Bürgermeisterwahl in New York: Der rote Zohran

Nicht weit von der Wall Street entfernt, dem Herz des globalen Finanzkapitalismus, liegt Klassenkampf in der Luft.

„Tax the rich!“

„Tax the rich!“

Besteuert die Reichen!, schallt es durch das Forest-Hills-Stadion des New Yorker Stadtteils Queens. Sieben Grad Celsius, 13.000 Menschen bibbern und jubeln, es läuft der Bob-Marley-Hit Get Up, Stand Up. Auf der Bühne steht eine schwarze Frau, die bei einem Sicherheitsdienst arbeitet. „Wusstet ihr, dass man als Security in New York im Schnitt nur 40.000 Dollar verdient?“, ruft sie. „Es reicht uns!“ Ein Notfallsanitäter erzählt von Patientinnen, die trotz Krankheit zu ihren Kindern nach Hause eilen, weil sie sich keine Betreuung leisten können. Ein Starbucks-Barista ruft: „Der CEO von Starbucks hat im vergangenen Jahr 96 Millionen Dollar verdient, 6.666-mal so viel wie mein Gehalt. Das System ist kaputt!“

Dann betritt Alexandria Ocasio-Cortez die Bühne, gefolgt von Bernie Sanders, die beiden großen Stars der amerikanischen Linken. Stehender Applaus, Tausende gereckte Fäuste. Ocasio-Cortez brüllt, sie wettert gegen die Oligarchen und Milliardäre im Land, gegen die Trump-Regierung in Washington. Sanders setzt nach: „Das sind keine normalen Zeiten! Das ist keine normale Wahl! Die ganze Welt schaut auf diese Wahl in New York!“

Und hier kommt er, der Mann im Zentrum des Spektakels, laut Sanders „der nächste Bürgermeister von New York City“: Zohran Mamdani, dunkelgrauer Anzug, jungenhaftes Strahlen. „Im Februar lagen wir bei atemberaubendem einem Prozent“, sagt er und grinst. Das Stadion tobt.

Sensation und Provokation zugleich

Am 4. November wird in New York gewählt, aber schon jetzt sehen die Umfragen den Demokraten Zohran Mamdani als Sieger, mit mehr als zehn Prozentpunkten Vorsprung ist er kaum noch einzuholen. Mamdani, Sohn ugandisch-indischer Eltern und Parlamentsabgeordneter des Bundesstaates New York, ist 34 Jahre alt und hat keinerlei Regierungserfahrung. Trotzdem oder vielleicht auch gerade deshalb steht er kurz davor, Geschichte zu schreiben: Als erster muslimischer Bürgermeister jener Stadt, in der Islamisten am 11. September den Anschlag auf das World Trade Center verübten. Als scharfer Kritiker Israels, obwohl in New York mehr Juden leben als in irgendeiner anderen Stadt außerhalb Israels. Als selbsterklärter Sozialist im Reich der Milliardäre.

Mamdanis Kandidatur ist Sensation und Provokation zugleich. In Donald Trumps Amerika, das immer tiefer ins Autoritäre schlittert, kommt seine Geschichte einer Kampfansage gleich: Es gibt sie noch, die Linke in den USA, und sie hat jede Menge Wut im Bauch.

Wer Mamdani in diesen Tagen auf seinem Terminmarathon durch Grillimbisse, Friseursalons, 24-Stunden-Delis, Schulen, Kirchen, Tempel und Moscheen begleitet, erlebt einen Kandidaten, der seine Anhänger in Ekstase versetzt. Seine Fans tragen T-Shirts, auf denen „Hot Girls für Zohran“ steht, „Latinos für Zohran“, „Gesundheitsfachangestellte für Zohran“, „New Yorker Juden für Zohran“ und „Neurodivergente für Zohran“. Tag für Tag zieht ein Heer von 80.000 Helfern in den Häuserwahlkampf: College-Absolventinnen, Rentner, Kellnerinnen, Jugendliche, die noch nicht wählen dürfen. Die Zeiten seien beschissen, aber Zohran gebe ihr Hoffnung, sagt eine ältere Lehrerin. Zohran sei der Einzige, der sich klar gegen den Genozid in Gaza stelle, sagt ein ehemaliger Regierungsbeamter, der unter Elon Musk seinen Job verloren hat. Zohran werde endlich den Kampf gegen Trump aufnehmen, sagt ein junger Bauarbeiter.

In New York ist die Begeisterung groß, die eigene Partei aber schaut teils mit erheblicher Skepsis auf ihren Shootingstar: zu links, zu radikal, zu unerfahren sei Mamdani, findet das demokratische Establishment. Und das ist noch höflich formuliert. Sein innerparteilicher Konkurrent, der ehemalige New Yorker Gouverneur Andrew Cuomo, 67, nannte Mamdani in der finalen TV-Debatte vergangene Woche ein „Kind“, einen „Kommunisten“, „Ideologen“ und „eine Gefahr für die Stadt“. In einer rechten Radiosendung stimmte Cuomo gar der Behauptung zu, Mamdani würde einen erneuten Anschlag wie 9/11 bejubeln. Geholfen hat das bisher nicht. Bei den Vorwahlen im Juni schlug Mamdani sowohl den Amtsinhaber Eric Adams als auch Cuomo mit überraschend großem Vorsprung. Cuomo tritt seither als unabhängiger Kandidat an.


Bürgermeisterwahl in New York: Mamdani betreibt Wahlkampf auf dem Fahrrad.

Mamdani betreibt Wahlkampf auf dem Fahrrad.

Kommt seine Partei noch an ihm vorbei?

Die Demokraten suchen ein knappes Jahr nach der verheerenden Niederlage gegen Donald Trump noch immer nach einem Weg raus aus der Krise. Nur führt dieser Weg in den Augen vieler nicht nach New York, wo Mamdani schonungslos mit den Fehlern seiner Partei abrechnet, ihr Trägheit, Elitismus und sogar Korruption vorwirft.

Die Frage ist nur: Kommt seine Partei noch an ihm vorbei, wenn Mamdani die Wahl gewinnt? Lässt sich Rechtspopulismus nur mit Populismus von links bekämpfen statt mit Weiter-so? Verkörpert Mamdani gar die Zukunft?

Wenn schon die eigene Partei so kritisch über ihren Kandidaten spricht, wundert es nicht, dass Trump Mamdani einen „hundertprozentig kommunistischen Irren“ nennt und zeitweise damit drohte, ihm die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Dabei ist dessen Erfolgsformel der von Trump gar nicht so unähnlich: Mamdani beschwört den Aufstand gegen eine korrupte Elite und versteht es brillant, sich in den sozialen Medien zu verkaufen. Zu Beginn seiner Bürgermeisterkampagne, kurz nachdem Trump die Wahl gewonnen hatte, suchte Mamdani jene Stadtteile in Queens und der Bronx auf, in denen Trump unter Latinos, Asiaten und Schwarzen zweistellig zugelegt hatte. Er fragte sie, warum sie für den Republikaner gestimmt hatten. Die häufigste Antwort: Das Leben in New York sei zu teuer. Mamdani und sein Team bauten darauf ein Wahlprogramm, das auf einen Post-it-Zettel passt: Die Mieten einfrieren. Kostenlose Busse. Kostenlose Kinderbetreuung für alle. Staatlich subventionierte Supermärkte. Ein Mindestlohn von 30 Dollar pro Stunde, was in einer Stadt, in der ein O-Saft am Stand 10 Dollar kostet, zwar ordentlich ist, aber auch nicht utopisch. In den Vorwahlen holte Mamdani so Wähler zurück, die 2024 selbst im liberalen New York zu Trump übergelaufen waren.