerissen.

Neben der Credit Suisse schätzen Aufsichtsbehörden Banken wie JP Morgan Chase, Bank of America und Citigroup als systemrelevant ein. In Europa sind es etwa die Deutsche Bank, BNP Paribas, Barclays, UBS und ING. Würde die Credit Suisse pleitegehen, drohte sie – ähnlich wie die Investmentbank Lehman Brothers – andere Banken mitzureißen, weil die Banken derart eng miteinander vernetzt sind. Sie betreiben Aktienhandel miteinander, leihen sich Geld und wickeln für ihre Kunden Zahlungen untereinander ab. Das alles funktioniert nur, wenn sie untereinander das Vertrauen haben, dass die Gegenseite liquide ist. Um das wiederherzustellen, stellte die Schweizer Nationalbank den 50-Milliarden-Franken-Kredit bereit.

Aber reicht das? Am Donnerstagmittag hat sich an den Märkten eine nervöse Ruhe eingestellt. Die Bankenaktien holten einige Verluste auf, ebenso wie die Papiere der Credit Suisse. Auch Ammar Al Khudairy von der Saudi National Bank konnte sich inzwischen erklären. Ein Aktionär, der nicht zu seinem Investment steht, mutete am Mittwoch komisch an. Dem US-Sender CNBC sagte er einen Tag später: „Wenn man sich anschaut, was die Schweizer Nationalbank gesagt hat über die Zahlen, sie sind alle in Ordnung, alles ist gut. Ich glaube, sie brauchen nicht mehr Kapital.“

Übernahmegerüchte gehen los

Nicht alle sind derart zuversichtlich. Bei den großen Banken und den Beratungsunternehmen sitzen die Analysten und rechnen nach. Einer nannte die Milliardenhilfe ein „Heftpflaster“. Ein anderer sprach davon, dass man damit „Zeit kaufen“ könne. Und Kian Abouhossein, Analyst bei der Großbank J.P. Morgan, schreibt in einem Bericht: „Wir glauben, dass die Liquiditäts-Unterstützung der SNB, die vergangene Nacht beschlossen wurde, nicht reicht.“

Es gebe nun drei Möglichkeiten für die Bank. Die erste sei, die Investmentbank zu verkaufen, was aber viel Zeit brauche und was schon dem einst treuen Investor Herro zu lange dauerte. Die zweite Möglichkeit sei es, dass die SNB alle Einlagen garantiere und der Bank noch weiteres Geld zur Verfügung stelle, damit das Management Zeit habe, das Unternehmen komplett umzubauen. Oder dass die Credit Suisse von einem Konkurrenten übernommen werde. Der naheliegendste Kandidat? Der Nachbar von nebenan, die UBS. Aber auch andere Namen werden am Zürcher Paradeplatz gehandelt. Die Versicherung Swiss Life wird genannt, auch mal die Deutsche Bank. Übernahmegerüchte gab es auch schon in der Vergangenheit. Sollte das passieren, wäre es das Ende einer einst stolzen, traditionellen Bank.