Brisanter IT-Wechsel: Kleine Bundes-GmbH, große Geopolitik

Buchstäblich befindet sich das Zentrum für Digitale Souveränität in Bochum, und zwar an symbolträchtiger Stelle im ehemaligen Opel-Werk. Ein Ort, an dem die lange Industriegeschichte zu spüren ist. Wo Arbeiter früher Autos zusammenschraubten, soll heute in Büros die Technologie von morgen entstehen. Auf einem halben Stockwerk arbeiten hier 35 Menschen für eine Bundes-GmbH an der digitalen Zukunft der Verwaltung, in gläsernen Konferenzräumen mit zahlreichen bunten Post-Its – echte Gründeratmosphäre.

Von hier soll bald die Bürosoftware für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag kommen. In einem international aufsehenerregenden Schritt trennt die Institution sich aus Furcht vor amerikanischen Sanktionen von seinem bisherigen IT-Dienstleister Microsoft und will stattdessen auf das Software-Paket Open Desk des deutschen Zentrums für digitale Souveränität (ZENDIS) setzen. Im Februar waren im Zuge von US-Sanktionen wegen des Vorgehens der Institution gegen Israel die Microsoft-Konten des Chefanklägers gesperrt worden. Medienberichten zufolge erwägt die amerikanische Regierung im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt nun neue Sanktionen gegen den IStGH. Der befürchtet offenbar, dass Microsoft in diesem Fall gezwungen wäre, seine Dienste für die Institution ganz einzustellen – und hat sich zuletzt nach Alternativen umgesehen.

Gelandet ist er in Bochum. Was steckt hinter dem ZENDIS? Und kann es tatsächlich etwas gegen die Abhängigkeit der Behörden von amerikanischen Techkonzernen ausrichten?

Kampf gegen die große Microsoft-Abhängigkeit

Der Start war jedenfalls holprig. Schon 2022 durch das Bundesinnenministerium gegründet, hat das ZENDIS nach langem Hin und Her erst Anfang 2024 die Arbeit aufgenommen: der öffentlichen Hand zu helfen, mehr Software mit offenem Quellcode einzusetzen und so die Abhängigkeit der deutschen Verwaltung von einigen wenigen amerikanischen Software-Konzernen zu reduzieren. Das ZENDIS entwickelt nicht selbst Software, sondern bündelt die bestehenden Einzellösungen privatwirtschaftlicher Anbieter und passt sie für Verwaltungszwecke an. Im Einsatz ist unter anderem Software des deutschen Anbieters Nextcloud.

Diese Bündelung soll den Einkauf und Einsatz quelloffener Software für Behörden erheblich einfacher machen. Viele von ihnen sind im IT-Einkauf überfordert und verlängern im Zweifel lieber ihren Vertrag mit Microsoft. Schon im Jahr 2019 kamen die Berater von PwC in einer Studie für das Bundesinnenministerium zu dem Schluss, dass die Bundesverwaltung „in allen Schichten des Software-Stacks von wenigen Software-Anbietern stark abhängig“ sei. Das gelte insbesondere für die eng verknüpfte Mi­cro­soft-Produktpalette: 96 Prozent aller unmittelbaren Behörden nutzten Microsoft Office und das Betriebssystem Windows, 69 Prozent das Server-Betriebssystem Windows Server.

Schon die Ampelregierung wollte diese Abhängigkeit reduzieren, viel passiert ist aber nicht. Spätestens seit der zweiten Amtszeit des amerikanischen Präsidenten Donald Trump herrscht in der deutschen Wirtschaft und Politik große Sorge. „Wir sind bis auf den heutigen Tag viel zu abhängig von Hardware und Software, vor allem von Software aus den Vereinigten Staaten“, sagte Bundeskanzler Friedrich Merz zuletzt auf einer Veranstaltung.

Bescheidene Mittel vom Bund

Schon im Oktober 2024 erschien eine erste Version von Open Desk, dem „Open Source“-Pendant zu Microsoft Office. Zudem betreibt das ZENDIS die Plattform Open Code, auf der Software für die Verwaltung öffentlich geteilt und weiterentwickelt werden soll. Teure Mehrfachentwicklungen in verschiedenen Kommunen oder Bundesländern sollen so vermieden werden.

Nur 15 Millionen Euro Anschubfinanzierung gab es für die Vorhaben – im Wettbewerb mit den Techriesen ein Tropfen auf den heißen Stein. Weitere eingeplante Mittel fielen dem Haushaltsstreit der Ampelregierung zum Opfer. Das ZENDIS soll sich künftig über Aufträge finanzieren. Die Fertigstellung von Open Desk ist für die GmbH daher ein Erfolg, auch wenn dem Programmpaket in der IT-Branche noch Verbesserungspotential bescheinigt wird.

Bislang bleibt Open Desk ein Nischenprodukt. Zwar gibt es prominente Kunden, das Robert-Koch-Institut oder das Land Baden-Württemberg beispielsweise. 160.000 Aufträge über Enterprise-Lizenzen habe man abgeschlossen, heißt es vom ZENDIS. Im vergangenen Jahr lag der Umsatz bei acht Millionen Euro, in diesem Jahr soll er doppelt so hoch ausfallen. Ein Anfang, mehr nicht.

Politische Querelen bremsen

Zumal es immer wieder auch Rückschläge und Querelen mit der Politik gab. Im April hat das damals zuständige Bundesinnenministerium etwa die ZENDIS-Geschäftsführerin Jutta Horstmann nach nur einem halben Jahr wieder geschasst, obwohl diese branchenweit einen guten Ruf genoss. Zuvor hatte Horstmann öffentlich die CDU und den späteren Bundeskanzler Friedrich Merz scharf kritisiert, nachdem die Union im Bundestag gemeinsam mit Stimmen der AfD und der FDP ihren Migrationsantrag verabschiedet hatte. Immer wieder hatte sie zudem das fehlende Budget bemängelt. Einen Nachfolger gibt es immer noch nicht, der zweite Geschäftsführer Alexander Pockrandt führt das ZENDIS seither allein. Schon Horstmanns Vorgänger Andreas Reckert-Lodde hatte sich im Kampf um finanzielle Mittel aufgerieben und schließlich seinen Posten niedergelegt.

Der Auftrag des Internationalen Strafgerichtshofs über 1800 Arbeitsplätze hat für das ZENDIS vor allem hohen symbolischen Wert. In Bochum erhoffen sie sich nun mehr Aufmerksamkeit – und damit Aufträge und Mittel, das Angebot weiterzuentwickeln. Weil es auch aus der Privatwirtschaft Interesse gebe, sollen künftig auch private IT-Dienstleister die Angebote des ZENDIS vertreiben. Helfen soll zudem die eigentlich schon lange geplante Beteiligung interessierter Bundesländer.