CCS-Technik: Das Rennen um die CO₂-Pipeline
Der norwegische Energiekonzern Equinor treibt die Pipeline von Europa nach Norwegen voran für den Transport von Kohlendioxid (CO2), das anschließend auf dem Meeresboden eingelagert werden soll. Jährlich sollen somit bis zu 30 Millionen Tonnen verflüssigtes CO2 vom Kontinent abtransportiert und durch die sogenannte CCS-Technik entsorgt werden. Noch offen ist, wo der Startpunkt auf dem Festland gebaut wird. Auch ein deutscher Standort ist im Rennen.
„Wilhelmshaven ist die wahrscheinlichste Lösung in Deutschland, aber es gibt mehrere Bewerber in Europa“, sagte Equinor-Vizepräsidentin Irene Rummelhoff im Gespräch mit der F.A.Z. am Rande der Hannover Messe. Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) brachte sein Bundesland als „Energiewendeland“ schon mal in Position. Wohl wissend, dass Genehmigungen für den Bau einer Pipeline durch das Wattenmeer schwierig werden könnten. Aber man lebe schließlich in der Zeitenwende, so Weil, „und dadurch könnten wir sehr schnell werden“.
Begehrtes Pipeline-Projekt
Aber auch andere Regionen machen sich Hoffnungen. Im belgischen Antwerpen etwa schließt sich an den zweitgrößten Hafen Europas ein riesiges Industriegebiet mit einem hohen CO2-Ausstoß an, die Infrastruktur für die Zuleitung wäre kurz. Auch Frankreich hat die Pipeline im Visier. Egal jedoch, wo sie schließlich anlandet – es wird ein Leitungsnetz in andere Länder geben, in das CO2 eingespeist und nach Norwegen transportiert wird, heißt es von Equinor. Als Partner des Projektes ist auch Wintershall im Boot, jene BASF-Tochtergesellschaft, deren Verkauf an den britischen Ölkonzern Harbour Energy für 11 Milliarden Euro Ende vergangenen Jahres bekannt gegeben worden war.
Es war ein Paukenschlag, als die Bundesregierung im Februar einen Kursschwenk in der CCS-Debatte hingelegt hatte. Ausgerechnet Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen lenkte im jahrelangen Streit ein und verkündete, dass es im Kampf gegen den Klimawandel nicht anders gehe, wenn man die selbst gesteckten Klimaziele erreichen wolle. Dabei war es seine Partei, welche CCS (Einlagerung) und CCU (Verwendung) von CO2 lange Zeit kategorisch abgelehnt hatte. Schon im Mai könnten die Eckpunkte in ein Gesetz gegossen werden, wie Habeck in Hannover durchblicken ließ. Allerdings will er die Praktiken auf bestimmte Erzeuger wie etwa die Zementindustrie beschränken, für die es „derzeit keine Technologie zur kompletten CO2-Vermeidung gibt“. Für fossile Energieerzeugung will er den Einsatz nicht ermöglichen.
Investitionsentscheidung steht noch aus
Offen ist bislang die Frage nach den Investitionen für das gewaltige Projekt. „Wir reden über mehrere Milliarden Euro Kosten für den Bau der Pipeline“, räumte Irene Rummelhoff ein. Die Bauentscheidung leidet unter dem klassischen Henne-Ei-Problem. „Für die Investitionsentscheidung müssen wir eine gewisse Nachfrage sehen“, sagte die Equinor-Managerin. Die Politik wiederum argumentiert, dass diese entstehe, sobald die Investitionsentscheidung gefallen sei. Diese wiederum wird aus Sicht der Norweger kommen. „Unsere Investitionsentscheidung soll bis spätestens 2027 fallen“, kündigte Rummelhoff an. Die Pipeline könnte dann im Jahr 2030 fertiggestellt werden, lautet das optimale Szenario.
Doch die Verbringung von CO2 aus deutschen Industrieanlagen auf den Meeresboden vor Norwegen wird schon vorher gestartet. Equinor arbeitet im Projekt „Northern Lights“ zusammen mit Shell und Total Energies an einer kompletten Wertschöpfungskette, die den Transport durch die Nordsee mit Spezialschiffen vorsieht. In 2000 Meter Tiefe sollen dann im ersten Schritt rund 1,5 Millionen Tonnen Speicherkapazität geschaffen werden. Bei entsprechender Nachfrage könnten es auch 5 Millionen Tonnen im Jahr werden. Die Nachfrage der Kunden ist laut Irene Rummelhoff groß, man sei schon ausgebucht. Im kommenden Jahr könne der Schiffstransport beginnen.
Kosten für die CCS-Wertschöpfungskette müssen sinken
Mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit macht die Managerin klare Ansagen: „Wir müssen die Kosten für die CCS-Wertschöpfungskette runterfahren.“ Deshalb sei die ausschließliche Schiffslösung auch kein Modell mit Zukunft. „Der Umstieg beim Transport vom Schiff auf die Pipeline kann die Kosten um bis zu 50 Prozent reduzieren“, sagt Rummelhoff. Deshalb gilt eine kombinierte Lösung als zukunftsfähig: ein Pipelinenetz auf dem Festland, das große industrielle Zentren verbindet, und die Schiffslösung für kleinere, nicht angebundene Standorte.
Equinor (früher Statoil) befindet sich mehrheitlich in der Hand des norwegischen Staates. Seine Gewinne speisen den staatlichen Pensionsfonds, der weit über eine Billion Dollar umfasst. In der Energiekrise nach Ausbruch des Ukrainekrieges sprang Norwegen ein und sorgte mit einer enormen Ausweitung seines Liefervolumens an Erdgas dafür, dass eine Energiekrise in Deutschland verhindert wurde. Der Umsatz sprang dadurch 2022 auf rund 150 Milliarden Dollar, der Gewinn auf fast 30 Milliarden Dollar.
Für Deutschland sind Norwegen und Equinor wichtige Partner für die Energiewende. In Hannover unterzeichneten Habeck und der norwegische Ministerpräsident Jonas Gahr Støre eine Absichtserklärung für den Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur. Equinor kann heute schon sogenannten blauen Wasserstoff in großen Mengen liefern, bei dessen Erzeugung CO2 entsteht, das aber durch CCS-Technik eingelagert wird. Auch die Produktion von grünem, durch erneuerbare Energie erzeugtem Wasserstoff fährt derzeit hoch.
Equinor-Managerin Rummelhoff bremst jedoch die Erwartungen: „Wir sind nicht gegen grünen Wasserstoff, aber aus unserer Sicht kommen die großen Volumenbeiträge eher gegen Ende der Entwicklung.“ Deshalb müsse man zunächst für eine rasche Skalierung auf blauen Wasserstoff setzen.
Kritiker monieren, dass Equinor zwar auch nachhaltig investiere, etwa in einen großen Windpark vor New York, gleichzeitig aber immer noch weiter munter Öl- und Gasfelder erschließe und sich keineswegs von fossilen Energieträgern lossage. Die frühere Airbus -Managerin Rummelhoff verweist auf die festgelegten Ziele: „Wir wollen bis 2030 die Hälfte unserer Investitionen in erneuerbare Energie stecken.“ Derzeit sind es erst 20 Prozent.