Cissy Houston: Die majestätische Stimme im Hintergrund

Die längste Zeit ihres Lebens war die Sängerin Cissy Houston eine der meistbeschäftigten Stimmen im Hintergrund, sie sang mit Elvis Presley und Aretha Franklin, mit Jimi Hendrix und David Bowie. Ihre beiden Grammys gewann Houston erst spät in ihrem Leben. Sie hat sich darüber nie öffentlich beschwert, vielleicht weil sie aus nächster Nähe erfahren musste, was Ruhm im Leben von Menschen anrichten kann.

Cissy Houston wurde 1933 in Newark geboren, sie besuchte als Kind mit ihrer Familie an jedem Wochenende den Gottesdienst, und dort lernte sie zu singen. Gemeinsam mit einigen ihrer Geschwister wurde sie im Alter von fünf Jahren bereits Teil der Gospel-Gruppe Drinkard Singers, die knapp zwei Jahrzehnte lang bestand. Aus dem Stamm der Drinkard Singers wurde Ende der 1950er-Jahre die R&B-Gesangsgruppe Sweet Inspirations, die nach vielen Umbesetzungen bis heute besteht und deren prägende Stimme Cissy Houston in den 1960er-Jahren war. Die Sweet Inspirations, wiewohl eigentlich eine Gruppe eigenen Rechts, blieb letztlich immer vor allem eine Background-Sängerinnentruppe. Auf Hunderten Songs sind die Sweet Inspirations im Hintergrund zu hören, von Wilson Pickett bis Neil Diamond. Alleine all diese Aufnahmen hätten ein eigenes Best-of-Album verdient. Cissy Houston sang als Background-Sängerin auf dem Album Young Americans von David Bowie, ist im Hintergrund zu hören bei Chaka Khans Song I’m Every Woman, bei Bette Midlers From a Distance, sang auf Platten von Jimi Hendrix, Van Morrison, Burt Bacharach, Paul Simon, Linda Ronstadt, Carly Simon, Aretha Franklin. Was für eine musikalische Hall of Fame.

Cissy Houston, den Nachnamen hatte sie von ihrem zweiten Ehemann übernommen, nahm auch als Solokünstlerin auf, die New York Times schwärmte im Jahr 1977 von ihr als „singer’s singer“ und von ihrer „majestätischen Stimme“, die auch aus einem Telefonbuch hätte vorsingen können, Houston trat im Fernsehen auf, es lief gut, auch für ihre Cousinen Dionne und Dee Dee Warwick, deren Karrieren sie begleitete und förderte.

Natürlich erkannte Cissy Houston auch früh das Talent ihrer Tochter Whitney, die 1963 geboren wurde, wie sie 30 Jahre zuvor in Newark. „Sie ging in mein Probenstudio, zog sich meine Stöckelschuhe an und das ganze Zeug. Dann nahm sie einen Besen als Mikrofon und legte los“, hat Cissy Houston viele Jahre später der Deutschen Presseagentur erzählt. Die Mutter nahm die Tochter mit in den Gospelchor. „Sie war ja noch ein Kind, aber sie sang großartig.“

Sie habe in ihrer Whitney immer ein Mädchen gesehen, so hat sie das einmal formuliert, „das einfach nur singen wollte, um andere glücklich zu machen – und nicht, um Millionen von Alben zu verkaufen und das Leben eines Superstars zu führen.“ Es sollte anders kommen.

Im Alter von 19 Jahren unterschrieb Whitney Houston ihren ersten Plattenvertrag, ihre beiden ersten Alben, 1985 und 1987 erschienen, erreichten die Spitze der US-amerikanischen Billboard Charts. Whitney Houston wurde neben Michael Jackson, Prince, Madonna und George Michael einer der größten Popstars ihrer Zeit. Heute wissen wir, dass nur Madonna das Ausmaß an Ruhm verkraftet, letztlich überlebt hat, das über diese Künstlerinnen und Künstler ausgeschüttet wurde.

Cissy Houston sang auch auf einigen Songs ihrer Tochter im Hintergrund mit, bei How Will I Know etwa, später musste die Mutter sich vor allem um die Schwierigkeiten der Tochter kümmern. Alkohol, Drogen, ihre Ehe mit dem gewalttätigen Musiker Bobby Brown: Wieder und wieder habe sie versucht, ihre Tochter von ihren Süchten zu befreien, berichtete Cissy Houston, sie tat es auch mit rechtlichen Mitteln, als offenbar das gute Zureden alleine nichts mehr half. Whitney Houston starb 2012, sie wurde leblos in einer Hotelsuite in Los Angeles gefunden. Cissy Houston hat später ein Buch über ihre Tochter geschrieben, ihre Whitney sei immer ein unsicheres Mädchen geblieben, „das von allen geliebt werden wollte“. Und sie erzählte auch, dass ihre Tochter in der Familie früh einen Spitznamen bekam: „Nippy hieß sie bei uns – nach einer Comicfigur, die immer in irgendetwas verstrickt war.“

In einem Hotelzimmer in New York haben sich Mutter und Tochter zum letzten Mal gesehen. „Ich komme dich bald besuchen, Mommy“, habe Whitney ihr gesagt, berichtete Cissy Houston. Dazu sollte es nicht mehr kommen. Stattdessen rief ihr Bruder Cissy Houston einige Wochen nach dem Treffen an: „Sie haben Nippy gefunden.“ Was das Familiendrama noch steigern sollte: Drei Jahre nach Whitney Houston starb auch deren Tochter Bobbi Kristina Houston Brown, an einer schweren Lungenkrankheit. Cissy Houstons Enkelin wurde nur 22 Jahre alt.

„Ich warte darauf, dass sie endlich zu mir spricht“

Vielleicht hat auch der Gospel Cissy Houston geholfen, über all das irgendwie hinwegzukommen. Ihre beiden Grammys hat sie in 1990er-Jahren für zwei Gospelalben gewonnen, gesungen mit ihrer majestätischen Stimme, die sich ganz langsam, im Laufe der Jahrzehnte, in den Vordergrund gesungen hatte.

Vor fünf Jahren hat Cissy Houston in einem Interview ihren größten Wunsch geäußert. Er hatte mit ihrer Tochter zu tun. „Ich warte darauf, dass sie endlich zu mir spricht“, hat sie gesagt. Jetzt ist Cissy Houston in ihrem Haus in Newark im Alter von 91 Jahren gestorben. Vielleicht, falls es einen Himmel gibt, how will I know, können Mutter und Tochter sich jetzt endlich wiedersehen. Und vielleicht ja auch wieder miteinander singen.