China-Strategie der Bundesregierung: Ein Dilemma von Handel und Werten

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Die China-Strategie der Bundesregierung soll den Ankündigungen aus der Ampel-Koalition zufolge die Außenpolitik eindeutiger und schlagkräftiger machen. Während die Ideen zum Umgang mit der neuen Großmacht bisher in verschiedenen Ressorts über verschiedene Strategiepapiere verteilt lagen, soll es künftig eindeutige Handlungsanweisungen geben. Die Strategie soll einen Weg aus dem ganz großen Dilemma der Abhängigkeit von dem Partner und Rivalen bieten, ohne gleich alle Brücken abzubrechen.

Ein Entwurf der Strategie aus dem Auswärtigen Amt ist am Mittwoch vorzeitig an die Öffentlichkeit gelangt, lange vor der formalen Fertigstellung des Papiers. Der Spiegel zitiert umfangreich aus dem Dokument, das ihm zugespielt wurde. In dieser Fassung ist es eindeutig von der grünen Außenministerin Annalena Baerbock geprägt. Diese Rohfassung wird sich allerdings auf dem Weg zur endgültigen Verabschiedung durch die Regierung noch erheblich wandeln.

Ein wichtiger Teil des Strategieentwurfs widmet sich den Abhängigkeiten der deutschen Wirtschaft. Er ist als Lehre aus den Ereignissen seit Februar zu lesen, als das autoritär regierte Russland anfing, die Westeuropäer mit Gaslieferungen zu erpressen. Wichtige Rohstoffe soll Deutschland künftig in großer Menge hamstern, zitiert der Spiegel die China-Strategie. Das könnte auch auf Seltene Erden und andere unentbehrliche Ausgangsmaterialien für die Elektronikindustrie und die Fahrzeugwirtschaft abzielen.

Unter Merkel hätte es die kritischen Anmerkungen nicht gegeben

Generell sollen Lieferketten nicht von einzelnen Ländern abhängen, die zudem nicht die eigenen politischen Werte teilen. Wichtige Waren sollen aus verschiedenen Zulieferländern kommen. Die Diversifizierung könnte schnell schwierig werden, wenn die Strategie genau so umgesetzt wird. Denn sie sieht auch vor, keine Produkte mehr aus Gegenden zu beziehen, in denen die Menschenrechte verletzt werden. Viele Rohstoffe kommen jedoch aus der Region Xinjiang, in der China Zwangslager betreibt.

Wesentliche Teile dessen, was der Spiegel jetzt über den Strategieentwurf veröffentlicht, ist bereits bekannt, oder es handelt sich um Maßnahmen und Politikziele, die bereits an anderer Stelle bearbeitet werden.

  • Die Diversifizierung der Zulieferländer ist bereits die akzeptierte Strategie der Unternehmen und der Wirtschaftsverbände.
  • Eine Deckelung der Exportgarantien hat Wirtschaftsminister Robert Habeck bereits vergangene Woche angekündigt.
  • Die EU arbeitet bereits an einem Lieferkettengesetz und einem Bann für Produkte aus Zwangsarbeit.
  • Dass die neue Nähe zu Russland „wahrgenommen“ und mit Sorge betrachtet wird, ist derzeit ein Allgemeinplatz.

Dennoch ist die Strategie durchaus ambitioniert. Deutschland dürfe keine „strategischen Lücken lassen“, heißt es darin. Sie erkennt an, dass China zielgerichtet handelt. Peking bindet andere Schwellenländer in das eigene Handelssystem ein und schafft bewusst Abhängigkeiten. Solche eindeutig kritisch-konfrontativen Aussagen hätten frühere Regierungen kaum über den Partner China veröffentlicht, in der Ära Merkel war das eher Stoff für Kommentare der Medien.

Es gibt auch konkrete Handlungsempfehlungen, wie China zu begegnen sei. Der Westbalkan soll klar das Einflussgebiet der EU bleiben, die sich dort auch entsprechend engagieren und Beitrittsangebote machen soll. Auch in Afrika soll die EU präsenter werden. Zudem soll Europa seine Investitionen öffentlichkeitswirksamer verkaufen.

Das Dokument ist zu lang

Im politischen Berlin sind auch kritische Stimmen zu dem Papier und seiner Entstehung zu hören. Sorge gilt der Frage, ob die Regierung Scholz ihre wohlklingenden Worte mit dem nötigen Budget unterfüttert. Die Ansiedlung von Chip- und Elektronikherstellern, staatliche Unterstützung für Forschung und Entwicklung, Förderung für unrentable Industrien in der Heimat, dicke Geschenke an Afrika und Lateinamerika – all das würde viel Geld kosten. Denn China selbst mobilisiert für Subventionen, seine Handelsinitiative und nicht zuletzt das Militär erhebliche Mittel. Wer dem etwas entgegensetzen will, muss mehr ausgeben als zuvor.

Anderen ist das Papier zu konfrontativ. Zwar enthält es die Absichtserklärung, keine Blockbildung anzustreben. Doch diese Abschnitte werden von den Aussagen überschattet, in denen der Rivalitätsaspekt im Vordergrund steht. So ein Papier könne genau den Antagonismus verschärfen, dem es begegnen will.

Andererseits bleibt das Papier an entscheidenden Stellen offenbar unklar – und zwar gerade da, wo konkrete Handlungsanweisungen gefragt wären. Was, wenn China einen Angriff auf Taiwan startet? Laut den Spiegel-Zitaten aus dem Dokument sind zum Thema Taiwan „bilaterale Dialoge“ vorgesehen, um China zur Einhaltung von Verträgen „zu bewegen“. Also nur Gespräche. Eine harte Konsequenz im Fall eines Übergriffs ist demnach nicht genannt. Hier haben sich die Diplomaten und ihre Ministerin nicht getraut, eben doch ein wenig die kalten Krieger zu geben.

Warum wurde der Entwurf durchgestochen?

Ein Diskussionsthema ist auch die Länge des Dokuments, das schon im Entwurf mit knapp 60 Seiten für eine Grundsatzstrategie sehr lang ist. Ausführung und Umsetzung sind dann Sache der zuständigen Behörden, die ihrerseits kleinteiligere Pläne ableiten können. Die Länge deutet darauf hin, dass bereits Kompromisse angelegt sind. Wenn aber zu jedem Punkt bereits Einschränkungen oder gar gegenteilige Aussagen angelegt sind, dann nimmt das dem Dokument seine Stärke.

Die Offenlegung des Papiers durch den Spiegel betrifft jedoch nur einen Ausschnitt in dem Prozess, mit dem die Regierung zu einem Kompromiss kommt, mit dem sie leben kann. Alle Ministerien, weitere Behörden (wie möglicherweise der Bundesnachrichtendienst) und eventuell auch Interessengruppen reden mit. Genau deshalb könnte das Auswärtige Amt seinen eigenen Entwurf an den Spiegel durchgestochen haben: um zu dokumentieren, dass zumindest die ursprüngliche Version noch Biss hatte.

Die Regierung besteht zudem aus drei Parteien. Während die FDP ähnliche Gedanken im Hinblick auf China hegt wie die Grünen und zum Teil sogar radikaler auftritt, ist die dominierende SPD merklich vorsichtiger. Das zeigt sich deutlich an den jüngsten Ereignissen. SPD-Kanzler Olaf Scholz traf Xi Jinping mit einer Wirtschaftsdelegation, während Annalena Baerbock von der Seitenlinie auf Menschenrechte und Abhängigkeiten hinwies.

Eine Richtlinie zum Umgang mit China ist überfällig

Die Strategie sollte nach Möglichkeit noch in diesem Jahr vorliegen, auf jeden Fall aber möglichst bald fertig werden. Sie ist auch im Koalitionsvertrag angekündigt. Der Krieg in der Ukraine hat das Gefühl der Eile verstärkt. Dazu kommt die zunehmende Unsicherheit in der deutschen Gesellschaft. Zu Beginn der Pandemie waren Masken knapp, weil sie aus China kamen. Auch Antibiotika kommen dorther. Störungen in der Lieferkette, die in Chinas Häfen ihren Anfang nahmen, führten in Deutschland zu Produktionsengpässen. Xi Jinping bedroht immer offener Taiwan und kontrolliert die eigene Bevölkerung engmaschig. In der Regierung hat sich das Gefühl breitgemacht, dass die Zeit zum Zögern und Diskutieren abläuft. Eine Richtlinie zum Umgang mit China ist überfällig.

Daher warten Behörden und Wirtschaft geradezu sehnsüchtig auf die Strategie, für die das Haus Baerbock die Feder führt. Doch die Strategie wird vermutlich in ihrer Wirkung enttäuschen. Kein PDF-Dokument einer Spitzenbehörde kann auf einen Schlag das Dilemma auflösen, in das Deutschland inzwischen geraten ist.

Dieser Beitrag wurde übernommen aus dem China.Table Professional Briefing vom 17. November 2022.