Chinesische Elektroautos: Ausgerechnet Europa wird protektionistisch

Der Ökonom Rolf J. Langhammer ist Experte für internationale Handelspolitik und arbeitet am Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. Bis 2012 war er dessen Vizepräsident. 

Die EU-Kommission geht im Subventionsstreit gegen Elektroautos aus China sehr gezielt nach den Vorgaben der Welthandelsorganisation (WTO) vor. Sie will keine pauschalen Einfuhrzölle, wie die USA sie chinesischen Waren verhängen, sondern unterscheidet sehr präzise: zwischen
kooperierenden und nicht kooperierenden Herstellern sowie zwischen weniger und
hoch subventionierten Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. 

Sie
bietet Gespräche an und hat den richtigen Zeitpunkt für eine gute
Verhandlungsposition gewählt, denn in China beginnt eine Deflation: Die Verbraucher setzen auf sinkende Preise und
warten ab, wenn es um den Kauf eines neuen Elektroautos geht. Angesichts der schwachen
heimischen Nachfrage, können die Hersteller ihr überschüssiges Angebot nur noch auf
dem einzigen noch offenen und nachfragestarken Auslandsmarkt absetzen,
dem EU-Markt.

Dieses Vorgehen der EU-Kommission, so legal es auch ist, muss sich jedoch gleich vier Kritikpunkten stellen.

1. Die Begründung, die europäische Autoindustrie befinde sich in einem schwierigen
Übergangsprozess, der Investitionen benötige, die durch die chinesischen Subventionen
entmutigt würden, überzeugt nicht und ist in einer Marktwirtschaft sogar bevormundend. Die Wettbewerber innerhalb einer Industrie befinden sich immer in einem Übergangsprozess: Sie (und nicht „die Industrie“) müssen über
Strategien entscheiden und nicht die EU-Kommission. Die europäischen Autokonzerne haben
um die Hilfen jedenfalls nicht gebeten. Sie lehnen sie mehrheitlich sogar ab.
Deshalb wird die Kommission auch „ex officio“ tätig, weil sie unterstellt, die Industrie könne es wegen der Abhängigkeit vom chinesischen Markt und möglichen
Vergeltungsmaßnahmen nicht riskieren, zu klagen. Das sehen gerade Unternehmen wie Mercedes, BMW und Volkswagen tatsächlich anders, ebenso Stellantis.

2. Die EU-Kommission definiert als zu schützende „Industrie“ nur die Produktion in der EU. Die Investitionen der Autokonzerne in
China interessieren sie nicht. Somit werden auch die Autos europäischer
Hersteller in China beim Export in die EU den Zöllen unterworfen. Damit ignoriert die Kommission nicht nur die in
vielen empirischen Studien belegten positiven Wirkungen von
Auslandsinvestitionen auf die Beschäftigung und die Rentabilität im Mutterland.
Sie läuft auch Gefahr, die Argumentation der amerikanischen Biden-Regierung zu honorieren: „Produce
at home
.“ Das aber fragmentiert die Märkte und ist klar protektionistisch.
Wo stünde Japan heute, hätte es nicht seine Erträge aus seinen
Auslandsinvestitionen wie etwa im Fall von Toyota? Wo stünden die USA als großer Schuldner im
Anleihemarkt, hätten sie nicht die starke Gegenposition beim internationalen Risikokapital, also bei Investitionen
im Ausland? Die Stärke des Dollars beruht wesentlich auf dieser Gegenposition. Das Vorgehen der Kommission verzerrt, wie Kapital international verteilt wird und greift massiv in die globalen Lieferketten ein.

3. Die EU-Kommission erfüllt ihre eigenen Vorgaben nicht. Die Maßnahmen sollen demnach verständlicherweise der
Gesamtwirtschaft nicht mehr Schaden zuführen als die Erleichterung für die Autoindustrie. Dabei geht es nicht nur um die Verluste
für die Verbraucher in der EU, die höhere Preise hinnehmen müssen. Die
Kommission sieht diese Verluste, hält sie aber für angemessen oder vertretbar. Sie
ignoriert auch, dass jeder Einfuhrzoll implizit wie eine Steuer auf Exporte
wirkt, weil sich das Preisverhältnis zwischen Import und Export zulasten des Exportsektors verändert. Die Zölle legen also den Exportbemühungen
der europäischen Autoindustrie Steine in den Weg. Eine gesamtwirtschaftliche
Nutzen-Kosten-Bilanz, die die Wirkungen für andere Industriezweige ebenso berücksichtigt
wie die Rückwirkungen auf den Green Deal, hat die Kommission nicht vorgelegt.  

4. Die
Argumentation gegenüber der chinesischen Regierung ist taktisch ungeschickt.
Anstelle der Klagen über den vermuteten Schaden für die europäische
Autoindustrie wäre es klüger, die Untersuchungen chinesischer
Wirtschaftswissenschaftler aufzugreifen, die eine Hauptschwäche in China sehen: Der dortigen Wirtschaft fehlt die Nachfrage von Privathaushalten. Die schwächelnde Währung verstärkt dies sogar noch. Die Regierung verschwendet knappe Haushaltsmittel für die
Aufblähung der Produktion, was am Bedarf vorbeigeht. Dabei könnte sie mit höheren Sozialausgaben
für das Rentensystem dafür sorgen, dass die sehr niedrige Konsumquote
steigt. Mit dieser rein auf Produktionswachstum fixierten
Politik schadet sich China nicht nur selbst, sondern auch seinen
Handelspartnern weltweit. Sollte die chinesische Regierung dies nicht einsehen
wollen, sind die Ankündigungen von Ausgleichszöllen ein Mittel, um der Sorge
Nachdruck zu verleihen.

Der Kommission ist
bewusst, dass die Ausgleichszölle die Herausforderungen der Umstellung vom
Verbrenner auf die Elektromobilität nicht mildern werden. Die Importe aus China
werden nach Schätzungen des IfW um ein Viertel zurückgehen. Und dies wird auch Produkte
europäischer Hersteller treffen, die in chinesischen Autos verbaut werden. Der Aufschlag aus Brüssel verschärft nur den Protektionismus, fragmentiert die Märkte in
„gleich gesinnte“ Blöcke und bevormundet die Unternehmen. Der Kommission fehlt offensichtlich an ökonomischem Sachverstand.