BSW ohne Wagenknecht? Trockenübung nebst welcher Klausurtagung

Die wilde Welt einer Mitgliederpartei ist dem Vorstand des Bündnis Sahra Wagenknecht noch nicht ganz geheuer. Rund 7.000 Mitglieder hat das BSW mittlerweile bundesweit. In den vergangenen Wochen konnten sie vorschlagen, für welchen Namen das Parteikürzel künftig stehen soll. 3.000 Vorschläge gingen ein. Doch hier endet die Basisbeteiligung erstmal. Der Bundesvorstand allein hat eine Vorauswahl getroffen und sich zu dieser am Wochenende ein „Meinungsbild“ eingeholt – bei den Landesvorständen und den Landtagsfraktionschefs, die zur Klausur nach Berlin gekommen waren. In der beginnenden Woche will sich der Bundesvorstand nun für einen einzigen Namensvorschlag entscheiden und diesen beim Bundesparteitag Anfang Dezember in Magdeburg zur Abstimmung stellen. Eine Idee aus dem BSW-Kreisverband Mecklenburgische Seenplatte hat wohl wenig Aussicht auf Erfolg: „Bockwurst statt Waffen“.

Amüsiert sind etliche BSW-Mitglieder nicht darüber, dass der Namenswechsel nun tatsächlich so bald kommt; gerade in den Landesverbänden, denen im nächsten Jahr Landtagswahlkämpfe bevorstehen, hätten sie für diese gern noch Namen, Zugkraft und Prominenz Sahra Wagenknechts genutzt. Doch steht ohnehin zu erwarten, dass Wagenknecht nicht nur dem Parteinamen entschwindet: Nach wie vor bleiben sie selbst und die Partei eine Antwort auf die Frage schuldig, ob Wagenknecht in Magdeburg erneut als Parteivorsitzende kandidieren wird oder nicht.

Auch Amira Mohamed Ali hat nicht erklärt, ob sie wieder als Parteivorsitzende antritt

Allein, wie lange das BSW die Klärung dieser Frage vor sich herschiebt, darf man wohl neben der Parteiumbenennung als starkes Indiz dafür lesen, dass Wagenknecht nicht wieder antritt. Auch ihre Co-Chefin Mohamed Ali hat bisher nicht erklärt, ob sie erneut kandidieren werde. Fest steht nur die Kandidatur des Nahost-Experten Michael Lüders als stellvertretender Parteivorsitzender. Dem Vernehmen nach laufen im Hintergrund weiter Diskussionen, wie der Bundesvorstand künftig strukturiert und besetzt werden soll und welche Rolle Wagenknecht ohne Parteivorsitz im BSW künftig spielt.

Bei der Klausur in Berlin konnten die BSW-Spitzen aus Bund und Ländern schon mal für die Zukunft üben: Sahra Wagenknecht fehlte wegen Krankheit.

So konnten Mohamed Ali und Generalsekretär Christian Leye am Ende der Klausur nur den dort debattierten Entwurf für einen Leitantrag des Bundesvorstands für den bevorstehenden Parteitag vorstellen. Demnach will sich das BSW auf Friedens-, Wirtschafts-, Sozial- und Migrationspolitik sowie den Einsatz für freie Debatten und Meinungsvielfalt statt Cancel Culture und Maulkörbe“ konzentrieren.

Wirtschafts- vor Sozialpolitik im Entwurf für den Leitantrag

Die Vorstellung, Russland würde die mächtigste Militärallianz der Welt angreifen und stünde morgen vor dem Brandenburger Tor, ist ein Phantomschmerz, der uns auf einen gefährlichen Weg führt, heißt es im Entwurf für den Leitantrag: Entspannungspolitik und Interessenausgleich sind im Interesse Deutschlands und Europas. Statt größte Militärmacht Europas sollte unser Land Friedensmacht werden.“ Die Rückkehr zur Wehrpflicht lehnt das BSW ab. Eine Wiederaufnahme von Gas- und Öllieferungen aus Russland könne auch als diplomatischer Türöffner im Ukraine-Krieg“ dienen, soll vor allem aber die Energiepreise in Deutschland senken. Für dieses Ziel schwebt dem BSW zudem vor, Energienetze wieder vollständig in öffentliche Hand zu holen und so den Anstieg der Netzentgelte zu stoppen. Außerdem fordert die Partei die Abschaffung des CO₂-Preises: Wir lehnen eine Klima- und Umweltpolitik, die das Leben der normalen Bevölkerung verteuert, belastet und verkompliziert, ab, sagte Mohamed Ali. Ebenfalls soll das Verbrennerverbot fallen, um die deutsche Autoindustrie und deren Arbeitsplätze zu retten. Der Bau wettbewerbsfähiger, verbrauchsarmer Verbrenner sei für die deutsche Industrie weit realistischer und Klima wie Umwelt deshalb zuträglicher.

In Sachen Bürgergeld lässt sich ein etwas veränderter Zungenschlag feststellen. Hatten BSW-Politiker in vergangenen Wahlkämpfen gern ausgegeben, gegen Karrieren von Bürgergeld und Schwarzarbeit“ vorgehen zu wollen, heißt es jetzt im Leitantragsentwurf: Die Bürgergeld-Reformen der Merz-Regierung treffen nicht in erster Linie Menschen, die unser System ausnutzen, sondern vor allem jene, die jetzt oder in Zukunft arbeitslos werden, weil die miserable Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zu einem massiven Arbeitsplatzabbau in der deutschen Industrie führt. Für diese Menschen wird es kurzfristig kaum ihren Qualifikationen entsprechende Arbeitsplätze geben. Sie zusätzlich durch eine Verschlechterung ihrer sozialen Absicherung zu bestrafen, ist zynisch.Wer unverschuldet in Not gerate und viele Jahre in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt habe, müsse vor dem sozialen Absturz geschützt werden. Das erfordert Leistungen, die sich an der vorherigen Lohnhöhe orientieren, und eine Reform der Zumutbarkeitskriterien.

Wer weniger verdient, soll weniger Rundfunkbeitrag zahlen

Zudem fordert das BSW in der Sozialpolitik – die im Leitantragsentwurf erst hinter den wirtschaftspolitischen Forderungen aufgeführt ist – unter anderem eine Rentenkasse für alle nach dem Vorbild Österreichs, einen bundesweiten Mietendeckel, die Abschaffung der Stromsteuer und der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel sowie die Rückkehr zur Vermögenssteuer – allesamt Forderungen, die kompatibel mit dem Programm der Linkspartei sind. Dies gilt nicht für die Migrationspolitik. Für diese sieht der BSW-Leitantragsentwurf „rechtsstaatliche Asylverfahren an den EU-Außengrenzen oder in sicheren Drittstaaten, eine konsequente Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern und ausländischen Straftätern, ein Ende der unkontrollierten Migration, die unsere Kommunen überfordert und zu Lohndumping auf dem Arbeitsmarkt führt sowie die Bekämpfung von Fluchtursachen mithilfe eines Waffenexportstopps und fairer Handelspolitik vor.

Nicht bekämpfen, aber reformieren will die Partei den öffentlich-rechtlichen Rundfunk – und außerdem den Rundfunkbeitrag für Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen auf zehn Euro im Monat halbieren. Der ÖRR könnte ein Korrektiv zu privater Meinungsmacht sein, würde er seiner Aufgabe gerecht werden und die Meinungsvielfalt repräsentieren“, heißt es, und weiter: „Soll das Vertrauen in die Öffentlich-Rechtlichen nicht noch weiter in den Keller rauschen, braucht es große Reformen: bei Programm, Strukturen, Kosten und Intendantengehältern.

Lässt das BSW in Brandenburg die Koalition wegen des Rundfunkstaatsvertrags platzen?

Das Thema ist politisch heikel – derzeit laufen die letzten Abstimmungen über den neuen Rundfunkstaatsvertrag in mehreren Landtagen. In Sachsen etwa verweigerte die BSW-Landtagsfraktion ihre Zustimmung. Für das Zustandekommen einer Mehrheit für die schwarz-rote Minderheitsregierung und Bündnis 90/Die Grünen sorgte am Ende die Linksfraktion, obwohl sie sich zuvor ebenfalls kritisch zum Vertragswerk geäußert hatte.

Erst noch zustimmen muss der Landtag in Brandenburg – dort stellt das BSW mit der SPD die Regierungsmehrheit. Parteichefin Mohamed Ali sagte nach der Klausur in Berlin: „Wir als BSW sind gegen diesen Rundfunkstaatsvertrag. Aber ich weiß auch, dass es für die Koalition in Brandenburg eine herausfordernde Situation ist. Ich kann nicht vorausgreifen, was die Kolleginnen und Kollegen in Brandenburg da tun.“

Das Äußerste, was das BSW tun könnte, wäre, die Koalition in Brandenburg über dieses Thema platzen zu lassen. Ohnehin gilt Regierungsbeteiligung der BSW-Bundesspitze als entscheidender Faktor dafür, dass die Partei bei der Bundestagswahl 2025 und in Umfragen an Zuspruch verloren hat. Zwar trifft der damit einhergehende Vorwurf stets nur die Thüringer und kaum die Brandenburger, obwohl die Bilanz der bisherigen Regierungsarbeit in Potsdam um einiges magerer ausfällt als in Erfurt. Doch für die 2026 anstehenden Landtagswahlen, vor allem in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern, gaben Mohamed Ali und Generalsekretär Leye vor, dass das BSW weder für Regierungsmehrheiten zur Fortsetzung des Status quo noch für solche mit der AfD zur Verfügung stehe. Sie schlagen stattdessen Expertenregierungen vor, die sich dann wechselnde Mehrheiten im Parlament suchen.