Corona-Impfschäden: Der Bundesgerichtshof macht dieser Klägerin Mut

Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat am Montag erstmals darüber verhandelt, unter welchen Voraussetzungen Hersteller von Corona-Impfstoffen für Impfschäden haften. In den unteren Instanzen waren bislang alle Kläger erfolglos geblieben, auch eine ehemalige Zahnärztin, die Auskunfts- und Schadenersatzansprüche gegen das britisch-schwedische Pharmaunternehmen Astra-Zeneca geltend macht. Nun setzt die Klägerin ihre Hoffnungen auf das höchste deutsche Zivilgericht. Das Urteil soll am 9. März verkündet werden.
Mut dürfte der Klägerin die vorläufige rechtliche Würdigung des Sechsten Senats machen, die der Vorsitzende Richter Stephan Seiters zu Beginn der Revisionsverhandlung am Montag skizzierte. Demnach hat das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz in der Vorinstanz die Hürden für die Ansprüche der Klägerin zu hoch gelegt beziehungsweise nicht ausreichend begründet, wieso die rechtlichen Voraussetzungen nicht vorliegen.
Die Klägerin hatte einen Hörsturz
Die damals 40 Jahre alte Klägerin war am 5. März 2021 mit dem Impfstoff Vaxzevria von Astra-Zeneca gegen das Coronavirus geimpft worden. Drei Tage später wurde bei ihr ein Hörsturz mit Ertaubung auf dem rechten Ohr diagnostiziert. Die Klägerin ist überzeugt, sie habe einen Impfschaden erlitten, und verklagte das Pharmaunternehmen auf Schadenersatz und Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 150.000 Euro. Von dem Impfstoff seien unverhältnismäßige Gefahren ausgegangen und die Informationen über das Vakzin hätten nicht dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprochen. Um ihre finanziellen Ansprüche durchzusetzen, begehrt die Klägerin von Astra-Zeneca Auskunft über alle Erkenntnisse des Unternehmens, die für die Frage schädlicher Wirkungen des Vakzins von Bedeutung sein könnten.
Zu dem Auskunftsanspruch sagte der Vorsitzende Richter, die Begründung, mit der die Vorinstanz den Anspruch abgelehnt habe, „dürfte nicht ausreichen“. Nach Ansicht des OLG fehlte es bereits an dem erforderlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Hörsturz der Klägerin und ihrer Impfung mit Vaxzevria. Der BGH neigt hingegen zu der Ansicht, die Vorinstanz habe zu strenge Maßstäbe an die erforderliche Plausibilitätsprüfung angelegt. Das OLG hatte angenommen, es müsse „überwiegend wahrscheinlich“ sein, dass die Impfung mit Vaxzevria geeignet sei, den Hörsturz herbeizuführen. Die Wahrscheinlichkeit habe jedoch bei 50 zu 50 gelegen. Der BGH hingegen neigt dazu, dass schon die „ernsthafte Möglichkeit“ ausreicht, dass der Impfstoff geeignet war, den Gesundheitsschaden herbeizuführen. Diese Annahme wäre nach den Darlegungen des Senatsvorsitzenden auch bei einer Wahrscheinlichkeit von weniger als 50 Prozent plausibel.
Hat das OLG aber zu Unrecht einen Auskunftsanspruch der Klägerin verneint, dann dürfte diese rechtsfehlerhafte Bewertung auch Folgen für den Schadenersatzanspruch haben. Denn der Auskunftsanspruch sei ein Hilfsmittel für die Durchsetzung des Schadenersatzanspruchs, erläuterte der Vorsitzende Seiters am Montag.
„Sehr kluge und weise Ausführungen“
Der Anwalt der Klägerin lobte die „sehr klugen und weisen Ausführungen“ zur vorläufigen Bewertung des BGH. Der Anwalt von Astra-Zeneca hingegen argumentierte, es sei ausgeschlossen, dass der Klägerin Ansprüche zustünden. Haftung ziele stets auch auf Verhaltenssteuerung. Aber es könne „nicht das Ergebnis sein“, dass man im Frühjahr 2021 nicht mit Vaxzevria hätte impfen dürfen: Weltweit seien 2,3 Milliarden Dosen des Impfstoffs verabreicht worden. Es gebe aber weniger als 2000 bestätigte oder mutmaßliche Fälle von Gehörverlust im Zusammenhang mit der Verabreichung von Vaxzevria, hob der Anwalt hervor. „Wir haben eine Empirie, die glasklar belegt, dass es keine überbordenden Risiken gab“, lautete seine Schlussfolgerung.
Auch wenn der BGH dabei bliebe, dass das OLG den Fall rechtsfehlerhaft entschieden hat, bedeutet das nicht automatisch, dass Astra-Zeneca der Klägerin Schadenersatz und Schmerzensgeld zahlen müsste. Denn auch nach der vorläufigen Einschätzung des BGH käme es unter anderem darauf an, welche Ergebnisse ein Auskunftsanspruch gegen das Pharmaunternehmen zutage fördern würde.
Zudem überlegt der Senat nach den Ausführungen des Vorsitzenden nun, ob womöglich der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) eingeschaltet werden müsste. Denn eine Schlüsselrolle für die Bewertung des Falls könnte die Zulassung spielen, welche die EU-Kommission Astra-Zeneca für den Corona-Impfstoff im Januar 2021 zunächst vorläufig und dann im Oktober 2022 unbedingt erteilte.
Umstritten ist, ob mit dieser Zulassung für die Gerichte verbindlich feststeht, dass der therapeutische Nutzen eines Impfstoffs die Risiken überwiegt. Diese Ansicht hatte das OLG Koblenz vertreten. Die Klägerseite hingegen rügt, das OLG habe mit Hilfe eines Sachverständigengutachtens eine umfassende eigenständige Bewertung vornehmen müssen. Weil das nicht geschehen sei, habe das Gericht das Grundrecht der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt.
Der Anwalt von Astra-Zeneca hingegen erinnerte daran, dass sämtliche Fachgremien zu dem Ergebnis gekommen seien, dass der medizinische Nutzen des Impfstoffs die Risiken überwiege, und zwar auch, nachdem vereinzelte Fälle von ungewöhnlichen Blutgerinnseln gemeldet worden seien. Es sei nicht anzunehmen, dass ein einzelner Sachverständiger es besser wisse. Die Fachgremien hätten sich allerdings auf Erkenntnisse im Jahr 2021 gestützt, gab der Senatsvorsitzende Seiters zu bedenken.
Source: faz.net