Campari verdoppelt die Aperol-Produktion

In vielen Fabriken hängen an den Wänden Warnungen vor Arbeitsunfällen oder Parolen zur Mitarbeitermotivation. Bei Campari zieren die Mauern dagegen Trinksprüche: „Toasting Life Together“ – man solle doch auf das Leben anstoßen, ist in Englisch im neuen Fabrikgebäude von Novi Ligure nördlich von Genua zu lesen.

Wer sich hier nun einen feuchtfröhlichen Arbeitsalltag vorstellt, liegt freilich falsch. Mit nüchterner Effizienz laufen wie am Schnürchen jene Flaschen über die Bänder, die den Sommer einleiten sollen: Vor allem Aperol und Campari werden hier produziert, aber auch der Wermut Cinzano, der Wodka Skyy und der alkoholfreie Aperitif Crodino.

Als Campari den Standort in der kleinen Industriestadt des südlichen Piemonts vor zwanzig Jahren eröffnete, füllte man 29 Millionen Flaschen im Jahr ab, heute sind es 360 Millionen. Fast dreißig Prozent der globalen Produktion des Konzerns mit seinen rund 50 Marken kommen aus diesem Werk, darunter immer mehr Aperol. Weil der Durst der Konsumenten nach Aperol Spritz ungesättigt erscheint, hat Campari in Novi Ligure seine Produktion für das Getränk nun verdoppelt. „Aperol Spritz ist unser Wachstumsmotor, und was uns freut, ist, dass auch Campari Spritz spürbar zulegt“, berichtete der neue Campari-Vorstandsvorsitzende Matteo Fantacchiotti am Freitag bei der Eröffnung der siebten Abfüllstraße, die 75 Millionen Euro kostet und weitere 100 Millionen Flaschen im Jahr verkaufsbereit machen kann.

Aperol-Herstellung dauert nur fünf Tage

Die einst kleine, von Campari wachgeküsste Likörmarke Aperol macht in der Mischung mit Prosecco, Mineralwasser und einem kleinen Orangenstückchen inzwischen sogar dem Bier Konkurrenz. Im Campari-Konzern steht sie fast für ein Viertel des Gesamtumsatzes – mehr als doppelt so viel wie der klassische und etwas bitterere Campari. Der Likör Aperol hat den Vorteil, dass er recht schnell hergestellt werden kann. Das Extrahieren von Geschmacks- und Aromastoffen aus Kräutern und anderen Zutaten, das Mischen und Filtern sowie das Kontrollieren und Korrigieren dauert in der Regel nur rund fünf Tage. Bei Campari mit seinen Dutzenden von streng geheim gehaltenen Zutaten sind es dagegen etwa vier Wochen.

Die Verbreitung unter den Aperol-Kunden plant der italienische Konzern generalstabsmäßig. In der Expansionsphase Nummer eins nehmen die Konsumenten den Aperol Spritz noch an sommerlichen Nachmittagen in den Bars zu sich; in Phase zwei zieht sich der Genuss das ganze Jahr über hin, etwa auch in den Skiresorts. Zu Phase drei gehört dann, dass der Aperol Spritz als Aperitif zum Mittagessen dazugehört. „Deutschland befindet sich in Phase zwei, aber nahe an Phase drei. In Italien sind wir in Phase drei“, berichtet Fantacchiotti im Gespräch mit der F.A.Z.

Aperol und Campari seien nicht nur banale Getränke, sie seien Botschafter eines ganzen Lebensgefühls – so schwärmt der angereiste Landwirtschaftsminister Italiens, Francesco Lollobrigida. „Diese italienische Form des Zusammenseins, die aus Unbekannten Freunde machen kann“, sie sei mit einem guten Aperitif zu einem Exportschlager geworden. Dabei schieben der Minister und die Campari-Manager gleich pflichtgetreu nach, dass es immer nur um „verantwortungsbewussten“, also gemäßigten Konsum gehe – auch das sei der „mediterrane Stil“. Als Beweis führt Lollobrigida die hohe Lebenserwartung der Italiener an. Campari berichtet, dass man die Bartender dazu ausbilde, für moderaten Konsum zu sorgen. Bei wie vielen Gläsern dieser endet, wird nicht erläutert.

Neuer Hoffnungswert Sarti Rosa

Angesichts solcher Aussichten müssten eigentlich auch die Herzen der Eigentümer höherschlagen. Doch die Aktionäre der großen Spirituosenhersteller müssen seit geraumer Zeit viel Geduld aufbringen. Campari verlor seit Mitte Juli 2023 an der Börse von Mailand fast 27 Prozent. Beim größeren französischen Konkurrenten Pernod Ricard war es in diesem Zeitraum noch etwas mehr. Der europäische Marktführer Diageo mutete seinen Anteilseignern einen ähnlich hohen Kursverlust zu, der allerdings schon Ende 2021 begann.

Nach der Pandemie galt 2022 als das Jahr des großen Aufholens. Doch 2023 wurden die Erwartungen aufgrund der allgemeinen Konjunkturschwäche und der Inflation enttäuscht. Bei Campari kam ein schwieriger Sommer mit Hitzerekorden hinzu, zudem litt die Branche teilweise unter übergroßer Lagerhaltung im Handel. Die Hoffnung auf eine Erholung an der Börse in diesem Jahr hat sich bisher nicht erfüllt.

Deutschland ist für Campari der drittwichtigste Markt nach den Vereinigten Staaten und Italien. Einfach ist das Geschäft dort nicht, denn 80 Prozent des Absatzes laufen über die hart verhandelnden Supermarktketten. Neuester Hoffnungswert ist ein Likör namens Sarti Rosa mit Fruchtgeschmack, der weniger bitter als Aperol und erst recht als Campari ist. Er soll unter anderem das weibliche Publikum ansprechen. Der Start in Deutschland sei „phänomenal“ verlaufen, berichtet Fantacchiotti. Die Expansion in andere Länder soll bald beginnen.