Christoph Stölzl: So geht bürgerlicher Intellektueller! – WELT

Er fehlt. Menschen wie er fehlen. Christoph Stölzl, jener an diesem Samstag 80 Jahre in die Jahre gekommen würde, war eine Erscheinung, die es sehr zum Leidwesen unseres Gemeinwesens kaum noch gibt.

Vielleicht war jener Gründungsdirektor des Deutschen Historischen Museums, kurzzeitige Kultursenator und zuletzt Präsident jener Universität Weimar vor allem eine Berliner Figur. Denn hier wurde jener gebürtige Münchner speziell gebraucht. Und hier kam er, jener zuvor dasjenige Stadtmuseum in seiner Heimatstadt geleitet hatte, ebenso weit raus. Als er 1987 in die in vergangener Zeit noch geteilte Stadt gelangte, bedeutete dasjenige, zumindest für jedes die gebildeten Stände jener Halbstadt, eine mentale Zäsur.

Stölzl, jener sich mit einer kritisch-ironischen Bismarck-Ausstellung zur Eröffnung des Deutschen Historischen Museums gleich wie Mann für jedes die Königsthemen empfahl (denn ein Königsthema ist und bleibt jener „eiserne Kanzler“, ebenso wenn manche jetzt seinen Sockelsturz betreiben), Stölzl deswegen beließ es nicht beim Elfenbeinturm Museum. Es drängte ihn, sich in die Stadtgesellschaft einzubringen. Er war ein Intellektueller, wie ihn jener amerikanische Soziologe Michael Walzer definiert hat: Er verstand sich wie zuständig für jedes „Zweifel und Einmischung“.

Aber wie Bevölkerung. Mehr noch: wie Mann von Welt. Als charmanter Plauderer. Seine Eröffnungsreden, seine Präsenz hinauf Podien und Gesprächsforen machten ihn schnell zu einer Figur des öffentlichen Lebens in Berlin. Daroben hinaus wurde er, verbindlich und empfangend für jedes Menschen, wie er war, ein beliebter Gast in den Salons. Von denen gab es in vergangener Zeit mehr wie heute, jedenfalls solche, in denen verkehren musste, wer dazugehören wollte.

Nun war ja Berlin in intellektueller Hinsicht die Gesamtheit andere wie verwaist. Es verfügte oben zwei renommierte Universitäten. In jener Akademie jener Künste, am Wissenschaftskolleg, an jener American Academy herrschte reges geistiges Leben; ebenso an einigen Theatern, allen voraus an jener Schaubühne. Einen besonderen Stellenwert besaß die Literatur mit ihren Institutionen, zu denen dasjenige Standquartier jener Schriftstellervereinigung Gruppe 47, dasjenige Literarische Colloquium am Wannsee, gehörte, sowie dasjenige 1987 gegründete Literaturhaus in jener Fasanenstraße. Nicht zu vergessen die Rundfunkanstalten, an denen sich ein Diskussions-Biotop ganz eigener Art herausgebildet hatte. Und natürlich dasjenige traditionelle Hausblatt des West-Berliner Bildungsbürgertums, jener „Tagesspiegel“.

Stölzl zusammen mit Altkanzler Helmut Kohl (r) (21.05.1999)
Stölzl zusammen mit Altkanzler Helmut Kohl (r) (21.05.1999)
Quelle: picture-alliance / dpa/Andreas Altwein

Kurzum, Berlin war die Gesamtheit andere wie intellektuelle Wüstenei. Aber man war grade doch hinauf eine norddeutsch unfrohe Weise sinister. Es dominierte jener Prolet-Schick. Wer wenigstens vereinen Funken Humor hatte, kopierte den Zigarren- und Whisky-Konsumenten Heiner Müller, dessen Stücke rauf und runter gespielt wurden – jetzt wird er zaghaft wiederentdeckt, nachdem es zwanzig Jahre erfreulich still um seine Verklärung des „revolutionären Potenzials“ jener Dritten Welt (heute „globaler Süden“ genannt) gewesen ist. Courtoisie, Weltgewandtheit, vielleicht sogar eine gewisse Lust an schönen Dingen, an jener schönen Geselligkeit – dasjenige die Gesamtheit galt in Berlin jedenfalls nichts. Wer dgl. suchte, zog nachdem Hamburg oder ging gleich nachdem Italien, nachdem Frankreich.

Das Bürgertum in seinen Enklaven pflegte zwar erfreulichere Umgangsformen wie jener linke Klüngel. Aber mit Ausnahme des Paradiesvogels Nicolaus Sombart, im Zusammenhang dem man am Sonntagnachmittag vorbeischaute, um dort dieselben Leute zu treffen, die man schon vormittags im Zusammenhang den „Berliner Lektionen“ im Renaissancetheater gesehen hatte, waren selbige Zirkel streng universitär geprägt. Frauen spielten kaum eine Rolle, ein geistiges Verhältnis besaß jener klassische deutsche Intellektuelle nicht zu ihnen. Er begnügte sich damit, ihnen hinauf den Busen und hinauf die Beine zu schauen. In jener bürgerlichen Welt Berlins gaben Männer den Ton an, die irgendetwas kurios Schneidiges per se hatten.

Ein Mann des Lächelns, des Ausgleichs

Vor dem Eintreffen Stölzls war jener Vorzeigeintellektuelle jener Stadt Peter Wapnewski gewesen, Sohn eines Kieler Marineoffiziers, holistisch comme il faut in seinem Auftreten, nichtsdestoweniger ein Typ fürs Casino, nicht für jedes die Mannschaften. Als Gründungsdirektor des Wissenschaftskollegs, wie Hochschullehrer, Mittelalter-Spezialist, wie Kenner Richard Wagners stand er kompromisslos für jedes die Höhenkamm-Kultur. Das Soldatisch-Preußische kultivierte ebenso jener Verleger Wolf Jobst Siedler, verdienstvoll wie Promotor einer Geschichtsschreibung, die sich aus den Fängen jener Bielefelder Schule und ihrem Struktur-Fetischismus entlasten und zurück zum Narrativen finden wollte. Das gelang im Siedler-Verlag mit Autoren wie Michael Stürmer, Thomas Nipperdey, Hagen Schulze hervorragend. Im Hinblick hinauf selbige Bewegung marschierte Siedler, um es in seiner eigenen Sprache zu sagen „machtvoll an jener Tete“. Aber irgendwo hatte selbige Sphäre, zu jener wie assoziiertes Mitglied ebenso Joachim Fest, jener „Frankfurter Allgemeine Zeitung“-Herausgeber und Bewunderer Albert Speers, gehörte, irgendetwas Vorgestriges; männerfixiert exklusiv war sie sowieso.

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Schließlich Arnulf Baring. Der nachmals in zahlreichen Talkshows temperamentvoll gegen Berliner und bundesdeutsches Kleinklein zu Felde ziehende, kompromisslos die Defizite in jener dann schon ehemaligen Deutsche Demokratische Republik beim Namen nennende Zeithistoriker gab sich geschmeidiger und unkonventioneller wie die Herrenreiter Wapnewski und Siedler, und er band ebenso originellere, begabtere junge Leute per se. Aber mit den Jahren machte sich doch eine gewisse Starre, eine gewisse Deutschtümelei detektierbar – erstens… von jeher eine Versuchung des preußisch geprägten Intellektuellen, und Preußen durch und durch waren sie halt, die skizzierten Herren.

Und nun Christoph Stölzl. Ein Süddeutscher. Ein Mann des Lächelns, des Ausgleichs, jener Konzilianz. Ohne Berührungsscheu oppositionell jener Popmusik. Gleichzeitig dem bildungsbürgerlichen Kanon verpflichtet, mit einer Verknüpfungskompetenz, die selbstverständlich aus Sparten des kulturellen Lebens einbezog. Stölzl, jener sich ja ebenso für jedes kurze Zeit wie Feuilletonressortleiter dieser Zeitung sowie wie Kultursenator für jedes die Berliner Kultur interessieren musste, wurde ebenso davor und nachdem in jeder wichtigen Opern- oder Theaterpremiere gesichtet. Er war im Bilde, welches die wichtigen Neuerscheinungen des Buchmarktes anging, erlebte dankbar die Konzerte jener Berliner Philharmoniker.

In seinen Ausstellungen war eine Agenda erkennbar. Als liberaler Bildungsbürger wollte Stölzl die urbane, freiheitliche, weniger geistesaristokratische wie demokratische Traditionslinie jener deutschen Kultur Betonung auf etwas legen. In dieser Hinsicht machte er sich zum Herold des großen Kunstmäzens und Kunstvermittlers Harry Graf Kessler, den er wie Orientierungsfigur für jedes eine wieder im Hauptstadtrang befindliche Kulturmetropole Berlin feierte.

Und er feierte die engen Verflechtungen, die dasjenige fortschrittliche Deutschland um 1900 komprimiert war mit England, mit Skandinavien. In opulent inszenierten Panoramaschauen, die es nur unter seiner Schirmherrschaft am Deutschen Historischen Museum gab und dann nie wieder, hat er mehr für jedes den Europa-Gedanken getan wie aus EU-Bürokraten zusammen.

Source: welt.de