„Cosa Nuestra“ von Rauw Alejandro: Uns bleibt immer noch jener Latin Pop
Dann müssen wir jetzt halt alle zum Salsakurs. Das lustigste und abwechslungsreichste Dancefloor-Album des Herbstes ist jedenfalls voll mit lässigen Latin-Pop-Stücken. Es beginnt mit einem schön schubbernden Bolero samt Ritsche-ratsch-Rhythmus und steigert sich über viele gelassen groovende Paartanzkompositionen hinweg schließlich in einen verschwenderisch orchestrierten Salsa hinein. Zwischendurch gibt es auch ein paar knallende elektronische Beats, zu denen im Sprechgesangsstil das dringende Bedürfnis nach flüchtigem Sex signalisiert wird – wie man das aus dem Latin Pop der vergangenen Jahre so kennt. Aber die Grundstimmung dieses Albums ist lässig, entspannt und respektvoll, es lädt nicht zum Schaukeln von Eiern ein, sondern zum Paartanz für reife Menschen jeglichen Alters.
Cosa Nuestra heißt das Album, und es stammt von Rauw Alejandro aus Puerto Rico, dem größten Latin-Star der jüngeren Generation. Im deutschsprachigen Raum verfügt Latin Pop bislang nur über eine überschaubare Anhängerschaft, im weltweiten Maßstab ist dies – neben dem südkoreanischen K-Pop – das erfolgreichste Genre. Für die hispanische Bevölkerung der USA sind Künstler wie Rauw Alejandro die größten Helden, ihre Musik verbindet alte karibische und afrikanische Stile mit dem US-amerikanischen Hip-Hop und dem einst aus Europa importierten elektronischen Pop, sie ist gewissermaßen von ebenso vielen Migrationsbewegungen durchzogen wie das Leben ihrer Hörerinnen und Hörer. In der jüngeren Vergangenheit handelte Latin Pop vor allem von Aufsteigerträumen – und verfiel dabei oft dem dazugehörigen Maskulinismus. In einer rassistischen Ellbogengesellschaft, so die Botschaft, kommen nur die Härtesten durch; und wer es geschafft hat, darf dafür reichlich mit den teuersten Autos, Häusern und Frauen prahlen. Fast alle großen Latin-Pop-Stars sprachen in diesem Jahr eine Wahlempfehlung für Donald Trump aus.
Keine Empfehlung kam hingegen von Rauw Alejandro, er präsentiert sich als Vertreter einer neuen, weniger sexistischen Männlichkeit. In Interviews ruft er auf zum Protest gegen die Unterdrückung der Frauen und gegen die vielen Femizide in den lateinamerikanischen Gesellschaften; die Lieder auf Cosa Nuestra singt er meist im Falsett. Aus der männlich-groben Pop-Gegenwart tastet er sich in eine freundlichere, auch musikalisch reichere Vergangenheit zurück, insbesondere in die Salsakultur der Sechzigerjahre, wie sie von puerto-ricanischen Einwanderern in New York geprägt wurde; dort entstand die „New York Style“ genannte Variante des Tanzes, bei der Frauen erstmals die Männer führen durften.
Dass Trump so viel Erfolg bei den Latinos hatte, das liege an ihrem Sexismus und Maskulinismus, war in den vergangenen Tagen häufig zu lesen. Zumindest Rauw Alejandro lässt sich da kein Vorwurf machen.