Bundesweite Klimaproteste – wie steht es um Fridays for Future?

Fridays for Future hat für heute zu neuen Protesten aufgerufen – gegen den geplanten Kurswechsel der Regierung in der Klimapolitik. Doch längst mobilisieren die Aktivisten nicht mehr so viele Menschen wie früher. Wie steht es um die Klimabewegung?
Die Bundesregierung hat angekündigt, Ausbauziele für erneuerbare Energien zurückzunehmen. Gleichzeitig sollen neue Gaskraftwerke gebaut und Gasvorkommen vor der Nordseeinsel Borkum erschlossen werden. Fridays for Future spricht in diesem Zusammenhang von einem „Herbst der Klimazerstörung“.
Die Bewegung hat deshalb für heute in über 70 Städten unter dem Motto #ExitGasEnterFuture zu Kundgebungen und Demonstrationen aufgerufen. Ausnahmsweise an einem Samstag – die Proteste sind Teil einer weltweiten Aktionswoche, in fast 100 Ländern gehen Menschen für das Klima auf die Straße.
Bundesregierung befeuert den Protest
Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) hatte einen Kurswechsel in der Energiepolitik angekündigt. Grundlage für ihre Einschätzung sei das Energiewende-Monitoring, das ihr Ministerium in Auftrag gegeben hatte. So sollen Subventionen für erneuerbare Energien gekürzt werden. Außerdem spricht sich die Ministerin für den Bau neuer Gaskraftwerke aus, begründet mit Netzsicherheit und Strompreispolitik.
Die Sprecherin von Fridays for Future Carla Reemtsma wirft der Bundesregierung im Interview mit dem hr eine gezielte Verunsicherung der Bürgerinnen und Bürger und Stimmungsmache gegen Klimaschutz vor: „Man sät aktiv Zweifel an der Machbarkeit, an der Sinnhaftigkeit, obwohl der Konsens ganz klar ist: Wir müssen raus aus den fossilen Energien.“
Reiche verlängere als ehemalige Gaslobbyistin ein klimaschädliches und teures Geschäftsmodell, so Reemtsma. Die Ministerin wechselte direkt von innogy-Westenergie, einer E.On Tochter in das Ministeramt. Die Fridays for Future-Sprecherin sieht im Expansionskurs für Erdgas viel neues Protestpotenzial. Aber kann die aus Schülerprotesten hervorgegangene Bewegung noch die Massen mobilisieren wie 2019?
Vom steilen Aufstieg zu sinkenden Teilnehmerzahlen
Angefangen mit einem Schulstreik der schwedischen Aktivistin Greta Thunberg 2018 hat die Jugendbewegung Fridays for Future die Klimakrise als drängendes Thema unserer Zeit mitten in die Gesellschaft getragen. Vor genau sechs Jahren, am 20. September 2019 gingen laut Veranstaltenden 1,4 Millionen Menschen für das Klima in Deutschland auf die Straße. Doch solche Zahlen erreichte die Bewegung zuletzt nicht mehr. Im vergangenen Jahr waren es im September nur um die 75.000. Menschen.
Klimakrise ist keine Priorität
Warum hat die Bewegung zuletzt nicht mehr so viele Menschen mobilisieren können? Philipp Gassert, Protestforscher an der Universität Mannheim sieht eine Ursache dafür in unserer krisenhaften Zeit. „Ich fürchte, dass die Energie und die Ängste der Bevölkerung im Moment bei anderen Themen sind als dem Klimawandel.“
Stattdessen spielten Bedrohungen der Demokratie von rechts und Krieg, vor allem seit Beginn des Ukrainekrieges eine große Rolle. Auch die Pandemie habe die Mobilisierung auf den Straßen erschwert. Zusätzlich könnten radikalere Protestaktionen wie die der „Letzten Generation“ die Akzeptanz bei vielen Bürgerinnen und Bürgern geschwächt haben.
Streit um Positionierung im Israel-Gaza-Krieg
Fridays for Future steht als soziale Bewegung schon länger nicht mehr nur für Klimaschutz. Mitglieder und Ortsgruppen von Fridays for Future positionieren sich abseits der Klimakrise auch immer wieder zu anderen politischen Themen, wie mit Protesten gegen rechts und für Demokratie. Die Aussagen von Greta Thunberg zum Vorgehen Israels in Gaza zogen 2023 massive Kritik nach sich. Das könnte einige Unterstützerinnen und Unterstützer gekostet haben, so Protestforscher Gassert.
Der mediale Hype um die schwedische Aktivistin hatte vor allem zu Beginn der Bewegung zu ihrem Erfolg beigetragen. Nach ihren Äußerungen zu Israel und Palästina distanzierte sich Luisa Neubauer, prominentestes deutsches Gesicht der Bewegung von Thunberg. Dass man am Wochenende gemeinsam in fast 100 weiteren Ländern für das Klima auf die Straße gehe, zeige laut Reemtsma von FFF aber deutlich, dass die internationale Klimabewegung trotz Auseinandersetzungen funktioniere.
Fridays for Future als Protestmotor
Die jungen Aktivistinnen und Aktivisten von Fridays for Future hätten ein breites Engagement ausgelöst und politisch viel erreicht, meint Protestforscher Gassert. So haben sie dazu beigetragen, Klimathemen im Koalitionsvertrag der Ampel 2021 prominent zu verankern.
Sieben Jahre nach ihrer Gründung habe sich die Bewegung professionalisiert und diversifiziert: Die „Grandparents for Future“, die „Scientists for Future“ und viele andere Ableger der Bewegung zeigen, dass sie längst nicht mehr nur junge Menschen repräsentiert, sondern ein breites Spektrum unserer Gesellschaft abbildet.
„Klimaprotest dringlicher denn je“
Die aktuelle Regierung aus CDU und SPD schlägt in Sachen Klima einen geänderten Kurs ein. So wird das geplante Aus für Neuzulassungen von Verbrenner-Motoren 2035 in Frage gestellt, die Regierung will wieder verstärkt auf Gas setzen. Ein solcher Shift mache sich auch in Gesprächen mit der Bevölkerung bemerkbar, sagt Reemtsma. Mehr Skepsis in der Bevölkerung gegenüber Klimaschutzmaßnahmen verändere die strategische Ausrichtung der Bewegung. Deshalb setze sie jetzt viel auf lokaler Ebene an, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen und für Akzeptanz und Mehrheiten zu werben.
Fridays for Future hat sich verändert: Auch wenn sie nicht mehr so viele Menschen auf die Straße bringt wie zu ihrer Anfangszeit, so hatte sie doch eine enorme Wirkung in verschiedene gesellschaftliche Gruppen hinein. Der aktuelle Kurs der Bundesregierung verändere aber die Dringlichkeit ihres Protests, sagt Reemtsma. „Wir stellen uns darauf ein, die nächsten Jahre viel auf die Straßen gehen zu müssen.“
Source: tagesschau.de