Climeworks: Der größte CO₂-Staubsauger welcher Welt

Wenn Jan Wurzbacher den Kern seiner Arbeit leicht verständlich beschreiben soll, zieht er einen Vergleich: Einst haben die Menschen ihren Abfall einfach auf die Straße geworfen. Doch irgendwann erkannten sie, dass das keine gute Idee ist. Also schufen sie Entsorgungssysteme, aus denen sich eine Abfallwirtschaft und teilweise auch eine Kreislaufwirtschaft entwickelte. Dies geschieht jetzt auch im Umgang mit Kohlendioxid (CO₂).

Die Emission des Treibhausgases erwärmt die Erdatmosphäre, was den Meeresspiegel steigen lässt und extreme Wetterereignisse provoziert. Daher gilt es, den Ausstoß von CO2 zu mindern. Doch das reicht nicht. Man muss es ganz aus der Luft holen. Darum kümmert sich Wurzbacher mit seinem Unternehmen Climeworks, das er 2009 gemeinsam mit Christoph Gebald gegründet hat.

Die beiden Deutschen, die Climeworks gemeinsam führen, hatten sich während des Maschinenbaustudiums an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) zusammengetan. Aus ihrem ETH-Spinoff ist inzwischen der größte CO2-Staubsauger der Welt geworden:

Jährlich 36.000 Tonnen CO₂

Im Mai hat Climeworks in Island eine Anlage in Betrieb genommen, die jährlich bis zu 36.000 Tonnen Kohlendioxid aus der Luft holen soll. „Direct Air Capture“ (DAC) nennt sich dieses Verfahren. Anschließend wird das Klimagift tief im isländischen Basaltgestein verpresst, wo es mineralisiert und damit dauerhaft gebunden bleibt.

Luftreiniger: Christoph Gebald (links) und Jan Wurzbacher haben Climeworks 2009 gegründet.
Luftreiniger: Christoph Gebald (links) und Jan Wurzbacher haben Climeworks 2009 gegründet.Climeworks

Die „Mammoth“ getaufte Anlage ist die größte der Welt – und doch leistet sie nur einen kleinen Bruchteil dessen, was getan werden müsste. Ein Team um den Wissenschaftler Steve Smith von der Universität Oxford hat jüngst vorgerechnet, dass zusätzlich zur Emissionsminderung bis zum Jahr 2050 jährlich sieben bis neun Milliarden schon ausgestoßene Tonnen CO2 der Atmosphäre wieder entzogen werden müssten, um den Temperaturanstieg auf 1,5 bis zwei Grad zu begrenzen und damit das im Pariser Klimaschutzabkommen vereinbarte Ziel zu erreichen.

In dem Anfang Juni veröffentlichten Bericht „State of Carbon Dioxide Removal 2024“ steht, dass aktuell rund 2,2 Milliarden Tonnen CO2 aus der Luft geholt werden. Dies gilt es zu den 37 Milliarden Tonnen Kohlendioxid ins Verhältnis zu setzen, die jährlich ausgestoßen werden.

Aufforstung von Wäldern entscheidend

Oliver Geden, Leiter des Forschungsclusters Klimapolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und einer der Leitautoren der Studie, wies in einer Pressekonferenz darauf hin, dass die Aufforstung von Wäldern derzeit die mit Abstand wichtigste Rolle bei der Entfernung der Treibhausgase spiele. Die Wiederaufforstung werde in Zukunft aber immer schwieriger, weil Erscheinungen wie Ex­tremwetter, Waldbrände und Borkenkäfer den Wäldern zusetzten und weil der Landbedarf steige.

Daher müsse der Klimaschutz – neben der aus Gedens Sicht sowieso dringend erforderlichen Reduktion der CO₂-Emissionen – künftig mehr aus neuartigen Methoden wie DAC bestehen, die bisher aber nur 0,1 Prozent zum gesamten „Carbon Dioxide Removal“ (CDR) beitrügen. Die CO₂-Entnahmen müssten zügig hochgefahren werden. „Dafür brauchen wir eine Innovationsdynamik, die wir zum Teil auch schon sehen“, sagte Geden.

Nach Einschätzung der Boston Consulting Group (BCG) steckt in der Kohlendioxidentnahme ein gewaltiges wirtschaftliches Potential. Bis zur Mitte des Jahrhunderts könnten sich Einnahmen von 470 bis 940 Milliarden Euro erreichen lassen, schreibt die Beratungsgesellschaft in einer aktuellen Studie. Die EU und Deutschland seien aufgrund ihrer technologischen Fähigkeiten, ihrer robusten Industriebasis und ihrer fortschrittlichen Klimapolitik sehr gut aufgestellt, um den globalen CDR-Markt anzuführen.

Einnahmen von bis zu 70 Milliarden Euro in Deutschland

BCG traut der europäischen CDR-Industrie zu, bis 2050 Einnahmen von bis zu 220 Milliarden Euro zu erzielen und bis zu 670.000 Arbeitsplätze zu schaffen. Deutschland habe das Potential, eine CDR-Branche mit Einnahmen von 70 Milliarden Euro zu entwickeln und bis zu 190.000 Arbeitsplätze zu schaffen.

Die Analysten sehen die CO₂-Entnahme als Beispiel dafür, dass Klimaschutz und wirtschaftliches Wachstum nicht im Widerspruch stehen, sondern Hand in Hand gehen. Allerdings fehle noch ein politischer und regulatorischer Rahmen für die Nutzung von CDR im industriellen Maßstab. Die Technologie sollte als wichtiger Bestandteil der Klimapolitik anerkannt werden, schreiben die Autoren, die damit auf einer Linie mit Oliver Geden liegen. Der Forscher plädiert dafür, CDR mit dem Europäischen Emissionshandelssystem zu verknüpfen.

Die Anlage von Climeworks zur CO2-Entnahme in Island ist die größte ihrer Art.
Die Anlage von Climeworks zur CO2-Entnahme in Island ist die größte ihrer Art.Climeworks

Auch Jan Wurzbacher sieht die Politik in der Pflicht. „Es braucht Regularien und Mechanismen, die in großem Maßstab dazu verpflichten, Emissionen wieder aus der Luft zu entfernen“, sagt der Ko-Vorstandsvorsitzende von Climeworks im Gespräch in Zürich. Er verweist auf die Industriepolitik in den Vereinigten Staaten. Dort habe man erkannt, dass neue Technologien, die noch nicht kostendeckend arbeiteten, einen gewissen Anschub bräuchten. „In den USA sind jetzt große Programme entwickelt worden, die direkt auf Direct Air Capture zugeschnitten sind.“

Riesenanlage in Louisiana

Wurzbacher fände es gut, wenn sich die EU in eine ähnliche Richtung bewegte. Climeworks sei der größte Akteur auf dem Feld der CO₂-Entnahme in Europa. „Es wäre schön, wenn wir hier auch weiter aktiv sein könnten.“

Tatsächlich sind die neuen Projekte, die Climeworks aktuell verfolgt, allesamt außerhalb der EU verortet. Die Firma ist an einem Großprojekt in Amerika beteiligt: Die geplante Riesenanlage in Louisiana soll 2030 in Betrieb gehen und dann jährlich 1 Million Tonnen CO₂ aus der Luft filtern. Wurzbacher sagt, dass die große staatliche Förderung von bis zu 50 Prozent der Investitionen entscheidend sei für das Engagement von Climeworks.

Hinzu kämen Steuergutschriften von 180 Dollar je Tonne CO₂. Idealerweise könne dieses Projekt so vom ersten Tag an profitabel sein – sicher sei das angesichts der breitgefächerten Kostensteigerungen in Amerika aber nicht. Climeworks ist noch an zwei weiteren geplanten Großanlagen in den USA beteiligt und entwickelt Projekte in Kanada, Norwegen und Kenia.

Der Energieverbrauch könnte sich halbieren

In Louisiana soll die dritte und damit neueste Generation der Filtertechnik zum Einsatz kommen, die Climeworks in den vergangenen fünf Jahren entwickelt hat und seit Kurzem in einer Versuchsanlage in Basel in größerem Maßstab testet. Die Ergebnisse bringen Wurzbacher ins Schwärmen: Dank neuartiger Filtermaterialien und optimierter Filterstrukturen könne pro Modul mehr als doppelt so viel CO₂ aufgefangen werden wie in der Anlage in Island.

Zugleich halbiere sich der Energieverbrauch. Für Wurzbacher ist die neue Technologie ein wichtiger Meilenstein in der Kostensenkungsstrategie. Diese sieht vor, die Gesamtkosten pro entnommener Tonne CO₂ bis zum Jahr 2030 auf 400 bis 600 Dollar zu reduzieren. Verglichen mit heute entspräche dies einer Reduktion von bis zu 50 Prozent. Bis zur Mitte dieses Jahrhunderts peilt Climeworks Kosten von 150 bis 250 Dollar je Tonne an.

Die aktuell noch sehr hohen Kosten hemmen den Geschäftserfolg von Climeworks. Das Unternehmen mit seinen 450 Mitarbeitern hat zwar inzwischen mit mehr als 170 Kunden langfristige Verträge abgeschlossen, darunter UBS, Microsoft, Swiss Re, JP Morgan, BCG und die Lufthansa-Tochtergesellschaft Swiss. Die Partner bezahlen dafür, dass Climeworks Kohlendioxid eliminiert, und verbessern damit ihre eigene CO₂-Bilanz. Aber die Einnahmen daraus reichen noch bei weitem nicht aus, um die eigenen Aufwendungen zu decken.

Langer Weg zur Profitabilität

Zur Höhe der aufgelaufenen Verluste äußert sich Wurzbacher nicht. Aber über seine Ziele spricht er schon: „Bis zum Ende dieses Jahrzehnts wollen wir auf Projektbasis profitabel werden. Das heißt aber nicht unbedingt, dass wir dann auch auf Unternehmensebene profitabel sind, weil wir weiterhin sehr viel in die Entwicklung und den Ausbau investieren werden.“

Die Technologie lasse sich nur skalieren, also in deutlich größerem Maßstab zum Einsatz bringen, wenn man damit auch Geld verdienen könne. „Wir sind keine Nichtregierungsorganisation. Mit einem unprofitablen Geschäftsmodell werden wir es nicht schaffen, Milliarden Tonnen CO₂ aus der Luft zu filtern.“

Was die Finanzierung betrifft, hat Climeworks den Markttest bisher bestanden. Investoren hätten Climeworks bis heute 800 bis 900 Millionen Dollar zur Verfügung gestellt, berichtet Wurzbacher. Vor zwei Jahren sammelten die beiden Gründer auf einen Schlag 650 Millionen Dollar Eigenkapital ein.

Angeführt wurde diese Finanzierungsrunde von der Schweizer Beteiligungsgesellschaft Partners Group und der Government of Singapore Investment Corporation (GIC), die mehrere Singapurer Staatsfonds verwaltet. Zu den weiteren Geldgebern zählten unter anderem Carbon Removal Partners, Global Founders Capital und Swiss Re sowie der Ankeraktionär Big Point Holding, der von dem Schweizer Unternehmer und Milliardär Martin Haefner kontrolliert wird.

Im Vergleich zu den Summen, die in Unternehmen im Silicon Valley flössen, seien die Kapitalspritzen für Climeworks immer noch ziemlich klein, sagt Wurzbacher, insbesondere wenn man die Größe des zu lösenden Klimaproblems dagegenhalte. Außerdem denkt der Unternehmer schon zwei Schritte weiter in Richtung Kreislaufwirtschaft: „Irgendwann kann man aus dem entnommenen CO₂ wieder neue Produkte herstellen wie Treibstoffe und Plastik.“