Claudia Sheinbaum: Sie wird ab 1. Oktober die erste Präsidentin Mexikos sein

Ihr erster öffentlicher Auftritt als designierte Präsidentin war das: Auf dem Zócalo, dem zentralen Platz von Mexiko-Stadt, rief Claudia Sheinbaum Anfang Juni der Menge zu, dass nun „die Zeit der Frauen“ in Mexiko anbrechen werde. Die 61-Jährige ließ ihrer Ankündigung drei Wochen später bereits Taten folgen. Am 23. Juni stellte sie erste Milliardeninvestitionen vor, um damit Schülerinnen und Schüler sowie Frauen im Alter von 60 bis 64 Jahren zu fördern. Mit dem staatlichen Stipendienprogramm, das binnen drei Jahren alle 21 Millionen Schüler in Mexiko erreichen soll, greift Sheinbaum auf eigene positive Erfahrungen als Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt zurück. Dort konnte sie zwischen 2018 und 2023 mit einer identischen Agenda durchaus Erfolge verzeichnen. Bildung steht auf dem Tableau der promovierten Physikerin ganz oben, zumal sie sich mit diesem Politikansatz auf ihren Mentor Andrés Manuel López Obrador stützt, der noch bis zum 30. September als Staatschef die Amtsgeschäfte führen wird.

Sheinbaum, Tochter jüdischer Einwanderer aus Litauen und Bulgarien, setzt nach eigener Aussage auf „eine Kontinuität mit eigener Handschrift“. Das heißt, sie will an der sozialen Verantwortung ihres charismatischen Vorgängers festhalten. López Obrador hat den Mindestlohn verdoppelt, der derzeit pro Tag bei 248,93 Pesos (13,30 Euro) liegt. Er ist für den Erhalt der Gewerkschaftsrechte eingetreten und hat für spürbare Reformen zugunsten der Armen gesorgt. Ein entscheidender Grund dafür, dass der scheidende Präsident nach wie vor überaus populär ist. Das Engagement für die bedürftigsten Bevölkerungsschichten hat seiner und Sheinbaums Partei, der Nationalen Erneuerungsbewegung (Movimiento de Renovación Nacional), viel Prestige und Rückhalt verschafft.

Daran will die künftige Staatschefin, die oft distanziert und unterkühlt wie eine Eiskönigin wirkt, festhalten. Sie wird davon zehren, ihre politische Präsenz und eine wissenschaftliche Karriere immer wieder erfolgreich verschränkt zu haben. An der Autonomen Mexikanischen Nationaluniversität UNAM gehörte sie 1986 dem legendären Universitären Studentenrat (CEU) an, der einer neoliberalen Ausrichtung der berühmten Hochschule Grenzen setzte. Dabei erwarb sich Sheinbaum den Ruf einer beinharten und selbstsicheren Verhandlerin gegenüber den UNAM-Autoritäten. Mit viel Umsicht koordinierte sie damals die Protestaktionen. Ein paar Jahre später sollte sie zu den ersten mexikanischen Wissenschaftlern zählen, die sich intensiv mit den Konsequenzen des Klimawandels befassten.

Sie vereinte ein fundiertes Fachwissen mit politischen Ambitionen und einem Gespür für gesellschaftliche Realitäten. Dieses Vermögen sorgte mit dafür, dass die Mutter zweier erwachsener Kinder im Jahr 2000 zur Umweltministerin der mexikanischen Hauptstadt wurde – berufen vom damaligen Bürgermeister López Obrador. Dies war der Auftakt für das nunmehr seit 25 Jahren währende Zusammenspiel der beiden recht ungleichen Charaktere. Auf der einen Seite der charismatische, auf Kritik oft empfindlich reagierende López Obrador, auf der anderen die umsichtige, auf Dialog vertrauende und zielstrebig agierende Sheinbaum.

Als Bürgermeisterin der Hauptstadt, aber auch auf parteipolitischer Ebene hat sie bewiesen, in der Lage zu sein, auf die Zivilgesellschaft einzugehen und mit ihr Kompromisse auszuhandeln. Auffallend souverän lenkte sie Mexiko-Stadt durch die Corona-Pandemie und stellte sich einer ausufernden Kriminalität, was gewiss einen Anteil daran hatte, dass sich die Mordrate dieser Metropole halbierte. Sheinbaum sei das gelungen – so der Politikwissenschaftler Carlos Pérez Ricart –, ohne den Sicherheitsapparat weiter zu militarisieren. Sie habe die investigative Arbeit der Polizei gefördert und deren Zusammenwirken mit der Staatsanwaltschaft begünstigt.

Und auch das ist eine beruhigende Botschaft für das Land: Unter ihrem Förderer López Obrador wurde so mancher Kritiker stigmatisiert und ins Exil gedrängt, unter Sheinbaum wird das kaum passieren, sie scheut keine Debatte. Beleg dafür ist, dass sie Anfang August die Familien der in der Nacht zum 27. September 2014 verschollenen, mutmaßlich umgebrachten 43 Studenten von Ayotzinapa getroffen hat. Ein Signal, dass sie sich mit den laut Amnesty International etwa 114.000 Verschwundenen und Zehntausenden durch die Drogen-Kartelle Ermordeten nicht abzufinden gedenkt. Genau das, die fatale Straflosigkeit, die es den Syndikaten de facto erlaubt, ganze Bundesstaaten zu kontrollieren, dürfte die größte und komplexeste Herausforderung sein, der sich Sheinbaum gegenübersieht. Sie hat bereits angekündigt, die Justiz stärken zu wollen und Journalisten mehr Schutz zu garantieren. Die zentrale Frage ist, ob sie dabei, wie ihr Vorgänger, auf die Armee setzt.

Sie muss sich bei der Antwort darauf einstellen, als erstes weibliches Staatsoberhaupt einem patriarchalen Apparat ausgesetzt zu sein. Auch das eine Herausforderung für die Klimaexpertin, die dafür eintritt, dass Mexikos Energiebilanz künftig klimafreundlicher ausfällt.